„Er spielt das Tennis seines Lebens“

Als Novak Djokovic schon fertig war mit seinen Ausführungen zur Frage, wie es weitergeht, sollte er noch einmal präzisieren, was er da gerade gesagt hatte. Doch mehr als das, was schon im Raum stand, gab es von ihm an diesem späten Freitagabend nicht zu hören. „Es könnte mein letztes Match gewesen sein, das ich hier gespielt habe“, sagte der Tennisprofi nach seiner Niederlage im Halbfinale der French Open gegen Jannik Sinner: „Ich weiß es nicht.“

Er werde weitermachen und würde gerne noch länger spielen, kündigte der 38 Jahre alte Serbe an. Aber in seinem Alter kann man nun mal nichts mehr garantieren. Vor allem nicht, wenn die neue Generation um Sinner so groß aufspielt, wie es der Italiener derzeit macht: „Er spielt das Tennis seines Lebens“, sagte Djokovic, der sich 4:6, 5:7, 6:7 (3:7) geschlagen geben musste: „Er hat gezeigt, warum er die Nummer eins der Welt ist.“

Wie eine Maschine, die kaum Fehler macht

Die French Open bekommen somit ihr Traumfinale. Sinner trifft nun am Sonntag (15.00 Uhr live bei Eurosport) auf seinen Rivalen Carlos Alcaraz, der am Freitagnachmittag beim Stand von 4:6, 7:6 (7:3), 6:0, 2:0 für ihn von einer verletzungsbedingten Aufgabe seines Gegners Lorenzo Musetti profitierte. Die Nummer eins der Welt gegen die Nummer zwei – besser geht’s nicht.

Beide treffen zum ersten Mal in einem Grand-Slam-Endspiel aufeinander. Weder Sinner noch Alcaraz haben bisher eines der Major-Finals verloren, in denen sie standen. Sinner gewann drei, Alcaraz vier. Nun wird einer erstmals eine schmerzhafte Niederlage hinnehmen müssen. Im direkten Duell führt Alcaraz 7:4. „Am Sonntag wird es definitiv sehr, sehr schwierig. Mein Head-to-Head gegen Carlos sieht nicht so gut aus im Moment“, sagte Sinner. Der Spanier hat die vergangenen vier Duelle alle für sich entschieden. Aber Sinner hat in Roland Garros gezeigt, wie gut er inzwischen auch auf Sand ist.

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Er spielt nach seiner dreimonatigen Dopingsperre ein überragendes Turnier, ist bisher ohne Satzverlust. Die vier Gegner, die sich vor Djokovic an ihm versuchen durften, brauchten mindestens 27 Minuten, um ihr erstes Spiel gegen ihn zu gewinnen. Sinner servierte seinen ersten Doppelfehler in Roland Garros erst im Viertelfinale gegen Alexander Bublik. Im gesamten Turnier steht er nun bei zweien, weil gegen Djokovic einer dazukam.

Der Dreiundzwanzigjährige spielt wie eine Maschine, die kaum Fehler macht. Nur 11 Prozent seiner Schläge landeten in der französischen Hauptstadt bisher ohne Not im Aus oder im Netz. Seine Konkurrenten, die ebenfalls im Halbfinale standen, kommen auf höhere Werte: Bei Djokovic und Alcaraz liegt die Quote bei 16, bei Musetti bei 17 Prozent – das klingt nach nicht viel, ist aber auf diesem Niveau eine Menge.

„Wir haben alle ziemlich viel Glück“

Trotzdem war das Spiel gegen Djokovic alles andere als eine einseitige Angelegenheit. „Ich musste mein bestes Tennis spielen“, sagte Sinner. Das zeige, was Djokovic für ein Vorbild sei. „Wir haben alle ziemlich viel Glück, dass wir ihn auf so einem hohen Level Tennis spielen sehen können.“ Das sollte ein Lob an den Altmeister sein, war aber auch eines an sich selbst. Denn Sinner spielt ja noch eine Klasse besser im Moment.

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Djokovic versuchte zunächst, mit derselben Taktik wie im Viertelfinale gegen den Deutschen Alexander Zverev zum Erfolg zu kommen, setzte viele Stoppbälle ein. Doch Sinner schien bestens darauf vorbereitet, spielte so druckvoll, dass er seinem Gegner kaum Möglichkeiten bot, einen perfekten kurzen Ball zu spielen. Im zweiten Satz stellte der 24-malige Grand-Slam-Sieger seine Taktik deshalb um, versuchte nun, mehr Gewinnschläge zu erzielen, was klappte, aber auch zu einer höheren Fehlerzahl führte.

Sinner hatte zwar in den ersten beiden Sätzen eine schwache Quote von 44 Prozent beim ersten Aufschlag. Doch der einst beste Returnspieler der Welt konnte das nur einmal zum Break für sich nutzen, auf das Sinner schon im Aufschlagspiel darauf seinerseits mit einem Break antwortete. Im dritten Satz war Djokovic nah dran an einer Rückkehr ins Spiel, hatte drei Satzbälle. Doch Sinner wehrte alle ab und durfte nach dem gewonnenen Tie-Break und 3:16 Stunden Tennis auf hohem Niveau mit gen Nachthimmel ausgestreckten Armen den Finaleinzug bejubeln.

Streckte sich vergeblich: Novak Djokovic
Streckte sich vergeblich: Novak DjokovicEPA

Und Djokovic? Der Serbe verließ das Stadion, in dem alle standen, unter tosendem Applaus. Auch er hat inzwischen erkannt, dass er den Alterungsprozess nicht verlangsamen und schon gar nicht aufhalten kann, selbst wenn er sich das noch so sehr wünscht. Dafür geht derzeit etwas anderes in Erfüllung, was er immer wollte, in der Ära mit Roger Federer und Rafael Nadal in großen Spielen aber selten bekam: Ihm fliegen die Herzen zu.

„Novak, Novak“-Rufe hallten immer wieder durch die Arena. „Ich habe noch nie so viel Support in diesem Stadion in einem Match gegen einen der besten Spieler der Welt erhalten wie heute“, sagte er. Doch das lag nicht daran, dass die Zuschauer ihn lieber haben als Sinner, sondern daran, dass Djokovic inzwischen jede Hilfe gebrauchen kann.

Er hatte einen großen Kampf geliefert – und trotzdem verloren. Noch immer kann er mithalten mit der jungen Generation, aber die Frage bleibt, wie er diese beiden neuen Dominatoren bei einem Grand-Slam-Turnier über drei Gewinnsätze schlagen will, um endlich seinen lang ersehnten 25. großen Titel zu gewinnen.

Der alleinige Rekord ist weiter sein großes Ziel. Die Australierin Margaret Court hat auch 24 der begehrten Trophäen errungen. Die besten Chancen sieht Djokovic für sich auf Rasen, wo die Ballwechsel kürzer sind. Wimbledon steht vor der Tür. Im vergangenen Jahr hat ihn Alcaraz dort im Finale phasenweise vorgeführt.