
Der Anwalt hat noch nicht zu Ende gesprochen, da schüttelt der Mann auf der anderen Seite des Gerichtssaals schon den Kopf. „Nein“, sagt er, „die Bilder gehören dahin, wo sie jetzt sind: in die Öffentlichkeit. Da gibt es keine Diskussion.“
Man sei bereit, von der Schadenersatzforderung abzusehen, hatte der Anwalt gesagt, wenn das Filmmaterial zurückgezogen würde. Filmmaterial, das man zum Beispiel auf der Internetseite der Tierschutzorganisation Animal Rights Watch anklicken kann: Eine junge Frau mit Stirnlampe spricht in die Kamera, sie sagt, sie sei in einem Schlachthof für Schweine. Dort, wo sie betäubt werden: „Wir sind hier reingekommen und haben versteckte Kameras installiert und werden zeigen, was hier wirklich passiert.“
Dann sieht man von oben auf einen vergitterten Käfig und auf die hellen Rücken von Schweinen. Es rumpelt, der Käfig bewegt sich, die Schweine stehen dicht nebeneinander, werden dann unruhig, versuchen, übereinander zu klettern, einige reißen die Köpfe hoch. Man sieht Schnauzen, die sich durchs Gitter drücken, geöffnete Mäuler. Man hört langgezogenes, schrilles Quieken.
Piercing an der Nase, offener Blick
Auch die junge Frau ist an diesem Tag im Juni im Gerichtssaal des Landgerichts Oldenburg. Hochgesteckte Haare, Piercing an der Nase, offener Blick aus hellen Augen. Sie heißt Anna Schubert, der Mann neben ihr, der eine Unterlassungserklärung so entschieden abgelehnt hat, ist Hendrik Hassel. Ihnen gegenüber sitzt Niko Brand, etwa gleich alt, Mitte dreißig, Geschäftsführer von Brand Qualitätsfleisch.

Er hat Anna Schubert und Hendrik Hassel verklagt, wegen Verletzung von Unternehmenspersönlichkeitsrechten. Er findet, die heimlich aufgenommenen Bilder aus seinem Schlachthof, die unter anderem in einem Beitrag der ARD-Sendung „Plusminus“ gezeigt wurden, schädigen seinen Ruf. Die Tonspur sei manipuliert. Anna Schubert und Hendrik Hassel finden, die Aufnahmen seien nötig, um darüber aufzuklären, wie Schweine bei der Betäubung im Schlachthof leiden.
Der Tod tritt durch Blutverlust ein
Gut 40 Millionen Schweine werden in Deutschland im Jahr geschlachtet. Vor der Tötung sieht das Gesetz eine Betäubung vor, in 90 Prozent der großen Schlachtbetriebe geschieht das mittels CO2. Kleinere Schlachthöfe betäuben auch elektrisch, das ist aber aufwendiger, jedes Tier muss einzeln einen Stromschlag erhalten. Bei der Gasbetäubung werden vier bis acht Schweine in einen Metallkäfig getrieben, der senkt sich in eine Grube mit hoher CO2-Konzentration. Die Tiere atmen das Kohlendioxid ein, der pH-Wert des Blutes und der Flüssigkeit in Rückenmark und Gehirn sinkt, sie werden bewusstlos. Eine CO2-Zufuhr von zwei Minuten ist vorgeschrieben.
Kommt der Gondel genannte Käfig wieder oben an, werden die Schweine ausgeworfen, an einer Kette ums Hinterbein hochgezogen, ein Schlachthofmitarbeiter durchtrennt mit einem Messer die Halsschlagadern. Der Tod tritt durch Blutverlust ein. Es gibt Betäubungsanlagen, deren Gondeln hinunter- und wieder hinauffahren, und es gibt das auch bei Brand Qualitätsfleisch eingesetzte Paternoster-System mit mehreren Gondeln, das einen noch effizienteren Ablauf ermöglicht. Während auf der einen Seite neue Schweine in die Käfige laufen, kommen auf der anderen die betäubten für die Entblutung an.

Die EU-Verordnung über den „Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung“ hat die seit Jahrzehnten eingesetzte Betäubung mittels CO2 im Jahr 2009 explizit zugelassen, es ist weltweit die gängigste Betäubungsmethode bei Schweinen. 2004 wies ein Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit auf die physiologischen Reaktionen in den bis zu 30 Sekunden hin, bis die Narkosewirkung eintritt: Das Gas wirke aversiv und verursache Hyperventilation sowie eine Reizung der Schleimhäute, die schmerzhaft sein könne, sowie ein Schnappen nach Luft.
Eine Studie wurde angeführt, laut der Schweine, die 72 Stunden nichts zu trinken bekommen hatten, lieber weiter auf Wasser verzichteten, als sich einer Umgebung mit hohem CO2-Gehalt auszusetzen. Der Bericht empfahl, die Erforschung alternativer Betäubungsmethoden mit Helium oder Argon voranzutreiben. In der EU-Verordnung fünf Jahre später stand mit Bezug auf das EFSA-Gutachten jedoch: „Die Empfehlungen, den Einsatz von Kohlendioxid bei Schweinen (…) schrittweise einzustellen, werden nicht in diese Verordnung eingearbeitet, da die Folgenabschätzung ergeben hat, dass solch eine Empfehlung derzeit in der EU aus wirtschaftlicher Sicht nicht tragbar ist.“
Auch im aktuellen, 2023 veröffentlichten Tierschutzbericht der Bundesregierung steht: „Die CO2-Betäubung von Schweinen reduziert zwar durch die Gewährleistung eines gruppenweisen Zutriebs die Belastung der Tiere beim Zutrieb selbst, führt jedoch in der Einleitungsphase bei Anwendung der praxisüblichen Konzentration zu Aversionen, Atemnot und Fluchtreaktionen.“ Auf der Internetseite von Brand Qualitätsfleisch ist ebenfalls von möglichen „Abwehrreaktionen in Form von Lautäußerungen, Kopfschütteln und Maulatmung“ zu lesen und dass diese Betäubungsform für einen Schlachthof dieser Größe „aktuell noch alternativlos“ sei.
Ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit?
Es ist also lange bekannt, dass die meisten Schweine in Deutschland auf eine Weise getötet werden, die im Widerspruch zum Tierschutzgesetz stehen könnte. Das verbietet es, Tieren ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Der Prozess, in dem es um den letzten Abschnitt im Leben eines Nutztiers geht, wirft damit auch die Frage auf, wie ehrlich die Gesellschaft im Umgang mit diesen Tieren ist. Ob vermeintliche Selbstverständlichkeiten wie günstiges Fleisch nur aufrechterhalten werden können, wenn Aspekte dieses Umgangs ausgeblendet werden. Und welche Methoden erlaubt sein sollten, um eine Debatte darüber in Gang zu bringen.
Der Anwalt von Anna Schubert und Hendrik Hassel beruft sich hier unter anderem auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 2018, auch da ging es um rechtswidrige Filmaufnahmen, in einem Bio-Hühnerstall. Es gab tote Hühner, es gab Hühner, denen viele Federn fehlten, und allgemein waren die Zustände nicht, wie man sie in einem Betrieb mit Bio-Siegel erwarten würde. Diese Bilder dürfen weiter gezeigt werden, da, so das Urteil, ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an den Umständen der Haltung bestehe. Dieses Informationsinteresse sei höher zu bewerten als der Hausfriedensbruch. Nichts anderes könne für die Schlachtung der Tiere gelten, steht in der Replik auf die Klageschrift, in der auch von übler Nachrede, Verleumdung und einer „Prangerwirkung“ die Rede ist.
99 Prozent der Schweine wühlen nie in Stroh
Zu einer Entscheidung kommt es an diesem Tag im Gericht nicht, die soll es Mitte Juli geben. Es sei ihnen nicht darum gegangen, diesen einen Schlachthof herauszustellen, sagen Anna Schubert und Hendrik Hassel später in einem Café in der Innenstadt von Oldenburg. Erst als der Strafantrag gestellt wurde und in der Folge eine Klage auf Schadenersatz mit einem Streitwert von 140.000 Euro bei ihnen einging, sei der Name des Unternehmens auf dem Instagram-Kanal von Animal Rights Watch veröffentlicht worden. In dem schon vorher durch die Organisation verbreiteten Video wird nur darauf hingewiesen, dass der Betrieb betone, wie wichtig ihm Tierwohl sei. Darum haben sie ihn ausgewählt. Unter den Lieferanten von Brand Qualitätsfleisch sind viele Schweinehalter, deren Tiere besser leben als 99 Prozent der Schweine in Deutschland. Sie wühlen in Stroh und haben manchmal sogar Erde und Gras unter den Füßen. Die meisten Mastschweine in Deutschland spüren nur zweimal frische Luft, bei der Ankunft im Mastbetrieb im Alter von elf Wochen und bei der Abholung zum Schlachtbetrieb mit sechs Monaten.
Für die heimliche Installation der Kameras habe sie monatelang trainiert, sagt Anna Schubert. Hat geübt, mit Maske und Pressluftflasche zu atmen, mit einem Sicherungsseil umzugehen, hat Konstruktionspläne von Betäubungsanlagen studiert. Sie ist Agrarwissenschaftlerin, spezialisiert auf veganen Ökolandbau, denn sie ist der Meinung, dass die Nutztierhaltung ganz abgeschafft werden sollte. Seit Jahren ist sie vor allem Aktivistin, oft macht sie „Recherchen“, so heißt das heimliche Eindringen in Betriebe.
Bei Brand Qualitätsfleisch hat sie Überwachungskameras mit Magneten an den Gondeln befestigt, in der die Schweine nach unten fahren. Ein paar Nächte später kamen sie zu viert wieder, um die Kameras abzuholen. Bald war auch die Polizei da. Schlachthof-Mitarbeiter hatten die kleinen Kästen entdeckt, man hatte die Rückkehr der Aktivisten erwartet. Zwei von ihnen zahlten die geforderte Geldstrafe, die Strafverfolgung wurde eingestellt. Anna Schubert und Hendrik Hassel, der beim Abholen mit erwischt wurde, wollten das nicht. Hendrik Hassel, der eigentlich Fotograf ist, sagt, er sei gar kein so großer Tierfreund. Ihm gehe es darum, dass die Lebensmittelindustrie eine Praxis einfach fortführt, die für ihn klar gegen das Tierschutzgesetz verstößt: „Ich will auf den Konflikt hinweisen zwischen den Werten, die wir für uns beanspruchen, und der Realität.“

Für die Gegenseite gibt es diesen Konflikt nicht. Die CO2-Betäubung sei geltendes Recht, schreibt Niko Brands Anwalt in der Klageschrift. Die Betäubungsanlage bei Brand Qualitätsfleisch werde vom Veterinäramt mehrmals täglich kontrolliert. Bei den Kontrollen wird gemessen, wie hoch die CO2-Konzentration ist, wenn die Gondel auf dem Weg in die acht Meter tiefe Grube zum ersten Mal anhält, und wie lange die Tiere dem Gas ausgesetzt sind. Darauf, wie die erkennbare Unruhe der Schweine zu deuten sei, geht die Klageschrift nicht ein. Die Echtheit der Bilder wird nicht bestritten, die der Tonspur schon. Die Aktivisten bestreiten jede Manipulation.
„Ich stehe regelmäßig dort, und natürlich hört man auch mal ein Tier“, sagt Niko Brand. „Aber nicht beständig so einen permanent kreischenden Ton.“ Niko Brand hat einem Gespräch gleich zugestimmt, am Telefon wägt er seine Worte vorsichtig. „Es ist nie schön, wenn ein Tier stirbt“, sagt er. „Das muss uns bewusst sein, wenn wir Fleisch konsumieren.“ Die Betäubung mit CO2 sei ein von der EU zugelassenes Verfahren. „Aber natürlich kann man auch das noch optimieren.“ Zum Verhalten der Schweine sagt er, dass dies teils auch unwillkürliche Bewegungen in der „Exzitationsphase“ sein können, Sekunden, in der die Tiere schon bewusstlos, aber noch nicht tief betäubt sind. Er lädt ein, nach dem Prozess vorbeizukommen und sich selbst ein Bild zu machen, wie die Betäubung abläuft. „Wir sind ein transparentes Unternehmen, wir zeigen gerne jedem, was wir hier tun. Aber das ist unser Job und nicht der von selbsternannten Tierschützern.“
Helium wäre schonender, ist aber rar
Dass Niko Brand offener mit den Abläufen beim Schlachten umgeht als viele andere in der Branche, schätzen die Landwirte, die ihre Tiere zu ihm bringen. „Dass jemand, der so reflektiert mit dem Thema umgeht, eins vor den Bug bekommt, ist nicht in Ordnung“, sagt eine Schweinehalterin am Telefon. Sie ärgert das Vorgehen der Aktivisten, sie würden die Wahrheit verfälschen, Bemühungen um Tierwohl nicht anerkennen und einzelne Bauern ungerecht vorführen. Deswegen wolle sie auch nicht, dass ihr Name genannt wird. Sie habe sich vor sieben Jahren für diesen Schlachthof entschieden, weil sie der ruhige Umgang mit den Tieren überzeugt habe und die Bereitschaft, sich weiter zu verändern. „Man muss nicht drum herum reden, es ist eine Betäubung durch Ersticken“, sagt sie und dass sie sich wünsche, dass es irgendwann eine andere Methode gibt. Doch Niko Brand ermögliche durch seine Offenheit eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Die erwarte sie von jedem, der Fleisch isst.
In Gang kommt diese Auseinandersetzung allerdings nicht. Schon dass am Ende des Lebens der meisten Schweine die gleiche umstrittene Betäubungsmethode steht, egal, welcher Haltungsstufe sie entstammen, dürfte viele Menschen überraschen. Es gibt immer wieder Forschungsprojekte zu anderen Möglichkeiten der Betäubung, Konsequenzen für die Praxis hatten sie bislang nicht. Helium gilt als sehr schonend, ist aber rar und lässt sich mit den im Gebrauch befindlichen Anlagen nicht verwenden. Die werden in den Boden gesenkt, weil Kohlendioxid schwerer ist als Luft. Helium ist leichter.
Das Friedrich-Loeffler-Institut hat kürzlich ein vierjähriges Projekt abgeschlossen, bei dem die Betäubung mit Argon, Stickstoff sowie einer Mischung von beidem mit CO2 erprobt wurde. Deutlich weniger und kürzere Abwehrreaktionen seien zu beobachten gewesen, steht im Abschlussbericht. Die Gase seien allerdings teurer, die Tiere müssten ihnen auch länger ausgesetzt sein. Voraussichtliche Mehrkosten pro Kilo Fleisch: ein Cent.