Der Sommer ist da: Sind auch Sie wetterabhängig?

Nun ist er da, der Sommer. Vorher war er noch nicht da, was immer der Kalender sagt. Denn vorher war ihm als Sommer noch nicht zu trauen, es gab durchaus heiße, für Wetterfühlige phantastisch leichte, leichtgewichtige, leicht zu nehmende Tage, die aber in ihrer Vereinzelung doch nur zeigten, was im Ganzen möglich wäre, aber nicht wirklich wurde, weil die Sonne sich tags darauf gleich wieder kalt gab und Beschwernis ausstrahlte, beschwerliche Ideenhaftigkeit.

Es galt, ein Leben im Rückfallmodus zu meistern, den bipolaren Wettereinfällen geschmeidig zu folgen. In diesem zermürbenden Hin und Her war hierzulande von Mai an Schopenhauer wieder zu seinem verdrießlichen Recht in den Seelen gekommen, wonach Glück, schwebendes Sein, nun einmal nur als Illusion zu haben sei.

Umso wohltuender erfährt der psychische Apparat jetzt, da es die Temperaturlage hergibt, den entschlossenen, alles auf die Wärmekarte setzenden Durchgriff des Sommers in die ausgenüchterten Produktivkräfte. Zipfel der Leichtigkeit, wohin man auch schaut und fühlt, als müsse man sie nur ergreifen. Denn inzwischen gibt es im Ausblick aufs Thermometer eine Stabilitätserwartung: all die nächsten Tage nicht unter 25 Grad, die Rückfallquote ins meteorologisch Garstige vernachlässigbar.

Nebelbildungen im Gehirn

Das em­powert gefühlt für die Ewigkeit, verheißt Enttäuschungsresistenz. Und offenbart zugleich auf bestürzende Weise die Umwertung aller Werte, sobald das Gemüt sich dauerhaft beschienen fühlt. Auf einmal erscheint die Meteorologie als reale Basis des Menschseins, worauf sich Bewusstseinsformen, seien sie vereinzelt oder gesellschaftlich, als Überbau erheben, also all die Nebelbildungen im Gehirn als abgeleitete Erscheinungen des Wetters greifbar werden.

Mit anderen Worten: Was in der Kälte noch gewichtig war, verflüchtigt sich in der Wärme und umgekehrt. Wer von uns Ideenhabern würde da nicht zustimmen, wenn er den Satz liest: „Auch die Nebelbildungen im Gehirn der Menschen sind notwendige Sublimate ihres materiellen, empirisch konstatierbaren und an materielle Voraussetzungen geknüpften Lebensprozesses.“ Der Satz stammt von den beiden Übervätern der Basis-Überbau-Theorie, Marx und Engels, formuliert in der Schrift „Die deutsche Ideologie“, und man muss im Zusammenhang des Geschriebenen nur Ökonomie durch Meteorologie ersetzen, um ganz genau zu wissen, was die Existenzgrundlage jeder noch so geistgetriebenen Menschengestalt ausmacht: der Wärmegrad des Seins.

Womit im Aufschwung des Sommers das Leben als verpfuscht erscheint: Warum habe ich es nicht immer so sonnig wie jetzt? Warum lebe ich nicht dort, wo die Sonne das ganze Jahr hindurch scheint? Wie kann es sein, all die Jahre zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein? Welchen falschen Fährten folge ich tagaus, tagein? Von wegen leichter Sommer: Er macht uns mit seinen Fragen das Leben schwer.