„Sister Europe“ von Nell Zink: Ein Riesenvergnügen

Bad Belzig liegt im Licht und duftet wie ein blühender Garten, gehüllt in die Klangwolke einer zwitschernden Vogelschar. In dieser Kinderbuchwelt stehen Häuser herum, einige verwittert und unbewohnt, und wie im Kinderbuch heißt auch die Burg aus dem Mittelalter: Eisenhardt. Sie ist klein, sieht aber aus, wie man sich so eine Burg nun einmal vorstellt. Und die Belziger grüßen so selbstverständlich, als wäre ihr Kopfsteinpflaster ein Wanderweg. Örtliche Zweitstimmenauszählung der Bundestagswahl: 27,68 Prozent AfD, 20,25 Prozent SPD, dahinter die anderen, zum Beispiel die Grünen mit 7,08 Prozent.

Bei denen ist hier auch eine Amerikanerin Mitglied, die nicht nur zwischen New York und San Francisco sehr zu Recht so berühmte Schriftstellerin Nell Zink, und als wir zum Bahnhof zurückspazieren, vermutet sie, dass sie von den bekannteren Schriftstellern, die ihren Hauptwohnsitz angeblich in Brandenburg haben, die einzige sei, bei der das wirklich stimmt.

Doch darauf jede Wette: Sie ist in ihrer Literaturliga die Einzige, die keinen Kühlschrank benutzt. Und wie das geht, erklärt sie im schönen, vom amerikanischen Akzent verdunkelten Nell-Zink-Deutsch: Das Gemüse verderbe nämlich nicht durch die Zimmertemperatur, man müsse es nur in eine Schüssel mit Wasser legen, dann werde es wieder frisch. Wie nach einem Regenguss.

Auch mein Ausflug ist wohl eine allenfalls regengussfrische Journalistenidee; eine der zahlreichen Nell-Zink-Porträtistinnen schrieb bereits, dass die Bad-Belzig-Pilgerfahrt zur Feuilleton-Routine gehöre wie das Pilzesammeln mit Peter Handke in Paris. Also schon häufiger beschrieben: Zinks Einzimmerwohnung, in der zum Schlafen (und Arbeiten am Laptop) kein Bett, sondern nur eine Matratze im Flur dient. Oder der fehlende Kleiderschrank und die abwesenden Bücherregale, sodass Klamotten und Bücherstapel irgendwie auf und um die wie provisorisch platzierten Möbel verteilt sind.

Ihren ersten Roman Der Mauerläufer hat die heute 61-Jährige erst im Alter von 50 veröffentlicht, geschrieben hatte sie ihn in allerkürzester Zeit und, wie sie selbst sagt, allein aus sportlichem Ehrgeiz, um den superberühmten Jonathan Franzen von ihrem literarischen Talent zu überzeugen. Obwohl Franzen ihr das schon bescheinigt hatte, aufgrund eines ornithologisch informierten Leserbriefs, in dem Zink den Schriftsteller für einen Aufsatz über Zugvögel kritisierte. So ging das also weiter: Den Mauerläufer verscherbelte Zink, für 300 Dollar, noch selbst an einen Kleinstverlag, wurde aber hymnisch im New Yorker porträtiert und landete auf der Bücherbestenliste der New York Times. Danach handelte Franzens Agentin, die fortan Zink vertrat, sechsstellige Vorschüsse aus. Ihrem zweiten Roman Virginia folgten bis heute vier weitere.

Nell Zink lebt seit 25 Jahren in Deutschland, die Hälfte davon in Bad Belzig. Zuvor: Geboren in Kalifornien und aufgewachsen in Virginia, sie lebte in New York und Washington, D. C., in Israel und in Tübingen, wo sie eine medienwissenschaftliche Arbeit an der Uni schrieb, außerdem gab es die vielen Brotjobs, darunter Sekretärin für einen globalen Konzern.

Ist die Nomadin endgültig angekommen, und liegt das an der kontinentalen Drift, die das amerikanische Politikbeben gerade verursacht? Und ist das, was Zink schreibt, also Exilliteratur? Das wäre im Trump-Jahr 2025 und zum Erscheinen ihres neuen Romans Sister Europe ein neuer und unschöner Befund. „Zumindest“, sagt Zink, „höre ich die Frage, wie lange ich noch in Deutschland bleiben will, nun seltener als früher.“

Sie berichtet von der Schockstarre ihrer Freunde, die in sozialen Berufen arbeiten oder als Angestellte des gemeinnützigen Rundfunks, also dort, wo jetzt der Kahlschlag wütet. „Sie sitzen mit ihren Babys beim Picknick und versuchen, die Situation zu verdrängen.“ Es wisse ja auch keiner, was außer der Arbeitslosigkeit jetzt sonst noch droht. Und sie, Nell Zink, hier so weit ab vom Schuss? „Mir scheinen die USA heute einem Land wie Brasilien ähnlicher zu sein als, sagen wir mal, England. Die neue Neue Welt eben.“ Städte, die ihr, als sie dort lebte, als Metropolen erschienen, seien zum „Hintertupfingen“ verkommen, ein in ihrem Akzent exotisch klingender Ort.