
Warum brennt und zwickt die Zunge nach dem übermäßigen Genuss von frischer Ananas? Das Enzym Bromelain ist für diesen Effekt verantwortlich und wird in einigen Küchen Asiens sogar für diesen Effekt genutzt. Es lohnt der Blick auf eine oft missverstandene Frucht, die mehr verdient hat, als im Syrup in der Blechbüchse zu schwimmen.
Die Ananas hatte einen glorreichen Start in Europa. Nachdem Columbus 1493 auf der karibischen Insel Guadeloupe von ihr probierte, gelangte sie über den Seeweg in die Alte Welt und wurde für eine Zeit zum Statussymbol, denn der spanische König Ferdinand II. konnte die einzige nicht beim Transport vergammelte Frucht probieren und erklärte sie zu seinem absoluten Liebling. Da der Anbau (bis zum Einsatz von Gewächshäusern im achtzehnten Jahrhundert) in Europa nicht möglich war, wurden unreife Exemplare importiert und so lange als Tischdekoration ausgestellt, bis sie komplett verwest und unpräsentierbar waren – gegessen wurden sie aufgrund ihrer Kostbarkeit kaum. Die kollektive Besessenheit der europäischen Elite von Ananas lässt sich bis heute an zahlreichen Palais, antiken Möbeln und Küchengeschirr erkennen, die mit ihr verziert sind.
Fragwürdige Klassiker wie Toast Hawaii
Der Süden und Südosten Asiens hat deutlich ananasfreundlichere Gefilde. Vom 16. Jahrhundert an fand die Frucht in Indien und später weiteren tropischen Regionen ein neues Zuhause und nach und nach in den lokalen Küchen ihren Platz.
Im Westen sollte es noch eine Weile dauern, bis kommerzielle Plantagen – deren Ware in Dosen konserviert werden musste – erst aus Hawaii, später aus den Philippinen die ganze Welt mit dem günstigen, zuckersüßen und aromabefreiten Obst versorgen konnten. Dieser Kommerzialisierung haben wir fragwürdige Klassiker wie Toast Hawaii oder Pizza Hawaii zu verdanken.
Ein Kochbuch von 1819
Im Sommer 2023 besuchte ich zum wiederholten mal das thailändische Restaurant „Khao Taan“ in Berlin-Friedrichshain und aß ein Miesmuschelcurry mit Ananas, das ich bis heute nicht vergessen kann. Die Soße schmeckte nach Meer, scharf und cremig, aber auch erfrischend süß und säuerlich mit zarten Stücken von gegartem Frucht- und Muschelfleisch. Das Lokal von Gaan Kitkoson bietet eine wechselnde Karte an. Es wird empfohlen, „Family Style“ zu bestellen, also alles zu teilen, wie es an einem asiatischen Esstisch üblich ist.
Obwohl man „Khao Taan“ auf den ersten Blick als modern bezeichnen könnte, gibt Kitkoson eher jenen Traditionen ein neues Gesicht, die bekannteren Thai-Gerichten wie Pad Thai oder dem Green Curry teils Jahrhunderte voraus haben. Alte Kochbücher bieten eine fruchtbare Inspirationsquelle. Das älteste, das er bisher zu Rate zog, war von 1819. „Ich dachte mir, warum zeigen wir den Leuten nicht die Gerichte, die wir auch zu Hause essen würden?“, erklärt er. „Erst als Thailand versucht hat, unser Essen verständlicher für den Westen zu machen, wurden unsere Currys mit komischen Farbcodes wie ‚grün‘, ‚gelb‘ oder ‚rot‘ versehen.“

Im Gegensatz zu den meisten thailändischen Restaurants sind bei „Khao Taan“ keine Flaggen oder Portraits des Königs ausgestellt. Das liegt auch daran, dass das Lokal nicht am Programm „Thai Select“ teilnimmt, einem Projekt der thailändischen Regierung, das Köche ausbildet, Menüs für Restaurants vorgibt und Exportprodukte bewirbt, die alle ein vorteilhaftes Bild aufs Land werfen sollen. Neben der Ananas verwendet Gaan Kitkoson übrigens auch gern saisonale Zutaten aus dem Umland, wie zum Beispiel Erdbeeren, die er statt der üblichen Pomelos mit gerösteter Kokosnuss, Fischsauce, Chili- und Tamarindenpaste in einen Salat verwandelt.
Bromelain greift die Zunge an
Wer schon mal eine große Portion roher Ananas gegessen hat, kennt das zwickend-brennende Gefühl auf der Zunge, das hinterher entsteht. Das liegt daran, dass die Zunge vom Enzym der Ananas zersetzt wird – jedenfalls oberflächlich. Bromelain heißt das Enzym, das in jedem Teil der Pflanze zu finden ist, Eiweißstrukturen angreift und Fleisch somit schneller weich werden lässt. Der Wirkstoff wird in der Medizin auch als entzündungshemmendes und verdauungsförderndes Mittel in Tablettenform verschrieben.
Im Muschelcurry bei „Khao Taan“ stand zwar das Aroma und der Kontrast zum salzigen Muschelsud im Vordergrund, doch dass das Fleisch so zart wird, ist sicherlich auch dem Bromelain zu verdanken. Verschiedene Sorten von Ananas können ein Gericht mit unterschiedlichen Aspekten unterstreichen: Manche sind süßer, andere saurer. Einige sind trockener mit vielen Fasern und eignen sich gut zum Kochen, während andere förmlich vor Saft platzen.
Kitkoson benutzt Ananassaft allerdings meist nicht aktiv als „Zartmacher“ für Fleisch, denn der enthaltene Zucker bringt seine eigenen Tücken mit: „Meine Grillspieße würden viel zu schnell verbrennen, wenn ich sie mit Ananas marinieren würde“, sagt er. Stattdessen greift er hier zu zuckerarmen, fast geschmacksneutralen jungen Papayas, die ein ähnliches Enzym besitzen.
Fruchtfleisch in Schmorgerichten
Trotzdem finden sich neben der thailändischen Küche, in der beispielsweise Ananas im gebratenen Reis die Fleischbeigabe zart macht und ein süß-saures Gegenstück zum Umami bietet, auch zahlreiche Beispiele anderswo in Asien. Ananas gehört zu den wichtigsten Agrarexporten Taiwans, und Taiwaner sind bekannt für ihre Liebe zum Süßen, deshalb wird das Fruchtfleisch zu Schmorgerichten gegeben und auch mit frittierten Shrimps serviert. Auf den Philippinen wird an Ostern Schinken mit Ananas gekocht, und in Malaysia kommt sie in den Salat „Rojak“, um den Chilis und der kräftigen Garnelenpaste entgegenzuwirken.
Kitkoson selbst experimentiert immer wieder mit neuen Herstellungsmethoden in seiner Küche. „Als ich kürzlich anfing, an einer eigenen Fischsauce zu basteln, wurde ich direkt von thailändischen Kollegen gefragt, ob ich denn die Schalen von Ananas zu den Sardellen gegeben habe“, sagte Kitkoson. „Ich dachte eigentlich, das sei für den Geschmack, aber vermutlich beschleunigen sie den Prozess auch.“
Wer den aufregenden Kick von Ananas im herzhaften Setting ausprobieren möchte, sollte Kitkosons liebsten Sommersnack ausprobieren. Dafür kombiniert er frisch gekochten Klebreis (gedämpfter Jasminreis zum Beispiel) mit gewürfelter Ananas, einem Schuss Fischsauce und frischen oder getrockneten Chilis. „Es mag einfach sein, aber dieses Gericht kombiniert alle Hauptgeschmäcker der thailändischen Küche“, sagt er.