Moskaus Antwort auf Ukraines „Operation Spinnennetz“?

Nacht für Nacht meldet die Ukraine derzeit besonders heftige russische Drohnen- und Raketenangriffe. Allein in Charkiw, der zweitgrößten Stadt des Landes, wurden dabei in der Nacht auf Samstag Behörden zufolge drei Menschen getötet und 22 weitere verletzt. Russland habe die Intensität der Angriffe in den vergangenen Wochen verstärkt, warnte die amerikanische Botschaft in Kiew am Mittwoch, dem Tag, als Präsident Donald Trump neuerlich mit seinem russischen Gegenüber telefonierte.

Seit Trumps anschließender Mitteilung, Wladimir Putin habe ihm „sehr stark“ gesagt, dass er auf die ­ukrainischen Drohnenschläge gegen Russlands strategische Bomber vom ­1. Juni „antworten muss“, wird diskutiert, ob diese oder jene Angriffe Russlands nun die „Operation Spinnennetz“ des ukrainischen Geheimdiensts SBU „vergolten“ hätten. Diese hatte laut einer NATO-Schätzung die Zerstörung von zehn bis 13 Flugzeugen zur Folge.

Dabei ist Moskau flexibel. Am Freitag teilte das dortige Verteidigungsministerium mit, „als Antwort auf die terroristischen Attacken des Kiewer Regimes“ einen „massiven Schlag“ geführt und ukrainische Waffen- und Drohnenhersteller zerstört zu haben; nach ukrainischen Angaben wurden dagegen in Kiew drei Retter getötet. „Alles, was im Rahmen der speziellen Militäroperation geschieht“, sagte der Sprecher Putins mit dessen Bezeichnung für den Angriffskrieg, „alles, was unsere Militärs jeden Tag tun, ist eine Antwort auf Handlungen des Kiewer Regimes, das jetzt schon alle Charakteristika eines terroristischen Regimes erworben hat.“

Moskau redet die Folgen der „Operation Spinnennetz“ klein

Gemeint war damit in Moskau zunächst aber weniger die „Operation Spinnennetz“. Deren Schäden an Langstreckenbombern, wie sie für die russischen Angriffe mit Raketen und Marschflugkörpern auf die Ukraine benutzt werden, werden trotz der Bilder zerstörter Maschinen kleingeredet: Letztere seien, heißt es offiziell, nicht vernichtet, sondern bloß beschädigt worden und würden repariert. Im Vordergrund standen stattdessen Vorwürfe, die Ukraine habe an dem Wochenende der „Operation Spinnennetz“ auch Brücken in den Grenzgebieten Brjansk und Kursk gesprengt; daraufhin seien Züge entgleist, sieben Personen getötet und mehr als hundert weitere verletzt worden.

Die Schwerpunktsetzung dürfte damit zusammenhängen, dass die ukrainische Aktion Fragen nach dem Schutz strategisch wichtiger Militärflugplätze in Russland aufwirft und die Mächtigen überrumpelt, also schwach wirken lässt.

Doch in Washington hat die „Operation Spinnennetz“ Sorgen ausgelöst, Moskau könne sie zum Anlass für eine weitere Eskalation nehmen. Trump sagte am Freitag gar, der koordinierte Drohnenangriff habe „Putin einen Grund gegeben“, die Ukrainer zu „bombardieren“. Das habe er, Trump, an der Operation „nicht gemocht“, er habe sich gesagt, „es wird einen Angriff geben“. Dagegen hob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache vom Samstagabend hervor, Russland greife ukrainische Städte nicht „zur Vergeltung“ an, sondern „um sie zu vernichten“.

USA rechnen mit weiteren „Antworten“

In Washington rechnet man aber offenbar weiter mit einer besonderen „Antwort“: Die Nachrichtenagentur Reuters meldete am Wochenende unter Berufung auf US-Regierungsbeamte, man glaube, dass Putins „angedrohte Vergeltung“ für den Drohnenangriff „noch nicht ernsthaft geschehen ist und wahrscheinlich ein bedeutender, mehrgleisiger Schlag wird“. Dieser werde „asymmetrisch“ sein. Dabei könnte Moskau auf die „Operation Spinnennetz“ schon deshalb nicht symmetrisch „antworten“, weil die Ukraine nur noch über musealisierte Langstreckenbomber verfügt; sie wurden Kiew zufolge benutzt, um die Piloten darauf zu trainieren, die Drohnen in die Tanks der Flugzeuge zu steuern.

Die Gesprächspartner von Reuters vermuteten ukrainische Regierungsgebäude oder den SBU-Sitz als Ziele einer russischen „Bestrafung“, womöglich mit einer Mittelstreckenrakete. Am Montag wirkte das russische Verteidigungsministerium dann bestrebt, die amerikanischen Sorgen zu nähren: Es nannte einen angeblichen Angriff auf Kampfflugzeuge im nordwestukrainischen Gebiet Riwne „einen der Antwortschläge“ auf „die vom Kiewer Regime verübten terroristischen Attacken gegen russische Militärflugplätze“.

Weiterer Austausch von Kriegsgefangenen

Zugleich begann der Austausch von Kriegsgefangenen unter 25 Jahren, den Vertreter Moskaus und Kiews eine Woche zuvor in Istanbul vereinbart hatten. Putin geht es darum, sich vor Trump weiter verhandlungsbereit zu geben, obwohl er für eine Waffenruhe, wie sie Kiew und der Westen wollen, Forderungen stellt, die die Ukraine maximal schwächen würden.

Umgekehrt hatte sich Selenskyj am Wochenende weiter bemüht, die Amerikaner an der Seite der Ukraine zu halten. Dem US-Sender ABC sagte er, Putin wolle den Krieg nicht beenden, das sage er „bei allem Respekt“ für Trump. Mit Blick auf dessen jüngsten Vergleich des Krieges mit zwei Kindern, die in einem Park kämpften, sagte Selenskyj, Putin sei in Wahrheit „ein Mörder, der in den Park gekommen ist, um Kinder zu töten“. Putin glaube, dass er den Krieg gewinne. Das sei nicht wahr, doch müssten die USA und ihre Partner Druck aufbauen und neue, harte Sanktionen gegen Russland verhängen.

Selenskyj bestätigte, die Amerikaner hätten 20.000 Anti-Drohnen-Raketen, die der Ukraine unter der alten Regierung als Militärhilfe bewilligt worden seien und die man für die Abwehr der iranischen Shahed-Drohnen, mit denen Russland allnächtlich angreift, eingeplant habe, stattdessen „in den Nahen Osten geschickt“. Wenn sich solche Fälle häuften, „müssen wir auf unsere Kräfte vertrauen“, warnte Selenskyj. In der Nacht auf Montag griffen die ukrainischen Streitkräfte in der russischen Teilrepublik Tschuwaschien ein Rüstungswerk mit Drohnen an; es stelle, so der Generalstab in Kiew, Antennen für die Shahed-Drohnen her.