
Machen wir’s kurz: Der Minirock ist zurück! Aber wie kam es dazu? Zu den vielen Miniröcken über schwarzen Strumpfhosen auf spiegelglatten Februarstraßen? Zu den Minirockauftritten von Zendaya, Hailey Bieber, Kendall und Kylie Jenner? Zum Minirock als Herzstück der Laufstegkollektionen fürs Frühjahr? Zu den vielen Miniröcken auf Instagram mit Ortsmarken von St. Moritz (kombiniert zu Leggings und Moon Boots) bis St. Barths (barfuß am Strand)? Und was davon war zuerst da, und was folgte?
Dafür muss man wohl doch ein bisschen Länge wagen, also textliche. Denn erst einmal spricht momentan herzlich wenig für den Minirock. Es gibt schließlich den Rocksaumindex, den ein Professor der Wharton School of Business vor 100 Jahren entwickelte: Sind die Zeiten gut, rutschen die Säume nach oben, sind sie schlecht, sitzen sie tiefer.
Sind die Zeiten gerade so gut? Oder steht der Minirock-Trend vor dem Hintergrund von Krisen, Konflikten und Kriegen nur beispielhaft für das, was Ende vergangenen Jahres eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach befand? Dass die Deutschen ihre persönliche Lage trotz aller Düsternis in der Welt mehrheitlich positiv betrachten. Sich weiterhin im Rahmen des Möglichen etwas gönnen, teure Flugreisen buchen, Partys feiern oder eben Minirock tragen.
Wann rutschte der Saum nach oben?
Ohne gute Laune oder zumindest eine Wird-schon-Haltung wird es mit dem Minirock wohl nicht klappen. So war das auch damals in den Sechzigerjahren, als Scharen junger Heranwachsender, die noch im Krieg oder direkt danach geboren worden waren, die Pubertät erreichten. Nach der Zeit der Korsetts und schweren Petticoats waren die Miniröcke ein Segen.

Eibhleann McMahon, Kreativdirektorin bei dem Londoner Vintage-Unternehmen Rokit mit fünf Geschäften in Großbritannien und einem Onlineshop, erzählt, wie viele Frauen vor Anbruch der Sechziger noch feste elastische Gürtel um die Hüften tragen mussten, weil nur die Andeutung von Po unter der Kleidung schon sozial inakzeptabel war. „All das konnte auf einmal weg. Was für eine Befreiung“, sagt McMahon, die auch auf den Zusammenhang zwischen sexueller und modischer Befreiung hinweist. „Wie muss das vorher gewesen sein, als eine Frau sich vor dem Sex erst einmal, vermutlich im Nebenzimmer, umständlich ihre Strümpfe, Strumpfhalter und Kleiderschichten ausziehen musste? Nun hatte sie einen unkomplizierten Minirock“, sagt die Vintage-Expertin.
Dass die Jahrgänge dieser Jugendlichen so geburtenstark waren, hat dem Minirock als Inbegriff der Jugendlichkeit geholfen. Junge Leute wurden zu einem ernstzunehmenden Wirtschaftsfaktor. „Zuvor hatte sich die Modeindustrie vor allem an ältere Frauen gerichtet. Nun hatten die jungen Frauen mit eigenen Gehältern Kaufkraft“, sagt McMahon. „In den Jahrzehnten zuvor hätten vermutlich Mütter oder Ehemänner ein Teil wie den Minirock verboten, die jüngeren Frauen hätten sich das nicht selbst kaufen können. Das änderte sich mit Beginn der Sechziger.“
„Mit 35 Jahren galt man als alt.“
Um 1962 sei der Trend bei den ersten besonders modebewussten Frauen angekommen, 1963 und 1964 dann in der Breite. „Aber es gab, weit weg von London, sicher auch noch Frauen, die in den Siebzigern Miniröcke getragen haben.“ Als die Rocksäume schon wieder gefallen waren und die jungen Leute längst nicht mehr so jung waren. Die Zielgruppe in den Sechzigerjahren mag groß gewesen sein, zugleich aber war sie spitz: „Maximal 25 Jahre alt waren die Frauen in Miniröcken“, sagt McMahon. „Mit 35 Jahren galt man als alt.“
Die Preise richteten sich in den Sechzigern häufig nach dem Einkommen einer Londoner Sekretärin, ein Kleid solle ihren Wochenlohn nicht übersteigen, hieß es. Das waren etwa sieben britische Pfund. Diese Jugend fühlte sich nun gesehen, da ist es kein Wunder, dass sie sich auch zeigen wollte. Im Minirock. Oder einfach im Minikleid aus Papier.
Diese Mode ist älter als man denkt
Nicht Shein hat die Ultra Fast Fashion in China in den Zwanzigern dieses Jahrtausends hervorgebracht, und nicht Primark hat die Fast Fashion mit der Produktion in Bangladesch in den Zehnern begründet. Nein, die Mode der Sechzigerjahre hat diese Phänomene von London aus vorweggenommen. Aber Eibhleann McMahon stellt auch klar, dass die Anfänge der Moderne, auch im Hinblick auf Mode, in den Zwanzigerjahren lagen. „Da sah man zum ersten Mal einen Knöchel. Bei Tänzerinnen vielleicht sogar ein Knie.“
100 Jahre später lösen Haut und ein bisschen Stoff darüber noch immer Trends aus, nur heißen sie jetzt „hot girl“, „hot girl summer“ oder „brat girl“, je nachdem, was gerade auf Tiktok und Instagram die Runde macht.
„Social Media“, antwortet auch Tiffany Hsu, Einkaufschefin beim Luxus-Onlinehändler Mytheresa spontan auf die Frage, warum der Minirock jetzt zurück sei. Und sie kann noch ein weiteres Stichwort hinzufügen, das gerne mit Hashtag versehen wird: „Ballerina“. Die Miniröcke für den nächsten Sommer, sagt Hsu, seien so kurz wie voluminös, „wie Tutus für Erwachsene“.
Ist mein ich-Bewusstsein heute gut genug für den Minirock?
Tiffany Hsu kann gut erklären, wie man sich in einem Minirock fühlt: Auf ihrem Instagram-Konto (@handinfire) ist sie überwiegend in Mode zu sehen, die einen beträchtlichen Teil der Beine zeigt. Zwischendurch finden sich aber auch Aufnahmen von Hsu in langen Hosen. „Man kann einen Good Hair Day und einen Bad Hair Day haben“, sagt sie. „Und so geht es mir mit Miniröcken und Hosen.“ Also Hosen für den Bad Hair Day, „da möchte man das ein oder andere verstecken, da möchte ich nicht weiter über mein Outfit nachdenken“. Miniröcke für den Good Hair Day. „Da bin ich viel ich-bewusster.“
Ich-Bewusstsein – auch die Social-Media-Plattformen schüren es. Im Feed der meisten ist schließlich mehr los als nur Nachrichten. Wer wo hinreist, welche Freunde hat und was wie trägt, prägt auch das eigene Ich-Bewusstsein. Ebenso: die Bilder, die man bei alledem von sich selbst zeigt. Der Minirock ist wie gemacht für diese Art von Selbstdarstellung.
Als erste hat es in diesem Jahrzehnt Miuccia Prada erkannt. Der Minirock hat Miu Miu, der jüngeren Schwester der Hauptlinie, eine neue Blüte beschert. Los ging es mit der Kollektion für das Frühjahr 2022, präsentiert im Herbst 2021. Ein Ende der Corona-Pandemie schien absehbar, und Miuccia Prada holte sich Mikroröcke mit Cargotaschen auf den Laufsteg. Während viele andere Luxusmarken bald Umsatzrückgänge infolge der Inflation verspürten, ging es für Miu Miu richtig gut los.
Die zuverlässig zweistelligen Wachstumsraten werden nicht allein am Cargo-Minirock gelegen haben oder in der Saison darauf an dem Tennis-Minirock oder den Folgemodellen aus Nylon- und Wollstoffen oder der gerüschten Version im vergangenen Sommer. Aber für Prada und den Minirock war das eine Win-win-Situation. Gegenseitig haben sie sich nach vorne gebracht. Die Stars griffen zu, die Magazincover waren gesichert, die Umsätze stimmten – und der Mini hatte, spätestens seit dem letzten Comeback in den Nullerjahren, seine Würde zurückbekommen.

Jetzt, da Gucci für den Sommer Ballon-Miniröcke herausbringt und JW Anderson kurze Röcke wie Teller aus Leder, Chloé Vokuhila-Versionen zeigt und selbst bei Max Mara unter den Blazern kaum ein Rocksaum sichtbar ist, da ist Miuccia Prada, wie könnte es anders sein, schon wieder weiter. Den Minirock macht das nicht weniger angesagt, entscheidend ist, dass er nun wieder zur Optionenvielfalt der Mode gehört. Denn daran hat sich eben schon etwas getan, seit den Sechzigern, als man mit 26 Jahren für den Minirock zu alt war und zugleich mit Anfang 20 unbedingt beim Trend dabei sein wollte. „Ihr müsst das Kleidungsstück tragen, nicht das Kleidungsstück euch“, rät Tiffany Hsu von Mytheresa. Bedeutet auch: Wer sich im Minirock unsicher fühlt, lässt es lieber bleiben. Wer den Eindruck hat, damit den Tag zu bestreiten: Los geht’s!
Der Trend ist somit auch eine späte Würdigung der im vorvergangenen Jahr verstorbenen Mary Quant, der Mutter des Minirocks, während André Courrèges als der Vater gilt. Wer von beiden ihn erfunden hat, ob nun in London oder Paris, ist mehr als ein halbes Jahrhundert später eine Kleinigkeit. „Mary Quant hat ja schon damals gesagt, dass sie eigentlich nur das entworfen habe, was die jungen Frauen ohnehin schon trugen“, sagt Eibhleann McMahon von Rokit. „Selbst den Namen hat sie sich abgeschaut: Mini – wie das Auto.“ Der Rock ist also noch nicht Geschichte. Sie wird sogar immer länger.