Köln-Vorstand Carsten Wettich über Zukunft der Regel

Herr Wettich, nach der neuesten Einschätzung des Bundeskartellamtes zur 50+1-Regel kursieren Schlagzeilen wie „Zerreißprobe für den deutschen Fußball“. Steht eine Eskalation in der Auseinandersetzung zwischen den Ausnahmeklubs Leverkusen, Wolfsburg und Leipzig und den anderen Vereinen bevor?

Das ist nicht ausgeschlossen. Das Bundeskartellamt hat deutlich gemacht, dass es das Verfahren zwar einstellen wird, aber Anpassungen zwingend erforderlich sind. Für uns als 1. FC Köln ist das sehr erfreulich, denn es wurde klar bestätigt, dass die 50+1-Regel mit dem deutschen und europäischen Kartellrecht vereinbar ist. Aber eben nur dann, wenn sie konsequent umgesetzt wird. Das ist in der Sache auch richtig. Anders als bei der ersten öffentlichen Verlautbarung im Jahr 2021 verlangt das Bundeskartellamt nunmehr eine echte Veränderung und hat ein Stoppschild aufgestellt. Es gibt jetzt noch zwei Möglichkeiten: 50+1 wird abgeschafft, oder die betroffenen Klubs, die bisher als sogenannte Förderausnahmen unter Bestandsschutz gestellt werden sollten, passen sich entsprechend an.

Wie müsste diese Anpassung konkret aussehen?

Das Kartellamt schreibt zwar nicht vor, was genau die DFL und die Klubs machen müssen, aber ein Lösungsansatz wie jener aus dem Jahr 2023 ist nicht mehr möglich. Damals hatte die DFL dem Bundeskartellamt Vorschläge vorgelegt, die nur dazu führten, dass sich Investitionen der Mutterkonzerne verteuert hätten. Die hätten einfach etwas mehr Geld investieren müssen, damit das Gleiche im Profibetrieb ankommt. Eine Mitgliederpartizipation sollte hingegen nur sehr eingeschränkt verpflichtend werden. So ein schwacher Kompromiss wird keine Option mehr für die Zukunft sein. Das hat das Bundeskartellamt klargemacht. Erforderlich ist vielmehr eine echte Mitgliederpartizipation aller 36 Klubs. Diese Neubewertung des Bundeskartellamts mit einer strikten Anwendung der 50+1-Grundregel durch die DFL ohne dauerhaften Bestandsschutz für die Förderausnahmen ist Konsequenz der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), insbesondere des Urteils zur „Super League“ vom 21. Dezember 2023.

„Wenn keine rechtlich stabile Lösung gefunden wird, ist 50+1 und damit ein Kernaspekt und Alleinstellungsmerkmal des deutschen Fußballs in Gefahr“: Carsten Wettich
„Wenn keine rechtlich stabile Lösung gefunden wird, ist 50+1 und damit ein Kernaspekt und Alleinstellungsmerkmal des deutschen Fußballs in Gefahr“: Carsten Wettichpicture alliance / DeFodi Images

Alle Kapitalgesellschaften müssen einem Mutterverein untergeordnet werden, einem e. V. Es muss einen offenen Zugang zur Mitgliedschaft in diesem Mutterverein geben. Auch bei Bayer Leverkusen und dem VfL Wolfsburg muss es also für jeden Interessierten möglich sein, als Mitglied mit Stimmrecht in diese Vereine einzutreten. Und die Mitglieder müssen die mittelbare Möglichkeit bekommen, zu bestimmen, was in den ausgelagerten Profiabteilungen passiert. Das gilt auch für RB Leipzig, die vom Bundeskartellamt zwar nicht namentlich genannt, aber klar angesprochen werden: Auch dort müssen alle Menschen die Möglichkeit bekommen, mit Stimmrecht Mitglied zu werden. Bisher ist das jedenfalls faktisch ausgeschlossen.

Als vor rund zwei Jahren nach einem Ausweg gesucht wurde, haben sich Vertreter der DFL, das Kartellamt und die betroffenen Klubs gewissermaßen im Hinterzimmer abgestimmt. Die anderen Vereine waren nicht beteiligt. Wird das jetzt ähnlich laufen?

Nein. Denn eines ist klar: Jetzt sind alle Klubs unmittelbar betroffen. Wenn keine rechtlich stabile Lösung gefunden wird, ist 50+1 und damit ein Kernaspekt und Alleinstellungsmerkmal des deutschen Fußballs in Gefahr. Daher müssen alle 36 Klubs beteiligt werden, zumal es einer Änderung der Satzung der DFL mit Zweidrittelmehrheit bedarf. Wir als 1. FC Köln werden uns wie auch in der Vergangenheit bei der DFL aktiv dafür einsetzen, dass 50+1 dauerhaft erhalten bleibt.

Spielen wir einmal den anderen Fall durch: Leverkusen, Wolfsburg, Leipzig oder der bekennende 50+1-Kritiker Martin Kind aus dem Aufsichtsrat von Hannover 96 versuchen, die Regel vor dem EuGH zu kippen. Eine Prüfung rechtlicher Schritte wurde ja bereits angekündigt. Ist das eine reale Bedrohung?

Ich bin Jurist, ich fürchte mich nicht vor der Gerichtsbarkeit in Deutschland oder Europa. Jedem steht der Rechtsweg offen. Außerdem lässt der EuGH im Wettbewerbsrecht unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen zu, wenn sie dem Gemeinwohlinteresse dienen.

Zuletzt wurden im Sportkontext Urteile gefällt, die eher anders aussahen. Zum Beispiel zur Super League, wo die Regeln von Verbänden, die Wettbewerbe betreffen, für gesetzeswidrig erklärt wurden. Warum soll das bei 50+1 anders laufen?

Der Ausgang eines solchen Verfahrens lässt sich nicht sicher vorhersagen. Ich bin aber zuversichtlich, dass der EuGH die 50+1-Regel als zulässig ansieht. Aus meiner Sicht geht das Bundeskartellamt zu Recht davon aus, dass die 50+1-Grundregel keine Wettbewerbsbeschränkung „bezweckt“, sondern nur „bewirkt“ mit der Folge, dass die Vereinsprägung des deutschen Fußballs mit der einhergehenden Mitgliederpartizipation grundsätzlich als Rechtfertigungsgrund in Betracht kommt – zwei Werte übrigens, die sich der 1. FC Köln und wir als dessen Vorstand seit Jahren auf die Fahne geschrieben haben. Darüber hinaus bezeichnet sich der deutsche Profifußball in vielen Aspekten als Solidargemeinschaft, zum Beispiel bei der Geldverteilung. Da muss sich jeder Klub überlegen, ob er so einen zentralen Grundsatz der 36 DFL-Mitglieder angreifen möchte.

Während der Diskussion um den Investorenprozess kam es zu massiven Fanprotesten. Ist etwas Ähnliches zu befürchten, wenn die Ausnahmeklubs 50+1 wirklich zu Fall bringen?

Ja, mit Sicherheit. Das wird über die Proteste rund um den DFL-Investorenprozess noch weit hinausgehen. Weil die Fans mitbekommen haben, wie sich in Investorenligen wie der Premier League die Fankultur negativ verändert. Hinzu kommt: Anders als beim DFL-Investorenprozess wollen die DFL und die große Mehrheit der Klubs die Regel unbedingt erhalten. Gerade in Zeiten, in denen die Differenzen in der Gesellschaft größer werden, hat der deutsche Fußball hier ein herausragendes Alleinstellungsmerkmal. Mitglieder können sich zusammentun und Entscheidungen treffen. Die 50+1-Regel lebt davon, dass sie in der breiten Fußballbevölkerung akzeptiert wird. Für die regionale Verwurzelung der Klubs und als Kitt der Gesellschaft ist das sehr, sehr wertvoll. Das erleben wir beim FC täglich.

Die 50+1-Regel und das Kartellamt

Die 50+1-Regel ist eine Regel des Deutschen Fußball-Bundes und der Deutschen Fußball Liga (DFL), nach der die Muttervereine mindestens 50 Prozent plus eine Stimme der Anteile an ihren Kapitalgesellschaften halten müssen. Das verhindert, dass fremde Investoren die Stimmenmehrheit übernehmen. Bayer 04 Leverkusen und der VfL Wolfsburg sind bislang von der Regel ausgenommen.

Vergangene Woche hatte das Bundeskartellamt eine „vorläufige kartellrechtliche Bewertung“ zur 50+1-Regel vorgelegt. Die Behörde hatte keine grundlegenden Bedenken, sieht allerdings Klagerisiken. In Bezug auf die Ausnahmeklubs, die Mitgliederproblematik bei RB Leipzig und hinsichtlich der Auseinandersetzung um klubinterne Weisungen (Hannover 96/Martin Kind) sollte die DFL nachbessern. Das heißt für Leverkusen (Mehrheitseigner Bayer AG) und Wolfsburg (Mehrheitseigner Volkswagen), dass sie, sofern sie nicht klagen, ihr Vereinskonstrukt so verändern müssen, dass der „für Neumitglieder offene Mutterverein die Profiabteilung beherrscht“. Beide Klubs behalten sich rechtliche Schritte vor. Zudem verlangt das Kartellamt die „stringente Durchsetzung der Zugänglichkeit“ der Vereine und richtete sich damit an Leipzig (Red Bull). Nur wenn stimmberechtigten Mitgliedern der Beitritt zu Vereinen möglich ist, könne die 50+1-Regel vom Kartellrecht ausgenommen werden.

Zudem hatte das Kartellamt festgestellt, dass die DFL die 50+1-Regel bei der Abstimmung über eine Investorenbeteiligung an den Medienerlösen nicht konsequent umgesetzt hatte. Trotz vorheriger Kenntnis über die Weisung des Muttervereins von Hannover 96 an den Geschäftsführer Martin Kind, gegen die Beteiligung zu stimmen, hat die DFL keine Maßnahmen ergriffen, um zu kontrollieren, ob Kind, der Gegner der 50+1-Regel ist, weisungsgemäß abstimmte. Hier müsse die DFL nachbessern. Die DFL hat angekündigt, nötige Weiterentwicklungen zu diskutieren. (cabe.)