Klimaschutz und Aufrüstung: Noch mehr Gas aus Russland braucht hier niemand

Felix
Ekardt forscht als Leiter der Leipziger
Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik sowie Professor an der Uni
Rostock zu Politikkonzepten für mehr Nachhaltigkeit. Er sucht anlässlich
seiner oft sehr kontroversen Positionen die Diskussion mit den Leserinnen und
Lesern von ZEIT ONLINE. Auch diesmal antwortet er direkt unter dem Artikel auf
Leserkommentare. Diskutieren Sie mit!

Einige in meiner Leipziger Nachbarschaft hatten kürzlich gute Laune. Endlich die Lösung! Niemand
müsse sich mehr über Heizungsgesetz und Wärmepumpen den Kopf zerbrechen. Denn
scheinbar arbeitet in diesen Wochen ein diskretes Netzwerk aus deutschen
Unternehmen, US-Investoren und Akteuren
in politischen Parteien daran, die
skandalumwitterte Gasleitung durch die Ostsee von Russland nach Rügen, Nord Stream 2, doch noch in Betrieb zu nehmen. Mindestens eine der zwei Röhren wäre trotz
des Attentats auf die Leitungen 2022 noch direkt nutzbar.

Zur Erinnerung: Das Projekt Nord Stream 2 wurde
2022 fertiggestellt, das Genehmigungsverfahren wurde dann allerdings von den
deutschen Behörden wegen des russischen Angriffskriegs abgebrochen: Die Bundesnetzagentur erteilte nicht die nötige Zertifizierung. Die beiden Röhren von Nord Stream 1 sind nach dem Anschlag unbrauchbar. Der Wunsch nach Inbetriebnahme von Nord Stream 2
klingt wie die Forderung von AfD und BSW nach billigem Gas aus Russland:
Energie müsse endlich wieder günstig sein, die teure und bürokratische
Energiewende müsse ein Ende haben. Fossile Energie, besonders die aus Russland, sei
besonders preiswert. Und Handel mit Russland, das eigentlich total friedliebend sei und sich doch nur von der Nato bedroht
fühle, sei der Weg zum Frieden – so Unterstützer dieses skurrilen Vorschlags. Selbst in der CDU gibt es erste Stimmen, die über eine Inbetriebnahme nachdenken.  

Große Risiken eines fossilen Rollbacks

Doch daran ist nahezu alles
falsch. Ein fossiles Rollback wäre ökonomisch mit massiven Risiken
verbunden, schon weil der Preis für fossile Brennstoffe mittelfristig steigen wird. Will man das Heizen dauerhaft bezahlbar halten, ist eine
rasche Wärmewende gerade sinnvoll. Außerdem schaffen erneuerbare Energien und
Wärmedämmung in der Summe mehr Arbeitsplätze und mehr Wertschöpfung als
Fossile. Das ist wiederholt vorgerechnet worden, gerade für Ostdeutschland. Und die Folgen des Klimawandels zu bewältigen, ist um den Faktor fünf, zehn oder sogar noch mehr teuer als eine wirksame
Klimapolitik zu verfolgen. Schon vermehrte Naturkatastrophen wie diverse
Hochwasserereignisse kosten Abermilliarden Euro. Noch teurer wird es, wenn wegen
erwärmungsbedingter Nahrungs- und Wasserknappheit Klimakriege weltweit auf uns
zukommen.

Noch schlimmer: Wer weiter auf
die fossilen Brennstoffe setzt, fördert Russland und damit seine
expansionistische Außenpolitik. Denn der russische Staatshaushalt beruht zu
rund einem Drittel auf dem Verkauf fossiler Brennstoffe. Hält man die fossile
Nachfrage hoch oder steigert sie gar weiter, finanziert man Russlands
Kriege. Es ist deshalb schon fatal genug, dass Deutschland derzeit auf Umwegen wie
Niederlande oder Indien weiter russisches Gas und Erdöl beziehen – trotz aller Sanktionen.
Und ein Pseudo-Waffenstillstand in der Ukraine 2025 dürfte nur einen
Zwischenschritt im russischen Expansionsstreben markieren. Der Bundesnachrichtendienst befürchtet, dass Russland schon bald die
Nato-Beistandsverpflichtung auf die Probe stellen könnte. Zum Beispiel mit einem
Angriff auf Estland oder Litauen, etwa im Zuge des für Mitte September 2025
angekündigten militärischen Großmanövers mit Belarus. Putin wird jedenfalls
kaum die – nur sehr langsam anlaufende – europäische Aufrüstung abwarten
wollen.

Nord Stream 2 würde Europa im fossilen Zeitalter festhalten

Kommt damit der
Verteidigungsfall, wären europäische Staaten Kriegspartei, vielleicht sogar ohne Unterstützung der USA
unter Präsident Donald Trump. Zwar wird immer wieder gesagt, Putin hege doch gar keine aggressiven Absichten, er fühle sich nur
vom Westen „bedroht“ und wolle Handel treiben, etwa via Nord Stream 2, und die Länder Osteuropas hätten sich ihm eben als Vasallenstaaten zu fügen.
Doch würde Putin sich nur bedroht fühlen, wie es in manchen seiner vielen
widersprüchlichen Statements klingt, müsste er nicht beispielsweise Zehntausende Kinder aus der Ukraine nach Russland verschleppen.

Auch dass Autokraten gern durch
Kriege und Reden über die nationale Größe ihr eigenes Volk zu benebeln versuchen,
ist aus der Geschichte bekannt. Putins Hausphilosoph Alexander Dugin
plädiert, im Anschluss an den Nazi-Theoretiker Carl Schmitt, ganz ausdrücklich für ein
autoritäres Eurasien unter russischer Führung. Wohlgemerkt wird Dugin in der
russischen Offiziersausbildung als Standardautor gelesen. Auch Putins ehemaliger außenpolitischer Berater Wladislaw Surkow äußert sich in dieser
Richtung.

Selbst wenn all das unzutreffend
wäre, würde Nord Stream 2 Europa im fossilen Zeitalter festhalten. Das jedoch wäre
nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch fatal. Die
nach dem
Pariser Klima-Abkommen rechtsverbindliche 1,5-Grad-Grenze für die weltweite
Erwärmung verlangt globale Nullemissionen

in wenigen Jahren, nicht erst 2050 oder gar später. Das verbleibende
Treibhausgas-Budget für 1,5 oder selbst 1,7 Grad haben Industriestaaten wie
Deutschland bereits jetzt erschöpft. Das wurde auch mit aktuellen
naturwissenschaftlichen Daten in einer neuen Klage vor dem
Bundesverfassungsgericht
vorgerechnet.

Erst 2021 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil unterstrichen, dass jede Bundesregierung in der Pflicht steht, das Klima stärker zu schützen. Auch die
neue Grundgesetzänderung zu Schuldenbremse und Sondervermögen ändert daran
nichts. Danach darf die Politik künftig zwar zusätzliche Schulden aufnehmen, auch
im Interesse der „Klimaneutralität bis 2045“. Damit wird jedoch nicht
vorgegeben, dass das Klima bis 2045 warten kann. Eine solche Kreditregelung
bedeutet nicht, dass andere, strengere Verfassungsvorgaben damit
abgeschafft wären. Die Grundrechte auf Freiheit, Leben und
Gesundheit zwingen aus ökologischen und aus Sicherheitsgründen

viel schneller zur Post-Fossilität. 

Zudem sind Biodiversität und Klimaschutz eng miteinander verbunden.  Wer zu lange an den Fossilen festhält, ruiniert auch die Artenvielfalt – und ohne intakte
Wasserkreisläufe, Bodenfruchtbarkeit und Bestäuberinsekten können wir Menschen noch weniger leben als ohne ein
intaktes Klima

Manche werden abwiegeln. Es gehe gar nicht um russisches Gas, vielmehr könne
Nord Stream 2 doch auch grünen Wasserstoff aus Finnland nach Deutschland
transportieren. Das würde indes aufwendige Prüfungen etwa der
Dichtigkeit der Röhre erfordern. Und Finnland erzeugt derzeit fast keinen
Wasserstoff. Dazu kommt die offene Frage, welche Rolle der bislang sehr teure
Wasserstoff überhaupt für die Energiewende spielen kann. Für Heizungen oder
Autos wird er jedenfalls höchstwahrscheinlich zu teuer bleiben. Deshalb können
wir der Debatte nicht ausweichen, ob Europa die fossile Energienutzung gar noch
ausbauen will, sei es via Nord Stream 2 oder durch mehr Flüssiggas
aus den USA. Oder ob es nicht besser viel stärker auf Erneuerbare und grüne Technologien setzt. Wegen des Klimawandels. Aber vor allem auch, um Frieden und Demokratie zu sichern.