Wer bei der U21-EM trifft wie er will, bei seinem Debüt in der A-Nationalmannschaft direkt starten darf und ein Qualitätspaket mitbringt, das es in dieser Kombination eigentlich nicht geben dürfte, der steht natürlich bei fast jedem großen Klub irgendwo auf einem Zettel.
Bei Nick Woltemade ist das nicht anders. Der Topscorer der U21-EM (sechs Tore und drei Assists in nur vier Spielen) hat nach seiner herausragenden Performance für den VfB Stuttgart nun auch international seine erste Duftmarke hinterlassen. Und wie.
England kennt das „Einhorn“ Woltemade noch gar nicht
Mit seinen Fähigkeiten im Dribbling, seiner Körpergröße von 1,98 Meter, seinem immer besser werdenden Kopfballspiel, seiner hervorragenden Übersicht und einer durchaus beachtlichen Antrittsschnelligkeit ist der 23-Jährige das, was man als „Einhorn“ bezeichnen würde. Ein einzigartiges „Paket“ aus Merkmalen, das so eigentlich in der Natur nicht vorkommt und deswegen im Bereich der Fabelwesen anzusiedeln ist.
Nun ist Woltemade allerdings sehr real – davon durften sich Slowenien, Tschechien, Italien und Frankreich bei diesem Turnier bereits überzeugen. England noch nicht, denn dort bekam er angesichts des bereits fest stehenden Weiterkommens im letzten Gruppenspiel eine Pause. Im Finale wird das am Samstag (21 Uhr live im Ticker) definitiv anders sein. Und das sind eher keine guten Nachrichten für die „Young Lions“.
Herausragende Quote bei der EM und für den VfB
Woltemade wird vermutlich Torschützenkönig werden bei dieser EM. Er könnte sogar einen U21-EM-Rekord einstellen – nie traf einer öfter als sieben Mal bei einer Endrunde. Natürlich schauen da auch Europas Spitzenklubs genau hin.
Dass Woltemade auch kommende Bundesliga-Spielzeit für die Schwaben auf Torejagd gehen wird, schien lange nicht in Frage zu stehen. Seit dem vergangenen Sommer spielt der Stürmer beim VfB. Er kam ablösefrei aus seiner Heimatstadt Bremen, wo er nur Ergänzungsspieler war.
Dort startete er als Backup für die teuer verpflichteten Ermedin Demirovic und Deniz Undav, lief aber beiden immer mehr den Rang ab, wurde Stürmer Nummer eins, holte den DFB-Pokal, feierte sein Debüt in der A-Nationalmannschaft und wurde von Spiel zu Spiel immer besser. 20 Torbeteiligungen bei „nur“ 22 Startelfeinsätzen für den VfB gelangen ihm wettbewerbsübergreifend. Eine Quote, die er bei der U21-EM sogar noch übertrifft. Und zwangsläufig weckt so etwas Begehrlichkeiten.
Stuttgarts Wohlgemuth: „Wir planen fest mit Nick“
Nachdem erste Gerüchte über ein Interesse von Real Madrid aufkamen, soll nun der FC Bayern München seine Fühler ausgestreckt haben – sogar von einer Einigung mit dem Spieler ist in mehreren Medienberichten die Rede. Bestätigt hat das bisher keine Partei. Bei der Presekonferenz am Tag vor dem Finale blockte ein UEFA-Sprecher alle Fragen, die nichts mit dem Spiel gegen England zu tun hatten ab. Trainer Di Salvo legte nach: „Was drumherum ist, ist mir wurscht, ist mir wirklich egal.“
Lediglich die Stuttgarter äußerten sich: „Wir planen fest mit Nick und wollen auch im kommenden Jahr von seinen sportlichen Qualitäten profitieren. Dazu gibt es kein alternatives Planungsszenario“, sagte Sportvorstand Fabian Wohlgemuth der Bild-Zeitung. Weiter sagte er: „Dass anderen diese Entwicklung nicht verborgen geblieben ist und jetzt fast jeden Tag vom Interesse anderer Vereine zu lesen ist, ändert nichts an der Tatsache, dass der Weg von Nick bei uns noch lange nicht beendet ist.“
Nun mag das so sein, aber sollte sich das Interesse des finanziell nach dem geplatzten Wirtz-Transfer durchaus liquiden Rekordmeisters tatsächlich als ernsthaft herausstellen, hat die Branche schon mehrfach bewiesen, dass solche Prognosen wenig wert sind. Immerhin sind diese Aussagen auf jeden Fall geeignet, eine potenzielle Ablösesumme in die Höhe zu treiben.
Welche Rolle hätte Nick Woltemade bei den Bayern?
So oder so haben diese Gerüchte die öffentliche Diskussion um Woltemades Zukunft enorm angeheizt. Nun stellen sich Fragen, etwa die nach der Sinnhaftigkeit eines Wechsels zu den Bayern.
Eindeutig beantworten kann man das natürlich nicht. Doch Woltemades Arsenal an Fähigkeiten deutet zumindest darauf hin, dass es bei den Bayern durchaus auch mit Harry Kane eine Rolle für ihn geben kann, die darüber hinausgeht, dem englischen Torjäger gegen Heidenheim und St. Pauli eine Pause zu verschaffen.
Woltemade kann auch „Hybrid“ – wie Thomas Müller
In der U21 stürmt Woltemade neben Nicolo Tresoldi oder Nelson Weiper – beide auch körperlich stark, beide auch „echte“ Neuner. Wenn man so will. Und tatsächlich agiert der Stuttgarter dabei auch immer wieder mal als eine Art „hängende Spitze“ oder sogar als Zehner, macht den Ball fest, lässt sich fallen, spielt Steilpässe und stößt dann nach. Eine Rolle, die es im 4-2-3-1 des Vincent Kompany in der abgelaufenen Spielzeit durchaus auch gab. Ausgefüllt wurde sie unter anderem gegen Inter Mailand von einem gewissen Thomas Müller. Der wird ja bekanntlich in der kommenden Saison nicht mehr Teil des Münchner Kaders sein.
Thomas Müller und Nick Woltemade
Müller und Woltemade – auf den ersten Blick unterscheidet beide Spieler viel. Auf den zweiten lassen sich Parallelen erkennen: Woltemade ist größer, kopfballstärker und deutlich besser im Dribbling. Müllers „Riecher“ für die richtigen Räume, seine Abschlussqualitäten aus unmöglichen Situationen und seine Art der Mitspielerführung sind dafür – neben der natürlich viel größeren Karriere – Punkte, bei denen Woltemade (noch) nicht mithalten kann.
Thomas Müller mit Meister-Weißbier
Spielstark sind sie aber beide. Beide sind in der Lage, in der Offensive auf verschiedenen Positionen aufzutauchen, beide sind selbst torgefährlich und beide verstehen sich darauf, ihre Mitspieler einzusetzen. Beide geben auch am Mikrofon eine hervorragende Figur ab, wirken erfrischend ehrlich und sind – schrecklicher Begriff – „echte Typen“, die zur Identifikationsfigur taugen.
Einen Müller-Ersatz gibt es bisher noch nicht
47 Pflichtspiele hat Müller in der letzten Spielzeit für die Bayern absolviert – diese Einsätze gilt es neu zu verteilen und bisher haben die Münchener noch nicht den Spieler verpflichtet, der ein vergleichbares Profil dafür mitbringt.
Dazu hat Kompany in Anderlecht und Burnley keineswegs immer das 4-2-3-1 spielen lassen, mit dem er die Münchner zum Meister coachte. Zwei Stürmer waren da keine Seltenheit – neben und von Harry Kane zu lernen, dürfte zudem den wenigsten Stürmern schaden. Und auch mittel- und mindestens langfristig brauchen die Bayern einen Nachfolger für den bald 32 Jahre alten Engländer, dessen Vertrag 2027 endet.
Nun gibt es auch diverse Argumente, die dafür sprechen, dass es für Woltemade gut wäre, erstmal eine ganze Bundesliga-Saison als gesetzter Stürmer beim VfB zu absolvieren, sich in der Europa League internationale Wettkampfhärte zu holen, vielleicht sogar als Stürmer Nummer eins zur WM zu fahren und dann den nächsten großen Karriereschritt zu machen. Doch dass man auch mit wenig Bundesliga-Erfahrung und einem einzigartigen Gesamtpaket bei den Bayern als Stammspieler erfolgreich sein kann, hat ein gewisser Herr Müller vor 16 Jahren eindrucksvoll bewiesen.