Finale der French Open: Coco Gauff besiegt die Nummer eins – und den Wind – Sport

Als Coco Gauff nach gut zweieinhalb Stunden den Ball zum Aufschlag in die Luft warf, faltete ihre Mutter auf der Tribüne die Hände. Sie bewegte die Lippen, als bete sie leise vor sich hin. Den ersten Matchball hatte Tochter Coco soeben vergeben. Und schon einmal, 2022, war sie im Finale von Roland Garros als Geschlagene mit Tränen vom Platz gegangen. Diesmal war es anders. Da flog der Ball übers Netz, Aryna Sabalenka returnierte präzise, noch zwei Vorhandschläge Sabalenkas und eine cross geschlagene Rückhand, die weit im Aus in den Sand ploppte. Dann sank Coco Gauff nieder. Wenig später drückte sie endlich, mit drei Jahren Verspätung, den silbernen Coupe Suzanne-Lenglen ans Herz.

„Zuallererst möchte ich Gott danken. Ich musste nach meiner Niederlage vor drei Jahren eine Menge durchmachen. Ich hatte schon gedacht, ich gewinne hier nie mehr“, sagte die 21-Jährige auf dem Platz. „Ich weiß nicht, wie ich es verdient habe, von einem französischen Publikum derart angefeuert zu werden.“ Es waren allerdings auch eine Menge ihrer Landsleute auf den Tribünen versammelt, darunter Regisseur Spike Lee und Hollywood-Schauspieler Dustin Hofmann, die der Amerikanerin zujubelten. Sie sahen ein wildes, zum Teil vom Winde verwehtes Match, das Gauff 6:7 (5), 6:2, 6:4 gewann.

Coco Gauff setzt zehn Jahre nach dem letzten Sieg von Serena Williams bei den French Open nun das Erbe von US-Siegerinnen wie Chris Evert, die hier sieben Titel sammelte, Martina Navratilova und Jennifer Capriati fort.

Es war abzusehen, dass sich Coco Gauff, die US-Open-Siegerin von 2023, und Aryna Sabalenka aus Minsk, die bereits drei Grand-Slam-Trophäen aus Melbourne und New York im Besitz hat, einen harten Schlagabtausch liefern würden. Denn auf dem Court Philippe-Chartier trafen die beiden derzeit besten Tennisspielerinnen aufeinander: die Nummer eins und die Nummer zwei der Weltrangliste. Ein solches Prestige-Duell der Frauen hatten die Franzosen lange nicht geboten bekommen bei ihrem jährlichen Filzballfestival auf der Terre battue im grünen Stadtteil Auteuil. Zuletzt gab es diese Konstellation 2013, als Serena Williams den Angriff der Russin Maria Scharapowa schlug.

„Das war ein Witz!  Als ob da oben jemand sitzt, lacht und sagt: Mal sehen, ob du damit umgehen kannst“, findet Sabalenka

Aryna Sabalenka sicherte sich den ersten Satz im Tiebreak. Schon zu diesem Zeitpunkt haderte die 27-Jährige mit den Windböen, die durchs Stadion fegten. Sie war schnell in Führung gegangen, so wie man es hatte erwarten können von dieser Powertennisspielerin, die Bälle so schnell und druckvoll wie kaum eine andere über den Platz katapultieren kann. Doch Sabalenka kämpfte mit ihrem ersten Aufschlag und verschlug leichte Volleys, das brachte Gauff zum 4:4 zurück ins Spiel. Insgesamt 70 Fehler aus der Kategorie „unforced error“ standen für Sabalenka am Ende des Finals zu Buche. Auch das erklärt, weshalb sie bei der Siegerehrung, in Tränen aufgelöst, sich selbst geißelte und ihr Trainerteam um Entschuldigung bat: „Ich habe tolle zwei Wochen hinter mir, und dann spiele ich im Finale unter so schrecklichen Bedingungen so schreckliches Tennis.“

Es war weniger die Gegnerin, die Sabalenka nicht in den Griff bekam, vielmehr Schwierigkeiten bereiteten ihr der Wind und zunehmend auch ihre Nerven. Dass sich die beiden Kontrahentinnen unterm Strich 15 Mal gegenseitig den Aufschlag abnahmen, war ein Indiz für die unberechenbare Witterung, die zu kuriosen Wendungen führte. Im zweiten Satz nutzte Coco Gauff, die stoisch die Ruhe bewahrte, drei Breakchancen. Den entscheidenden Durchgang hielt Sabalenka bis zum 3:3 offen, dann hatte Gauff das Wind- und Nervenspiel gewonnen. „Es war, ehrlich gesagt, wirklich kein toller Tag für Tennis“, gab Gauff später zu.

Aryna Sabalenka stemmte sich gegen die Niederlage - aber nach dem ersten Satz fand sie nicht zu ihrer gewohnten Dominanz, wegen des Windes und ihrer Nerven.
Aryna Sabalenka stemmte sich gegen die Niederlage – aber nach dem ersten Satz fand sie nicht zu ihrer gewohnten Dominanz, wegen des Windes und ihrer Nerven. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Für Sabalenka war es die zweite Finalniederlage aus der Hand von Gauff in einem Grand-Slam-Turnier nach den US-Open 2023. Im Zuge ihrer Selbstanklage erklärte sie anschließend, dass sie so schlecht Tennis gespielt habe wie schon seit Monaten nicht mehr. Es ärgerte Sabalenka, dass sie bei ihrer Frustrationskontrolle – an der sie seit längerem arbeitet – an diesem Nachmittag einen Blackout hatte. Und es ärgerte sie ebenfalls, dass zum Wind auch noch das Pech kam, dass angeblich überwiegend bei ihr leichte Bälle versprangen:  „Das war ein Witz!  Als ob da oben jemand sitzt, lacht und sagt: Mal sehen, ob du damit umgehen kannst.“

In Wahrheit ist aus der früheren Hartplatzspezialistin Sabalenka in den vergangenen Jahren eine ausgezeichnete Sandplatzspielerin geworden, die Volleyspiel und Beinarbeit enorm verbessert hat. Und schon der Finaleinzug war für sie eine Genugtuung, weil es Zeiten gab, als ihre Jugendtrainer sie zu einem hoffnungslosen Fall erklärten, wie sie vor dem Finale von Paris erzählte. Auf Hartplätzen, so viel wurde ihr zugestanden, hätte Sabalenka womöglich Chancen mit ihren wuchtigen Schlägen. Aber auf Sand, gar auf jenem von Paris, wo man trippeln, rutschen und die Balance halten muss wie einst Steffi Graf? „Fast mein ganzes Leben lang hat man mir gesagt, das wäre nicht mein Ding. Und dann ging mir prompt das Selbstvertrauen verloren.“

Sabalenka hat zuletzt alle Skeptiker widerlegt. In dieser Saison ist sie mit Coco Gauff die beste Spielerin bei Sandplatzturnieren gewesen, beide kamen auf 17 gewonnene Matches auf diesem Untergrund. Und Sabalenka war es auch, die im French-Open-Halbfinale die Polin Iga Swiatek schlug und die viermalige Paris-Siegerin mit einem 7:6, 4:6 und 6:0 aus dem Turnier verabschiedete. Aryna Sabalenka hatte schon eine Hand am Coupe Suzanne-Lenglen. Aber an diesem Abend war es Coco Gauff, die den schweren Silberpokal lächelnd aus dem Stadion trug.