
Es war wieder eine dieser Wochen, in der es nicht nur um den Krieg im Nahen Osten und die katastrophale humanitäre Lage in Gaza ging, sondern auch darum, wer die eigene Position zu den Ereignissen besser zu präsentieren wusste. Da wurde die (inzwischen nicht mehr nur) Klimaaktivistin Greta Thunberg, die gemeinsam mit der Protestbewegung Freedom Flotilla Coalition von Sizilien aus Richtung Gaza gesegelt war, vom israelischen Militär gestoppt.
Und während die einen in der Reaktion der israelischen Armee eine Verletzung des Völkerrechts sahen und sagten, Thunberg schaffe erfolgreich Aufmerksamkeit für das Leiden der Palästinenser, kritisierten die anderen, dass sie das an der Seite des brasilianischen Aktivisten Thiago Ávila tat, der auf der Beerdigung von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah gewesen war, sie meinten, die Aktion sei von Anfang an ohnehin nicht mehr gewesen als Aktivisten-PR. Die Zeitungen waren jedenfalls voll von Greta Thunberg, den Reaktionen des israelischen Militärs und der Frage, wem das Ganze nun eigentlich mehr genutzt habe.
Wenige Tage vor Thunbergs Ankunft gaben die israelische Friedensaktivistin Elana Kaminka, die ihren Sohn am 7. Oktober verloren hat, und der palästinensische Friedensaktivist Aziz Abu Sarah, dessen Bruder vor vielen Jahren getötet wurde, deutlich weniger medienwirksam dem britischen Sender Sky News ein Doppelinterview. Darin sagte Abu Sarah: „Ich würde sagen, dass die meisten Menschen, die sich in den vergangenen zwei Jahren für Frieden ausgesprochen haben, Familienmitglieder verloren haben (. . .) Und oft sind es die, denen das nicht so geht, die sagen: Wir müssen alles opfern, bis zum letzten Tropfen.“ Der Moderator fragte: „Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Stimmen wie Ihre lauter und irgendwann den Diskurs dominieren werden?“ Und Abu Sarah, dessen Followerzahl auf Instagram an die von Thunbergs Aktivistenkollegen nicht annähernd heranreicht (an ihre ohnehin nicht), antwortete: „Wir werden gehört, wenn Leute wie Sie uns einladen.“
Protest willkommen!
Ebenfalls in dieser Woche, an einem Mittwochabend, tritt der palästinensisch-israelische Schauspieler Yousef Sweid auf die Bühne des Berliner Gorki-Theaters, mitten in die Gemengelage hinein, und strahlt einladend ins Publikum. Er wisse, sagt er, einige seien an diesem Abend mit Zweifeln gekommen, mit eigenen Meinungen. Sweid spielt heute gleich zweimal seinen einstündigen Soloabend „Between the River and the Sea“, eine Einladung, könnte man meinen, die persönliche Haltung zu Israel und Gaza laut kundzutun, weshalb Sweid diese Möglichkeit gleich mit einkalkuliert hat: Er sei offen für jede Art von Kritik und Protest, ein paar Banner („All eyes on Gaza“, „All eyes on Tel Aviv“, „I wasn’t there but I still care“) hat er auch dabei.
Im Publikum sitzen Menschen jeden Alters, manche sprechen Englisch, manche Deutsch, ein junger Mann trägt eine Kufiya um die Schultern. Alle bleiben still. Es hat ja gerade erst angefangen, und außerdem, sagt Sweid dann, werde er ohnehin nicht über den Krieg im Nahen Osten reden, sondern über seine, also Sweids, Scheidung. An dieser Stelle kommen die ersten Lacher, und es werden noch viele folgen, denn es gibt einige wirklich gute Pointen in diesem Stück.
Die Scheidung jedenfalls, von der Sweid heute erzählen will, ist die von einer jüdischen Frau, genauer: seiner zweiten jüdischen Frau. Und weil er ein palästinensischer Israeli (oder, da fängt es schon an, ein Palästinenser mit israelischem Pass?) ist, ist das Private selbstverständlich politisch, und um die Scheidung geht es dann gar nicht so viel.
Ein Leben im Dazwischen
„Between the River and the Sea“ ist ein autobiographischer Abend, er beginnt mit Sweids Kindheit, in der er sowohl jüdische als auch arabische Schulen besuchte und er schon damals oft eins war: dazwischen. Wie er, nachdem ein jüdisches Kind ihn im Kindergarten als „stinkenden Araber“ beschimpft hatte, zum ersten Mal lernte, was das überhaupt ist, ein Araber, und ins Nachdenken kam: Werde ich gemobbt, weil ich Araber bin? Ist der Lehrer streng, weil ich Araber bin? Bekomme ich Süßigkeiten geschenkt, weil ich Araber bin?
Wie er einen Mix aus Arabisch und Hebräisch sprach, einen palästinensischen Lehrer bewunderte, während ein israelischer Mitschüler sein bester Freund wurde. Wie er dann irgendwann mit der israelischen Regisseurin Yael Ronen ein Kind bekam, sie heiratete und mit ihr nach Berlin zog, wo er bis heute lebt. Es geht um die internationale Berliner Bubble, um Flat-White-Kaffee und um Menschen, die ihre Meinung („Free Palestine“ – „From Hamas“) sogar auf dem Café-Klo kundtun müssen.
Welche Geschichte kann man erzählen?
„Between the River and the Sea“, das im April Premiere hatte, kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Lage in Gaza weiter eskaliert und sich hier, in Sicherheit und weit weg von allem, Freundeskreise über den Krieg zerstreiten, ja es manchmal sogar im Privaten zu physischer Gewalt kommt. Bis zu seinem Stück hatte Sweid, der in Israel eben erst für seine Rolle als arabischer Therapeut in der Serie „Night Therapy“ zum Schauspieler des Jahres gewählt wurde, sich nie zu alldem geäußert. Die Idee für „Between the River and the Sea“, sagt Sweid im Gespräch mit der F.A.S. und der Regisseurin des Stücks, Isabella Sedlak, sei in einem Moment der Leere und Hoffnungslosigkeit gekommen. Erst als sein Teenager-Sohn, der sich bisher nie für den Nahostkonflikt interessiert hatte, ihn danach fragte, habe er zu Sedlak, mit der er seit Langem befreundet ist, gesagt: Ich will etwas machen. Ausgehend von der Frage, welche Geschichte, welche Perspektive auf den Konflikt er seinem Sohn weitergeben wolle, entstand „Between the River and the Sea“.
Im Stück ist Sweid allein auf der Bühne, Stimmen von außen gibt es trotzdem. Sweid spricht sie ins Mikro, die seines Vaters, seiner Freunde, Stimmen, die sagen: Du musst dich positionieren! Warum positionierst du dich nicht? Hast du zu alldem nichts zu sagen?
Sweid hat durchaus eine Haltung, aber die in einen Slogan zu packen, funktioniert nicht so richtig, zumindest gibt es zu diesem (gescheiterten) Versuch im Stück einen ziemlich lustigen Gag. Sehe er bestimmte Beiträge von Freunden in den sozialen Medien, sagt Sweid im Gespräch, frage er sich: „An wen richten sich diese Posts? Die meisten Freunde auf Instagram haben eh die gleiche Meinung. Und wenn nicht, dann blockst du sie eben.“ Sweid hat nichts gegen diese Beiträge, er kann verstehen, dass man sich als Teil einer Gruppe fühlen, gemeinsam für die gleiche Sache kämpfen will. Aber abgesehen davon, dass das für ihn biographisch komplizierter ist, glaubt er: „Du überzeugst damit niemanden. Du bedienst nur die Erwartungen an dich.“ Ändern werde sich so nichts.
Die Deutschen und der Nahe Osten
Während der Arbeit am Stück nahm Sedlak Sweid zu einem Treffen von Menschen aus der Berliner Kulturbranche mit. Es war zu der Zeit, als Veranstaltungen wegen bestimmter Positionen abgesagt wurden, und da saß nun eine große Gruppe Deutscher, die hitzig über den Nahen Osten diskutierte. Sweid, sagt Sedlak, sei davon sehr überrascht gewesen. Warum seien Menschen, die gar nicht von dort kämen, so emotional?
„Da waren keine Palästinenser“, sagt Sweid, „aber da waren Deutsche, die pro-Palästina waren, und ich fragte mich, von einem unschuldigen Standpunkt aus, warum.“ Er verstehe Palästinenser, die um ihr Leben kämpften, und Israelis, die sich dafür einsetzten, ihre kriminelle Regierung loszuwerden. Aber bei Deutschen sei er vorsichtiger. Natürlich freue er sich über Zuspruch, aber: „Lieben sie uns, die Palästinenser, weil sie uns wirklich lieben?“ Oder wegen ihres Hasses auf die andere Seite? Andersherum: „Unterstützt du Israel, weil dein Großvater ein Nazi war, egal was die aktuelle Regierung macht?“ Oder, ergänzt Sedlak: „Bist du für die Palästinenser, weil dein Großvater ein Nazi war?“
Sie hätten, sagt Sedlak, gemeinsam mit ihrem israelischen Musiker darüber gewitzelt, dass das Ganze doch ein bisschen wie ein Gladiatorenkampf sei: Da werde gekämpft, auf einem winzigen Stück Land, die Welt schaue zu und wähle eine Seite. Daumen hoch, Daumen runter. Er habe nichts gegen starke Meinungen oder klare Positionen, sagt Sweid, und Regierungen durch Druck zum Handeln zu bewegen, sei gut. Aber nur, wenn man sich auch über die Zusammenhänge informiere: „Es muss tiefer gehen, als zu sagen: Dieser Gladiator sieht besser aus.“
Humor als Hilfe
Das „Dazwischen“ wird im Nahostkonflikt oft als Teilnahmslosigkeit, als Nichtposition wahrgenommen. Was seltsam ist, weil es, gerade im Nahen Osten, ja durchaus Leute gibt, die diese Position vehement und mit großem persönlichem Einsatz vertreten. Vielleicht liegt es daran, dass dieses „Dazwischen“, die vermittelnde Position, staatstragend und banal klingen kann (wer will keinen Frieden?), so als würde man die Komplexität der Lage genauso wenig anerkennen wie diejenigen, die eine der beiden Seiten gewählt haben. „Between the River and the Sea“ entgeht dieser Falle durch Humor. Ein lustiges Stück über den Nahen Osten zu machen, ist natürlich heikel. Kurz vor Probenende, erzählen Sedlak und Sweid, sei die Presseabteilung des Gorki-Theaters, seien auch Freunde ein wenig nervös geworden. Ob sie nicht noch einmal über den Titel nachdenken wollten?
Allerdings dient Humor in „Between the River and the Sea“ nicht dazu, die Situation zu verharmlosen, sondern sie zu ertragen. Sedlak erzählt von ihrer früheren Arbeit als Sozialarbeiterin mit Jugendlichen: „Die haben mir das, was sie durchmachen mussten, nicht auf dramatische Weise erzählt. Sie erzählen es dir, während du mit ihnen Uno spielst. Und danach reden sie wieder über Lady Gaga.“ Daran habe sie sich orientiert. Im Stück werde es schmerzhaft, aber dann müsse man da wieder herausfinden.
„Between the River and the Sea“ endet mit einer, zugegebenermaßen etwas kitschigen, Utopie. In der medialen Aufmerksamkeitsökonomie ist das bisher keine Position, die sonderlich gut klickt, auch wenn viele Leute sie teilen. Gerade weil im Nahostdiskurs die Positionen oft klar, alle Argumente längst ausgetauscht sind, möchte man von den Nuancen, von Biographien wie Sweids, mehr hören.