FC Bayern: Zu welchem Kniff Lothar Matthäus jetzt im Fall Nick Woltemade rät

Der FC Bayern hat nach Absagen einiger Stars Transfer-Druck. Jetzt steht der Meister vor einem Coup. Nick Woltemade soll kommen. Erstmals äußert sich der Stürmer des VfB Stuttgart nun selbst zu dem bevorstehenden Deal. Lothar Matthäus schlägt ein besonderes Modell vor.

Zwischen Golfplatz, Achterbahn und Wasserpark vergossen die Stars viele Schweißtropfen. Und hatten einen besonderen Zuschauer. In dieser Woche besuchte die Trainer-Legende Arsène Wenger, 75, das Training des FC Bayern im „ESPN Wide World of Sports Complex“ in Disney World in Orlando/Florida. Der deutsche Fußball-Rekordmeister wohnt während der Klub-WM im nahegelegenen „Four Seasons Resort“ und bereitet sich hier auf das Achtelfinale vor: Sonntag (22 Uhr, Sat.1 und DAZN) treten die Münchner in Miami gegen CR Flamengo aus Brasilien an.

„Für mich ist der FC Bayern Favorit“, sagte Wenger. Er trainierte von 1996 bis 2018 den FC Arsenal, inzwischen ist er Direktor für globale Fußballförderung beim Weltverband Fifa. „Wenngleich mich Flamengo überrascht hat in den ersten Matches: die Brasilianer spielen mit ihrer guten Fußballkultur schnell und sehr gut von hinten raus. Vorn sind sie gefährlich. Ich denke, es wird ein enges Spiel – aber ich tippe auf den FC Bayern.“

Für Thomas Müller könnte es eine sehr besondere Partie werden – falls Wenger sich täuschen sollte: Scheiden die Bayern aus, wäre es das letzte Spiel Müllers für seinen Herzensklub gewesen. Nach 25 Jahren im Verein ist in diesem Sommer für den Weltmeister Schluss. Müllers Zukunft ist weiter offen, mehrere Vereine sind an ihm interessiert, unter anderem Klubs aus den USA.

„Das Turnier nimmt nun Fahrt auf. Und ich weiß, dass so eine K.o.-Runde immer ein Spiel mit dem Feuer ist“, sagte der 35-Jährige. „Du sitzt immer ein bisschen auf gepackten Koffern.“ Mit der Nationalmannschaft war Müller bei jeweils vier WM- und EM-Turnieren im Einsatz. Den größten Triumph erlebte er ausgerechnet in der Stadt des Gegners: 2014 gewann er in Rio de Janeiro die WM, im legendären Maracanã-Stadion.

Alle vier brasilianischen Teilnehmer haben die Gruppenphase der Klub-WM überstanden. „Und Flamengo ist aktuell die beste brasilianische Mannschaft“, betonte Bayerns Sportdirektor Christoph Freund: „Sie haben auch Chelsea besiegt.“ Für Flamengo und die Bayern geht es auch um viel Geld – die Prämien in dem Wettbewerb sind enorm. Ein Achtelfinal-Aus wäre eine Enttäuschung.

„Das wird ein heißer Tanz und ein tolles Spiel“, sagte Müller. In einem möglichen Viertelfinale würden die Bayern auf den Sieger des Achtelfinals zwischen Inter Miami mit Superstar Lionel Messi und dem Champions-League-Sieger Paris Saint-Germain treffen.

Unabhängig vom Ergebnis gegen Flamengo macht sich die Klubführung der Bayern intensiv Gedanken darüber, wie die Offensive der neuen Saison aussehen wird. Ohne Müller, ohne Leroy Sané, der zum 1. Juli zu Galatasaray Istanbul wechselt. Sportvorstand Max Eberl verließ zuletzt sogar zwischenzeitlich das Teamcamp in Orlando und reiste wegen Transferverhandlungen nach Europa.

Offenbar hat Eberl erfolgreich gearbeitet. Die Bayern sind sich dem Vernehmen nach mit Nick Woltemade einig. In den vergangenen Tagen verhandelten die Bayern mit den Beratern des 23-jährigen Stürmers. Woltemade hat dem FC Bayern laut „BILD“ bereits zugesagt. Und die Verantwortlichen seines Klubs VfB Stuttgart über seinen Wechselwunsch informiert. Woltemade will so bald wie möglich unbedingt in der Champions League spielen. Die Stuttgarter sind „nur“ für die Europa League qualifiziert, Bayern als Meister für die Königsklasse.

Samstag U21-EM-Finale in der Slowakei

Für den Shootingstar des VfB sind es aufregende Tage. Zum einen wegen seiner Entscheidung und den Reaktionen darauf. Zum anderen aus sportlicher Hinsicht: Samstag (21 Uhr, Sat.1) tritt er mit der deutschen U21 im EM-Finale in der Slowakei gegen England an. Was für ein Sommer für Woltemade. Titelgewinn, Wechsel zu Deutschlands größtem Klub, der eine Vervielfachung seines Gehalts bedeuten dürfte – es kann der Sommer seines Lebens werden.

Kürzlich gewann er mit dem VfB den DFB-Pokal und debütierte im Final Four der Nations League unter Bundestrainer Julian Nagelsmann in der A-Nationalmannschaft. Woltemade ist 1,98 Meter groß, wegen seiner guten Technik nennen ihn viele „Woltemessi.“ Auch der FC Chelsea und Atletico Madrid waren offenbar zuletzt an ihm interessiert.

Freitagnachmittag sprach Woltemade auf einer Pressekonferenz über das Finale der U21-EM. Ein Sprecher der Uefa bat zum Start der Pressekonferenz, dass es nur Fragen zum Turnier geben solle. Ein Reporter versuchte es verständlicherweise trotzdem und fragte zum möglichen Deal mit dem FC Bayern. Woltemade sagte nur: „Ich freue mich sehr auf das Finale.“ Zu Fragen abseits vom Spiel wolle er keine Auskunft geben.

Bei seinem Klub in Stuttgart herrscht Aufregung. Die Chefs des Vereins wurden Donnerstagabend von der ersten Meldung der „Bild“ zu dem bevorstehenden Wechsel überrascht. Sie fühlen sich übergangen, heißt es.

Nun steht ein Poker um die finanziellen Bedingungen des Woltemade-Deals bevor. VfB-Sportvorstand Fabian Wohlgemuth sagte mit Blick auf die Entwicklung des jungen Profis zu einem der treffsichersten Stürmer Europas: „Wir planen fest mit Nick und wollen auch im kommenden Jahr von seinen sportlichen Qualitäten profitieren. Dazu gibt es kein alternatives Planungsszenario.“

Auch Stuttgarts Vorstandschef Alexander Wehrle hatte betont, dass Woltemade nicht zum Verkauf steht. Doch im Fußball gibt es meist eine Schmerzgrenze. Über eine mögliche Transfersumme dürfte es Debatten geben. Von 60 bis 80 Millionen Ablöse ist die Rede. Woltemades Vertrag beim VfB gilt bis 2028, er enthält wohl keine Ausstiegsklausel. In München würde er wohl einen ein Kontrakt bis 30. Juni 2030 bekommen.

Der VfB soll Woltemade zuletzt ein Angebot für eine Verlängerung vorgelegt haben, mit dem er nicht zufrieden war. Die Offerte – 2,5 Millionen statt bisher 1,5 Millionen Euro – sah Woltemade laut „Bild“ als Affront. Ihm fehlte das klare Zeichen des VfB, dass er ihn unbedingt halten will. Das Management des Spielers, der bei der U21-EM mit sechs Treffern die Torschützenliste anführt, soll den Schwaben eine Absage erteilt haben.

Eberl und Freund müssen liefern

Die Bayern machten zuletzt sogar öffentlich deutlich, wie sehr sie Woltemade schätzen: „Der Nick spielt sehr gut, ist in richtig guter Form. Er ist ein junger deutscher Spieler, der sehr, sehr interessant ist“, sagte Freund.

Er und Eberl haben Transfer-Druck. Sie handelten sich zuletzt Absagen ein. Florian Wirtz wechselte lieber von Bayer Leverkusen zum FC Liverpool, Spaniens Nationalspieler Nico Williams vom Athletic Bilbao kommt wohl auch nicht, Bradley Barcola von Paris St. Germain wohl auch nicht.

Mit dem erhofften Woldemade-Deal könnte sich bei den Bayern eine Transferwende vollziehen. Möglicherweise verpflichten sie dann keinen Flügelstürmer mehr – das war bislang angedacht. Serge Gnabry und Kingsley Coman könnten bleiben und auf dieser Position spielen.

Viele teure Transfers wollen und können die Bayern derzeit nicht machen. Der ehemalige Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sagte im Interview mit WELT AM SONNTAG: „In den vergangenen Jahren ist bei uns viel Geld ausgegeben worden. Das hat dazu geführt, dass auch der FC Bayern jetzt etwas auf das Geld schauen muss.“ Der einstige Weltklasse-Stürmer ist Mitglied im Aufsichtsrat. Und sagte zudem: „Wir hatten immer die Philosophie, dass die besten deutschen Spieler beim FC Bayern spielen sollen.“ Woltemade ist derzeit einer der besten Deutschen.

Sky-Experte Lothar Matthäus, 64, regt eine besonderes Modell in dem Fall an. „Ich sage es schon seit längerer Zeit: Woltemade ist einer für den FC Bayern“, so der Rekordnationalspieler. „Allerdings würde ich anstelle seines Managements jetzt nicht schon über einen Wechsel zur neuen Saison verhandeln, sondern eher für nächste Saison.“

Woltemade habe ein „Traum-Jahr beim VfB hinter sich, auch wenn er noch kein Champions-League-Spiel bestritten hat. Alles ging jetzt sehr schnell, mit dem Pokalsieg, mit der Nationalmannschaft in der Nations League, jetzt mit dem Erfolg bei der U21.“ Er habe sich das Interesse der Bayern verdient.

„Aber beim VfB hat er schon ein Standing, ist in einem gewohnten Umfeld und ist Stammspieler. Dort wird er auch nächste Saison viel Spielpraxis bekommen und kann sich in Ruhe noch ein Jahr weiterentwickeln“, so Matthäus. „Auch für Bayern wäre es vielleicht gut, perspektivisch nach vorn zu denken, mit Woltemade als verkappte Neun für die Zeit nach Harry Kane.“

Sportlich und bezüglich Transfers sind es nicht nur für Nick Woltemade entscheidende Tage. Auch für den FC Bayern.

Julien Wolff ist Sportredakteur. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über weitere Fußball- und Fitness-Themen.