Projekt Nyx Earth: Von München in die Umlaufbahn – Wirtschaft

Wer mit einem Frachtraumschiff zur Internationalen Raumstation ISS möchte, muss zunächst eine Art Führerscheinprüfung machen. Es ist nicht damit getan, wie ein DHL-Bote in zweiter Reihe zu stehen, zu klingeln und seine Pakete abzuliefern. Das Raumschiff muss zunächst an einer der acht Andockstellen der ISS geparkt werden. Und das ist eine Wissenschaft für sich. „Das Docking an der ISS wird von der Nasa zertifiziert“, sagt Victor Maier. „Das ist der härteste Standard, den es momentan gibt.“

Der Ingenieur ist Europa-Manager des Start-ups The Exploration Company (TEC) mit Sitz in München und Bordeaux, das in drei Jahren an der ISS andocken möchte. Mit einem Frachtschiff namens Nyx Earth, das bald nahe München gebaut werden soll. Doch vorher braucht die Firma die Lizenz zum Andocken. „Es gibt drei Theorieprüfungen, die praktische Prüfung findet dann im August 2028 an der ISS selbst statt“, sagt Maier.

Firmengründerin Hélène Huby ist für die erste Prüfung gerade in den USA, aber auch deswegen, weil ihre vier Jahre junge Firma erstmals eine große Frachtkapsel ins All bringen will. Mit zweieinhalb Metern Durchmesser und 1,6 Tonnen Gewicht soll der Prototyp für Nyx frühestens am späten Freitagabend deutscher Zeit mit einer Rakete von Elon Musks Firma Space-X von Kalifornien aus in die Erdumlaufbahn starten.

Die Kunden zahlen für den Test-Frachtflug 1500 bis 25 000 je Kilogramm

An Bord der Kapsel befinden sich 300 Kilogramm Fracht, die nach dem Test wieder unbeschadet zur Erde zurückkehren sollen. Die Space-Firma Dcubed will zum Beispiel 3D-Druck in der Schwerelosigkeit ausprobieren, das Start-up Neurospace Mechanismen für einen Mondrover, also ein auf dem Mond bewegliches Roboter-Fahrzeug. Außerdem fliegen Life-Science-Experimente mit, aber auch der Test für ein Haarshampoo. Eher ungewöhnliches Frachtgut sind die Asche Verstorbener aus den USA und eine Tasse von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.

„Wir haben den Kunden mindestens 30 Minuten Schwerelosigkeit garantiert“, sagt Maier. Viel mehr Zeit bleibt bei dem dreistündigen Testflug auch nicht. Je nachdem, wann die Kunden gebucht haben, zahlen sie dafür 1500 bis 25 000 Euro je Kilogramm. „Profitabel werden wir nicht sein, das war auch nie Sinn und Zweck der Mission“, sagt er. Der Flug koste inklusive Start immerhin 30 Millionen Euro.

Die Gründer bezeichnen den Testflug als „Mission Possible“ – ein Unterfangen, das auf Anhieb klappen könnte. Im Gegensatz zum Testflug der kleineren Kapsel Bikini, die seit Juli vorigen Jahres um die Erde kreist, anstatt wie geplant in die Atmosphäre einzutreten und Daten zu liefern. Eine Panne mit der Oberstufe der neuen Ariane-Rakete hatte dies verhindert, die Bikini-Testkapsel soll erst im Jahr 2049 verglühen.

Die Minikapsel „Bikini“ beim Testflug von The Exploration Company im Juli 2024 auf der Oberstufe der „Ariane 6“.
Die Minikapsel „Bikini“ beim Testflug von The Exploration Company im Juli 2024 auf der Oberstufe der „Ariane 6“. (Foto: ESA)

Nun wolle das Start-up die Kernkompetenzen der Kapsel zeigen, sagt Victor Maier über den jetzigen Prototyp. Entscheidend ist die Rückkehr zur Erde, die für TEC zum Konzept der Frachtflüge zur ISS gehört. Die Testkapsel soll zweieinhalb Mal die Erde umrunden, dann mit 16 kleinen Triebwerken so manövrieren, dass sie mit dem Hitzeschild voran in die Atmosphäre eintritt und mit zwei Fallschirmen im Pazifik wassert. Im Juli soll sie wieder in Bayern sein.

The Exploration Company möchte Geld mit Raumkapseln verdienen, die die ISS mit Ausrüstung versorgen. Bis jetzt erledigen dies Frachtschiffe der beiden US-Firmen Space-X und Northrop-Grumman sowie russische Kapseln. Und da die veraltete ISS etwa 2030 im Ozean versenkt werden soll, werden dann kommerzielle Raumstationen interessant. Darunter Blue Origin von Amazon-Gründer Jeff Bezos oder ein Projekt der US-Firma Voyager Space und des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns Airbus, die zusammen die Raumstation Starlab bauen wollen. Weitere Kandidaten sind die US-Firmen Axiom und Vast. „Mit jeder Station multipliziert sich der Bedarf an Raumkapseln, deshalb sehen wir einen stark wachsenden Markt“, sagt Victor Maier. Bis 2035 werde es acht bis zwölf Versorgungsmissionen pro Jahr geben, danach 20 pro Jahr, glaubt er. Analysten der Beratungsfirma PwC haben bis 2040 ein Marktvolumen von bis zu 40 Milliarden Euro für kommerzielle Raumstationen prognostiziert.

Für den Bau der Kapsel braucht die Firma eine größere Fabrikhalle

TEC will mit Nyx Earth davon profitieren. Die Kapsel hat einen Durchmesser von vier Metern und ist viereinhalb Meter hoch, dazu kommt ein Servicemodul für die Stromversorgung. Für den Bau der Kapsel braucht die Firma eine größere Fabrikhalle – Mindesthöhe zehn Meter, ebenfalls bei München. Nyx Earth soll etwa vier Tonnen transportieren können. Zum Vergleich: Die Frachtkapsel von Space-X fasst etwa sechs Tonnen. Die Nyx-Kapsel aus Aluminium und Composite ist für bis zu sechs Missionen ausgelegt, das Servicemodul nicht wiederverwendbar. Die Entwicklungskosten liegen laut Maier bei etwa 450 Millionen Euro. Das Konzept sieht vor, dass TEC die Hälfte finanziert, der Rest kommt von Privatinvestoren, „sodass die Raumfahrtagentur Esa und deren Mitgliedstaaten weniger Risiko bei der Entwicklung eines solchen Systems tragen“, erklärt Maier.

TEC hat nach eigenen Angaben bereits Verträge mit Starlab, Vast und Axiom abgeschlossen, aber auch mit der Esa. Gesamtvolumen: 800 Millionen Euro. TEC hatte vor einem Jahr neben dem französisch-italienischen Konzern Thales Alenia Space den Zuschlag der Esa bekommen, eine wiederverwendbare Frachtkapsel zu entwickeln. „Die Esa hat sich verpflichtet, die erste Phase der Entwicklung eines Frachtschiffs zu finanzieren, das drei bis vier Tonnen in den Weltraum bringen wird“, sagte Esa-Chef Josef Aschbacher der SZ damals. Dabei wolle er mehrere Anbieter nutzen. Vorbild ist ein ähnliches Frachtprogramm der Nasa.

Computerillustration: Die Frachtkapsel „Nyx“ nähert sich der Raumstation „ISS“.
Computerillustration: Die Frachtkapsel „Nyx“ nähert sich der Raumstation „ISS“. (Foto: The Exploration Company)

„Wir rechnen damit, dass wir zunächst eine institutionelle und eine kommerzielle Mission im Jahr fliegen können“, sagt Maier. Die Firma wäre bereits mit einer Mission pro Jahr rentabel. Eine Frachtmission koste inklusive Start etwa 150 Millionen Euro, TEC peilt für Flüge zu einer Raumstation also einen Preis von 37 500 Euro je Kilogramm Fracht an. Günstiger seien Flüge, bei denen Nyx nirgends andocke und für Experimente in der Schwerelosigkeit selbständig bis zu sechs Monate im Orbit verbleibe.

Der Erstflug zur ISS ist für August 2028 geplant: Die Esa will damit Ausrüstung, Lebensmittel und Experimente befördern. Auf dem Rückweg soll die Kapsel Müll und Ergebnisse von Experimenten mitnehmen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) möchte 160 Kilo Versuche aus den Bereichen Biologie, Medizin, Humanphysiologie, Physik und Materialforschung ins All bringen. Die Nyx-Kapsel biete „der Wissenschaft die Möglichkeit, auf einer neuen Plattform ihre Forschung unter Weltraumbedingungen vorantreiben zu können“, sagt Walther Pelzer, Chef der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR. Es gebe sonst keine europäische Fluggelegenheit für Experimente ins All, die größere Anlagen über 100 Kilogramm benötigen.

TEC will Nyx modifizieren, um damit Fracht auf dem Mond landen zu können. Auch eine Version, um Astronauten zu befördern, ist bereits angedacht. „Eine solche Kapsel in Europa zu bauen, ist eine politische Entscheidung“, sagt Maier. Das liegt vor allem an der Dauer und dem Preis des Projekts. Die Entwicklung einer europäischen Astronautenkapsel braucht etwa zehn Jahre und kostet mehr als eine Milliarde Euro.