
Er steht nicht mehr oft im Laden. Aber wenn der Chef da ist, gibt es für den Besucher garantiert eine Tasse Tee. Auf einem k leinen Ecktisch stehen die japanischen Kyusu-Teekannen, kugelrund mit Seitengriff, in denen das Teewasser auf die richtige Temperatur gebracht wird und die Aufgüsse vom Shincha ziehen. „So, jetzt trinken wir uns erst einmal in Balance“, heißt es dann, während drum herum der Verkauf von Pfeffer, Chili, Salzen, Grüntee und den beliebten Curryund Linsenmischungen weitergeht.
Bei Schnorr ist meistens etwas los. Touristen, die hier gezielt oder per Zufall auf dem Weg zum Römer vorbeikommen, Studenten, alteingesessene Frankfurter – sie gehören zu den Kunden, die in dem k leinen, keine 50 Quadratmeter großen Laden an der Neuen Kräme vorbeischauen. Seit 1978 ist das Gewürz- und Teehaus hier zu finden, das Vorgängergeschäft, das irgendwann zu klein wurde, hatte die Familie 1964 ein paar Häuser weiter am Liebfrauenberg eröffnet. Den Gewürzhandel gibt es schon länger. Eduard Schnorr, der Großvater des heutigen Inhabers, „Oppa Edi“, hatte das Unternehmen 1956 gegründet und „von null auf“ aufgebaut, wie der Enkel erzählt. Später übernahm die Tochter, Kais Tante Renate, die Geschäfte.
Kai Schnorr, der schon früh seine Liebe zu besonderen Teesorten und zur kreativen Küche entwickelte, wollte eigentlich Chemiker werden, wie sein Vater. Doch während er an seiner Doktorarbeit schrieb, sei der Wunsch, mit Waren und Menschen zu arbeiten und in das Geschäft der Tante einzusteigen, immer konkreter geworden. Also fasste er sich ein Herz – etwas bang, der Tante könnte die Idee womöglich nicht gefallen. Doch die war sofort begeistert: „Kai, des find isch subber, so machemer des.“ Am 30. April 2014 war das. An den Tag kann er sich noch genau erinnern.
Rund tausend Euro im Monat, um bei Google gefunden zu werden
Zwei Jahre später, mit Ende zwanzig, übernahm der Neffe das Fachgeschäft. Hatte, wie er mit einem Augenzwinkern sagt, zwar den Doktortitel in der Tasche, aber vom Handel erst einmal „keine Ahnung“. Fest stand nur das Ziel: das Familienunternehmen zukunftsfest zu machen, in kleinen Schritten, ohne dabei alles über den Haufen zu werfen und an der Tradition zu schrauben. „Strategisch denken mit Herzansatz“, so bezeichnet Schnorr seine Aufgabe. Kunden schätzten, „dass bei uns vieles noch so ist, wie es immer war“.
Aufgeräumt und optimiert hat er trotzdem, im Großen wie im Kleinen. Die Lagerräume hinter dem Geschäft – gearbeitet wird auch in einem Gebäude an der Ziegelgasse – sind jetzt klimatisiert und neu eingerichtet, ein Warenwirtschaftssystem mit digitalen Mischplätzen wurde eingeführt. „Jeder Krümel, der seinen Platz wechselt, lässt sich jetzt digital nachverfolgen“, sagt Schnorr. Dem Webshop, bei seiner Ankunft eher Kraut und Rüben, wurde ein professioneller Auftritt verpasst. An die tausend Euro gibt der Händler jeden Monat allein dafür aus, dass sein Shop bei Google gefunden wird. „Das Geld flattert nur so raus“, sagt er. Darüber könne man jammern, aber es führe kein Weg daran vorbei, „sonst hätte das Unternehmen keine Zukunft“.
Ein neues Logo und schickere Verpackungen sollen Kunden auch visuell stärker überzeugen. Die Texte für die Etiketten auf den Tüten von Gewürzen und Teeblättern – alles in allem um die 3000 Artikel – haben Kai Schnorr und sein Team vereinheitlicht, neu formuliert und in Form gesetzt – ein „Mammutprojekt“ auch deshalb, weil Tee und Gewürze unterschiedliche Zutatenbeschreibungen erforderten, die Listen fehleranfällig seien. Textprogramme wie ChatGPT, die beim Formulieren von Lebensmittelbeschreibungen helfen, gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Gewürzmischungen werden selbst hergestellt
Schnorr strahlt viel von der Ruhe, Bescheidenheit und Klarheit aus, die man den Menschen und dem Leben in Japan zuordnet, wo die Pflanzen für seinen Grüntee wachsen. Viele der Familien und ihre Teegärten dort kennt er persönlich von Reisen in das Land. Die Ware selbst bezieht Schnorr von Großhändlern. „Unsere Leistung besteht darin, die beste Auswahl für den Kunden zu treffen“ – ein aufwendiger Prozess, bei dem mitunter bis zu 20 Muster von einem Tee aufgegossen und per Löffelverkostung getestet werden. Die Gastronomie in Frankfurt weiß das zu schätzen. Zu Schnorrs Kunden zählen auch Fünfsternehäuser wie das neue Kimpton-Hotel in Frankfurt.
Das Gewürz- und Teehaus gehört zu den wenigen inhabergeführten Handelsunternehmen, die ihre Gewürzmischungen – die Tees werden bis auf wenige Ausnahmen fertig angeliefert – noch selbst herstellen. Das übernimmt Mischmeister Thaya aus Sri Lanka, zusammen mit seiner Frau Rajitha. Beide sind seit 2000 ein verlässliches Duo im Schnorr-Team, zu dem 13 Festangestellte und zehn Aushilfen gehören. Rajitha entwirft die Rezepte für die Hausgerichte auf Basis von Reis-, Linsen- und Couscous-Mischungen.

Von Gewürzen hat auch Florian Lehner, den Kai Schnorr aus Studienzeiten kennt, viel Ahnung. Er hat einen Lehrgang zum Gewürzsommelier besucht und stellt unter anderem jedes Jahr die Broschüre mit Backrezepten für Weihnachten zusammen, die das Traditionshaus schon seit den Siebzigern herausgibt – ein Klassiker. Manche Kunden sammeln die Heftchen seit Jahrzehnten.
Im Ladengeschäft selbst hat der Inhaber bisher nur behutsam Hand angelegt. Schnickschnack wie Extragewürze für Spargel oder Gänsebraten, die man im Internet bei vielen Händlern findet, verkauft Schnorr nicht. „Wozu braucht man das?“, fragt der Händler mit Hinweis auf „Raffinierteres“, wie einen Kandy-Pfeffer aus Sri Lanka. Mehr als 30 Pfeffersorten sind im Onlineshop gelistet.
Rund 1,8 Millionen Euro Umsatz
Alle Tees und Gewürze, die der Händler online verkauft, sind auch am Standort vorrätig, wo Bestellungen verpackt und auf den Weg gebracht werden. Eine große Auswahl, auch wenn dies Ressourcen verschlinge, sei ihm wichtig, sagt Kai Schnorr. Sein Geschäft stelle er sich wie eine Schatztruhe vor, in der jeder etwas für seinen Geschmack finde.
Bei den Kunden kommt das an. In den Bewertungen im Internet sammelt der Händler durchweg Bestnoten. Das Onlinegeschäft, das bisher 20 Prozent zum Umsatz beiträgt, bezeichnet Schnorr jedoch als schwierig. Im Laden dagegen gelinge es, jeden zu begeistern“ – egal ob den jungen Schüler im Lernstress, der einen Tee zur Beruhigung sucht, oder die Großmutter, die nach einer deftigen Gemüsebrühe fragt, oder auch den Touristen, der einfach nur mal neugierig vorbeischaut.

Mit Künstlicher Intelligenz, einem Onlinequiz, das von der Frankfurter Agentur Philipp entwickelt und von der Wirtschaftsförderung finanziell unterstützt wird, versucht der Händler aktuell, auch junge, digital affine Konsumenten für seinen Shop zu begeistern. Mithilfe von 15 Fragen zu bestimmten Vorlieben soll der Nutzer dabei genau jenen Tee ermitteln können, der perfekt zu seiner eigenen Person passt. Ob das mehr als eine Spielerei ist, muss sich erst noch zeigen.
Grundsätzlich ist Kai Schnorr zufrieden mit der Entwicklung. Seit Beginn sei das Geschäft – mit Ausnahme der Coronajahre, als der Inhaber auch privates Geld zuschießen musste – jedes Jahr um drei bis fünf Prozent gewachsen, auf zuletzt knapp 1,8 Millionen Euro Umsatz. Zugelegt hätten allerdings auch die Kosten, gibt er zu bedenken. Gute Nerven braucht er ohnehin. Zwischen Januar und November verdient das Fachgeschäft in der Regel kein Geld. Erst wenn im Dezember die berühmten 12,5 Kilogramm schweren Marzipan-Laibe im Geschäft angeschnitten werden, schlägt das Pendel um. Dabei gilt es, die Ruhe zu bewahren. „Das muss man aushalten können“, sagt der Unternehmer.
Kunden aus anderen Städten
Als geschäftsführender Gesellschafter pflegt Schnorr eher das Understatement, zahlt sich kein üppiges Gehalt aus, wie er sagt, sondern nimmt das Geld lieber und investiert es in den Betrieb. Seine drei Kinder fährt er morgens mit dem Lastenrad in die Schule und in die Kindertagesstätte. Anschließend nimmt er mit dem Lastenrad auch mal einen Sack Teeblätter aus dem Außenlager mit ins Geschäft. 40 Jahre alt wird er in diesem Jahr. Im Laden sieht man ihn seltener als früher. „Ich arbeite gerne hinter den Kulissen.“ Dafür ist seine Frau Diana inzwischen mit in den Verkauf eingestiegen.
Das, was ihn antreibe, sei die Begeisterung dafür, mit dem, was man macht, „die Welt ein bisschen zu einem schöneren Ort zu machen“. Bei jemand anderem würde man diesen Satz als kitschig empfinden. Bei ihm klingt es authentisch. Und wie bestellt steht bei einem Besuch im Laden ein älterer Herr mit glück lichem Lächeln vor der Ladentheke: „Wie schön, dass es euch noch gibt.“ Der Mann kommt aus Karlsruhe und ist zu Besuch in Frankfurt.
Doch das Ladengeschäft kenne er gut, berichtet er. Er sei in Frankfurt aufgewachsen, schon seine Eltern hätten hier eingekauft, erzählt er in die Runde. Es ist einer der Momente, in denen Kai Schnorr weiß, dass er alles richtig gemacht hat. Nur das Wort „noch„ gefällt ihm nicht. „Das klingt immer so, als gäbe es uns bald nicht mehr.“