
Er war nicht da, aber er war stets gegenwärtig. Die erste Modenschau von Giorgio Armani, nach der sich Giorgio Armani nicht zeigen konnte, kam am Ende doch nicht ohne Giorgio Armani aus – wenn er auch nur virtuell dabei war.
Aber der Reihe nach. Vor einigen Wochen kam der neunzigjährige Altmeister der italienischen Mode ins Krankenhaus. Über die Ursache schweigt das Modehaus, das mit privaten Dingen ohnehin sehr diskret umgeht. Dann wurde bekannt, dass er nicht zu den Schauen seiner Männerkollektionen für Frühjahr und Sommer 2026 kommen kann – also zur Zweitlinie Emporio Armani am Samstagabend und zur Hauptlinie Giorgio Armani an diesem Montag. Das Modehaus wiegelte aber zuvor ab, um Befürchtungen über den Gesundheitszustand des Neunzigjährigen zu zerstreuen – und weil in der Modeszene die Erinnerung an Karl Lagerfeld hochkam, der am 22. Januar 2019 nach der Chanel-Haute-Couture-Schau nicht auf dem Laufsteg erschien und vier Wochen später starb. „Herr Armani ist zu Hause“, wurde vergangene Woche mitgeteilt. „Es geht ihm gut. Aber er zieht es vor, mit Blick auf seine nächsten Termine in Paris seine Kräfte zu sammeln.“
Besondere Liebe gilt der Maßschneiderei
Diese Termine sind wichtig. Denn während der Haute-Couture-Tage vom 7. bis zum 10. Juli will er das Jubiläum zum zwanzigjährigen Bestehen seiner Couture-Linie Privé feiern, die er meist im Petit Palais präsentiert. Zwar hat Giorgio Armani als Männermode-Designer begonnen, aber seine besondere Liebe gilt seit Jahren der Maßschneiderei, zumal er sich damit in Paris präsentieren kann – und zwar als einzige große italienische Marke, nachdem Versace die Couture aufgegeben hat. Und noch ein wichtiger Termin steht bald an: Im September feiert der Designer bei den Damenmodeschauen das fünfzigjährige Bestehen seiner Marke.
Nach der Emporio-Schau am Samstagabend in seiner Zentrale an der Via Bergognone, so war es angekündigt, sollte seine rechte Hand Leo Dell’Orco den Applaus entgegennehmen. Aber damit keine Missverständnisse aufkamen: „Herr Armani hat mit seiner üblichen Hingabe an den Kollektionen gearbeitet, die präsentiert werden. Obwohl er nicht persönlich anwesend sein kann, wird er jede Phase der Schauen genau verfolgen.“
Und so kam es dann auch. Als die für 19 Uhr angekündigte Schau um 19.02 Uhr noch nicht begonnen hatte, wurde er zu Hause, von wo er alles per Video verfolgte, doch ziemlich unruhig. Wie seine andere rechte Hand, Global Communication Director Anoushka Borghesi, nach dem Defilee sagte, fragte er umgehend, warum die Schau noch nicht begonnen habe. Also beeilte man sich, begann um 19.10 Uhr – und ließ einige Möchtegern-Gäste, die in Mailand an halbstündige Verspätungen gewöhnt sind, vor der Tür stehen.
Sie verpassten nicht allzu viel, denn die Kollektion betete in fast 100 Looks mit einer riesigen Armada männlicher Models die bekannten Armani-Codes herunter: weite Hosen, leichte Stoffe, irdene Farben, entspannte Stimmung. Die Gunst der Stunde will es, dass für den nächsten Sommer die Jacken und Hosen bei vielen Mailänder Marken sehr weit ausfallen – ein Trend, den Armani schon vor Jahrzehnten angestoßen hat.
Nach der Schau also trat Leo Dell’Orco vor das Publikum. Schon in den vergangenen Saisons war er an Armanis Seite mit auf den Laufsteg gekommen, was wiederum an Lagerfeld erinnerte, der in den letzten Saisons vor seinem Tod stets Virginie Viard mit nach vorne genommen hatte, die ihm schließlich auch als Chefdesignerin bei Chanel nachfolgte. Am 22. Januar 2019 trat sie allein auf die Bühne.
Jedenfalls trug Leo Dell’Orco eine dunkelblaue Hose und ein dunkelblaues T-Shirt, wie Armani. Auch das weiße Haar und der gemessene Schritt ließen manche Kurzsichtigen in dem Glauben zurück, der Modegott sei dank Spontanheilung doch noch auf die große Bühne zurückgekehrt. Allein die Leibesfülle wies die Gestalt als den treuen Dell’Orco aus, der schon seit Jahrzehnten an Armanis Seite ist. Den Journalisten berichtete der Designer mit Rührung in der Stimme, Giorgio habe alles für gut befunden. Denn auch wenn er nicht da war – er war gegenwärtig.