1300 Kilometer durch fünf Alpenländer: Celine Lorenz aus Mittenwald ist die einzige Frau beim härtesten Gleitschirm-Rennen der Welt – Sport

Und nun die Wettervorhersage für Kitzbühel: Am Donnerstag 11 bis 29 Grad, zwölf Stunden Sonne, Niederschlagswahrscheinlichkeit: zehn Prozent. Das wären gute Bedingungen für den Prolog des Rennens. Weniger gut sieht es für den eigentlichen Start des Wettkampfs am Sonntag aus: 13 bis 25 Grad, Regenwahrscheinlichkeit 55 Prozent, zwei Liter pro Quadratmeter, was den Auftakt des Fly&Hike-Wettbewerbs namens Red Bull X-Alps zur Wanderveranstaltung schrumpfen lassen könnte. Wenige sportliche Wettkämpfe sind wetterabhängiger als das wohl härteste Gleitschirmrennen der Welt: 1300 Kilometer durch fünf Alpenländer.

Die Strecke der zwölften Ausgabe hat die Form einer liegenden Acht, mit 16 Turnpoints. Von Kitzbühel geht es über den Alpen-Hauptkamm Richtung Sextner Dolomiten, weiter nach St. Moritz, vorbei am Mont Blanc bis nach Les Deux Alpes und über Lago Maggiore und Zugspitze zum Ziel nach Zell am See. Erlaubte Fortbewegungsmittel: der Gleitschirm und die eigenen Füße. Nicht mal durch einen Tunnel darf man laufen. Von 21 bis sechs Uhr ist Ruhepflicht, die Teilnehmer dürfen sich nicht weiter als 250 Meter von der Ruheposition weg bewegen, mit einer Ausnahme: dem Nightpass, mit dem man ein Mal nachts laufen darf. Außerdem erlaubt: ein Supporter, der im Camping-Bus für Verpflegung, Nachtlager und Motivation sorgt. Neu sind drei Klettersteige, die den Athleten alpine Fähigkeiten abverlangen.

Celine Lorenz, 26, ist deutsche Meisterin im Streckenfliegen. Ihr X-Alps-Plan: „Vollgas geben, gesund landen und vor allem Spaß haben, denn nur mit Spaß läuft es auch gut.“
Celine Lorenz, 26, ist deutsche Meisterin im Streckenfliegen. Ihr X-Alps-Plan: „Vollgas geben, gesund landen und vor allem Spaß haben, denn nur mit Spaß läuft es auch gut.“ (Foto: Zoom Productions/oh)

Wer sich so etwas antut? 34 Starter aus 17 Nationen, darunter eine einzige Frau: Celine Lorenz, 26, geboren in Mittenwald, zu Hause auf der Winklmoosalm, wo ihre Mutter die Traunsteiner Hütte bewirtet. An der jungen Deutschen liege es jedenfalls nicht, wenn es zum Start regnen sollte: „Ich bin eifrig am Teller leer essen, damit das Wetter auch ja gut wird.“

Man kann Celine Lorenz nur als unbekümmertes Wesen beschreiben. Bei ihrer ersten Teilnahme vor zwei Jahren knickte sie kurz vor dem Start bei einem Foto-Shooting für das Rennen nach einem Hüpfer von einem Felsen so krass um, dass der Knöchel auf Tennisballgröße anschwoll – ein denkbar schlechter Zeitpunkt für eine Bänderdehnung. „Suboptimal“ sei das gewesen, sagt sie rückblickend, „aber ich habe trotzdem alles gegeben.“ Aufgeben war keine Option: „Ich hatte so viel Geld und Vorbereitung in das Rennen reingesteckt, wollte unbedingt dabei sein. Die Hälfte habe ich ja auch geschafft.“ Nach 1300 zurückgelegten Kilometern, 1100 davon fliegend, war dann Schluss, irgendwo zwischen Fiesch und Frutigen in der Schweiz, gar nicht weit vom verschütteten Ort Blatten im Lötschental: „Der Race-Doktor ließ mich nicht mehr weiterlaufen. Ich war wohl kurz vor der Blutvergiftung.“ Der geschwollene Knöchel hatte ihr Gangbild verändert und ihr heftige Blasen beschert – ein Unding, auch nur auf die Idee zu kommen, mit diesem Fuß an einem solchen Rennen teilnehmen zu wollen. Lorenz sagt nur: „Ich konnte dennoch viele Erfahrungen sammeln und weiß jetzt, was ich verbessern will.“

Diesmal tritt sie mit einem größeren Team an: Fünf Supporter in zwei Autos begleiten sie auf ihrem schwer berechenbaren Weg durchs Gebirge. Chef-Supporter ist Tim Ungewitter, Mitglied des Paragliding-Nationalteams, dazu „zwei starke Läufer, die auch gut fliegen, als meine Sherpas“, sagt Lorenz, „eine Physiotherapeutin, die auch kocht, und einer mit Kamera für Videos und Fotos, für social media“. Mit einer Mentaltrainerin hat sie ebenfalls gearbeitet, sich also viel professioneller vorbereitet. Und das, obwohl das Geld vorn und hinten nicht reicht: „Ich kann gerade so von den Sponsoren leben, von der Hand in den Mund.“ Geld verdient sie als Gleitschirm-Fluglehrer-Assistentin in Unterwössen im Chiemgau. Dass sie bei der Mutter auf der Winklmoosalm mit anpackt, wenn viel los ist, verstehe sich von selbst: „Ich bin ja in der Gastro aufgewachsen.“

Dass mit diesem Sport nicht viel Geld zu verdienen ist, kann die Leidenschaft von Celine Lorenz nicht bremsen

Dass mit diesem ungewöhnlichen Sport nicht viel zu verdienen ist, scheint ihr wenig auszumachen. Zu groß ist die Begeisterung fürs Fliegen. Geweckt hatte diese ihre Mutter, als sie der Tochter zum elften Geburtstag einen Tandemflug schenkte – der Beginn einer wunderbaren Leidenschaft. Mit 16 machte Celine zum frühestmöglichen Zeitpunkt den Flugschein sowie eine Konditorlehre. Mit 20 dann ein fürchterlicher Schicksalsschlag: Bei einer Hike&Fly-Tour im Zillertal verunglückte ihr Freund beim Abstieg vom Gipfel zum Startplatz tödlich. Als sie zu ihm abstieg, verlor sie ebenfalls die Kontrolle, ein Höllensturz, der erst durch den Körper des toten Freundes gestoppt wurde. Und Celine? Fliegt weiter, nimmt den Verunglückten in Gedanken mit in die Luft, springt schon auch mal mit dem Fallschirm aus dem Heißluftballon.

Zum zweiten Mal ist sie unlängst deutsche Meisterin im Streckenfliegen geworden, ganz ohne Hiking, sie nahm an einem Weltcup-Wettbewerb in Kolumbien teil, verbrachte viel Zeit in der Luft, „um fit unterm Schirm zu sein“, wie sie sagt. Ihr X-Alps-Plan: „Vollgas geben, gesund landen und vor allem Spaß haben, denn nur mit Spaß läuft es dann auch gut.“ Dass auf die einzige Frau im Feld viele Augen gerichtet sein werden, empfindet sie nicht als Druck, sondern als „zusätzliche Motivation. Jemand muss den Laden ja aufmischen.“

Wobei sie ihre Grenzen kennt. Beim Prolog, einer 37-Kilometer-Runde mit acht Turnpoints rund um Kitzbühel, wo die ersten Drei einen zweiten Night-Pass bekommen, wird sie noch nicht Vollgas geben. Und sollte es am Sonntag wirklich regnen, kennt sie die ungeschriebene X-Alps-Regel: „Man weiß morgens nicht, wo man abends landen wird. Wenn es gut läuft: 100 Kilometer weiter. Wenn es dumm läuft und es regnet: immer noch im selben Tal …“ Bis dahin gilt also: immer schön den Teller leer essen!