Bau-Turbo: Das fehlende Puzzleteil für den Wohnungsbau

Baulücken in Wohngebieten zu schließen, ist eine heikle
Sache. In Berlin-Mitte zeigt sich, warum: Vor einem
Neubauprojekt in der Köpenicker Straße, wo mehr als Hundert neue Wohnungen entstehen sollen, hat sich eine Gruppe von Anwohnerinnen
und Anwohnern versammelt, bei denen sich viel Frust angestaut hat. Die Lärmbelästigung
sei enorm, murrt eine ältere Dame und zeigt auf die Baustelle vor ihr. Und schmutzig
sei es vor ihrem Wohnhaus, das daran angrenzt, auch. Zahlreiche Bäume seien
direkt vor ihrer Tür gefällt worden. „Aber für uns hat keiner ein Ohr“, klagt
die Frau.

Bauministerin Verena Hubertz hat die
Baustelle in Berlin-Mitte ausgesucht, um ihren Gesetzentwurf für einen sogenannten „Bau-Turbo“ vorzustellen, den das Bundeskabinett an diesem Mittwoch beschlossen hat. Ihrer Ansicht nach ist der Neubau in der Köpenicker Straße nicht das Problem,
sondern die Lösung. Wenn es nach der SPD-Politikerin geht, sollen künftig noch
viel mehr solcher Projekte umgesetzt werden. Nachverdichtung und Aufstockung
sind die Zauberwörter, mit denen Hubertz den Wohnungsbau wieder
in Schwung bringen will. Kann das gelingen?

„Wir sind viel zu langsam“, sagt Hubertz vor der Baustelle. „Wir
sind viel zu kompliziert.“ Die Ministerin will deshalb jetzt „Tempo, Tempo,
Tempo“ machen. Nur wollten das andere vor ihr auch schon. Wie gut oder
vielmehr schlecht das funktioniert hat, ist bekannt. Vor allem wegen der
gestiegenen Materialkosten und Zinsen wurde zuletzt immer weniger gebaut. Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen ist 2024 im Vergleich zum
Vorjahr um 14,4 Prozent gesunken: 251.900 Wohnungen. 2021
bis 2023 waren es immerhin noch 294.000. Dabei wollte die Ampelkoalition
doch eigentlich 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen.

Künftig sollen Städte und Gemeinden deshalb von den bisher
geltenden Vorschriften des Planungsrechts abweichen können, heißt es im
Gesetzentwurf.  Zum Beispiel bei der Aufstellung eines Bebauungsplans. Voraussetzung
sei, dass die Abweichung mit den Interessen der Allgemeinheit vereinbar sei und
dass es darum gehe, Wohnraum zu schaffen. Außerdem müssten Auswirkungen auf die
Umwelt ausgeschlossen und „nachbarschaftliche Interessen“ gewürdigt werden.
So soll unter anderem eine sogenannte Nachverdichtung wie in der Köpenicker Straße
künftig einfacher werden. Bislang scheiterten solche Projekte oft an zu
strengen städtebaulichen Hürden, heißt es aus dem Bauministerium. Oder an den Beschwerden von Anwohnern.

Fehlplanungen sind möglich

Ob das Gesetz die Bezeichnung „Bau-Turbo“ verdient, wird sich zeigen.
In der Vergangenheit sprach Hubertz auch schon mal von einer „Brechstange“. „Der Name weckt zu hohe Erwartungen“, kritisiert der Immobilienexperte Michael
Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft. Dennoch spricht der Ökonom
von einem „wichtigen Puzzleteil“. Voigtländer sieht vor allem einen Vorteil: „Die
Kommunen können künftig schneller und einfacher Bauland ausweisen.“ Denn sie müssten nicht mehr alle Einwände etwa von
Umweltverbänden oder Anwohnern bearbeiten. Bislang habe deren verpflichtende Bearbeitung Planungsverfahren oft in die Länge gezogen. 

Tatsächlich dauert es oft mehrere Jahre, einen Bebauungsplan
zu erstellen oder zu ändern. Hubertz will diesen Planungszeitraum nun deutlich
verkürzen. Wenn eine Gemeinde den „Bau-Turbo“ anwende, könne innerhalb von zwei
Monaten ein Bebauungsplan ersetzt werden, heißt es. Ein Risiko: dass es
dabei zu Fehlplanungen kommt, ein steigendes Verkehrsaufkommen zum Beispiel nicht ausreichend
berücksichtigt wird. Immerhin haben die bisherigen Verfahren auch ihre Berechtigung. Immobilienfachmann Voigtländer hält dieses Risiko jedoch
für verschmerzbar. „Der Druck im Markt
ist so groß, dass wir den Wohnungsbau prioritär behandeln müssen“, sagt er.