
Keine sechs Tage ist es her, da wurde der klassische Girls-Kader der diesjährigen Modelweltmeisterschaf unter Bundescatwalktrainerin Heidi Klum bereits zum ersten Highlight der Staffel gerufen: dem Umstyling. Die bei Klum unter dem Arbeitstitel „Schnipp, schnapp, Haare ab“ firmierende Tränenedition fährt Jahr für Jahr Staffel-Quotenrekorde ein. Und auch vergangenen Donnerstag ließen sich knapp 1,6 Millionen Zuschauer nicht entgehen, wie um ihre optische Identität bangende junge Frauen ihrer zwangsverordneten Image-Revision engegenheulten.
Da die Herren der Modelschöpfung im bilateral angelegten GNTM-Jubiläumskonzept geschlechtergetrennter Einzelbetreuung ihren weiblichen Berufseinstiegsvorreiterinnen bislang stets eine Woche nachhängen, erwartet der geschulte Modelfernsehfan heute ein verzweiflungsdurchtränktes Umstyling-Szenario, in dem die Männerkompanie reichlich Augenwasser und Haare lassen würde. Die Frühphase des vierten Stand-Alone-Auftritts der Herrenfraktion birgt dann jedoch eine unverhoffte Überraschung: Heidi Klum kündigt der durchtrainierten Laufstegkundschaft einen ganz anderen klassischen GNTM-Höhepunkt an: das Nacktshooting. Würde es heute etwa erstmals in der Topmodel-Historie in totale Reizüberflutungsektase ausarten und sowohl ein Umstyling als auch eine textilfreie Fotoproduktion geben?
Die erste Herausforderung des Abends lautet für uns Chronisten der Modelfestspiele dann allerdings nicht, zutreffend vorauszusagen, welchen Kandidaten es beim großen Typen-Makeover am härtesten erwischen wird, sondern die Anwärter auf das „Harper´s Bazaar“-Cover erstmal vernünftig auseinanderhalten zu können. Dieses Jahr ist der Casting-Beauftragte von Pro7 offenbar auf dem Buchstaben „F“ eingeschlafen – so viele Namen im aktuellen Mieterverzeichnis des Model-Lofts beginnen mit diesem Buchstaben. Und als Bonus gibt es noch dazu Frohnatur Faruk, der sich mit dem Nacktshooting bereits arrangiert hat, als der Rest der Belegschaft noch rätselt, ob sie mental auf das Blankziehen vor laufender Kamera ausreichend vorbereitet sind: „Habe ich noch nie gemacht, aber habe ich Bock drauf!“
Einer hat keinen Bock auf das Umstyling
Sehr viel weniger Bock hat dagegen Nawin. Er kann im so genannten Real Life nur halbtags arbeiten, weil er etwa zwölf Stunden täglich für das Arrangieren seiner Haarpracht aufwenden muss. Das ist auch der Grund, warum er dem Nacktshooting weniger euphorisch entgegenfiebert als Teamkollege Faruk. Wie soll er seine Haare perfekt drapieren, wenn er die Hände für die jugendfreiheitswahrende Bedeckung seines Intimbereiches benötigt? Wie die anderen in ihren Adamskostümen lediglich rudimentär durch GNTM-Bademäntel verhüllten Mitstreiter wartet er auf den Aufruf zum Nacktablichten.
Einzeln werden die Male-Model-Musterschüler dann in einen Raum zitiert, in dem der Fotograf Marcel Schäfer, eine auf Zotenmodus programmierte Heidi Klum und eine Badewanne warten. Die Wanne ist aus Sichtschutzgründen mit viel Schaum befüllt. Was soll da schon schief gehen? Der letzte Mann, der bei GNTM in einer schaumüberfüllten Badewanne saß, war ein durcheuphorisierter Honey, der seiner mitbadenden Freundin Kim Hnizdo dringend die Show stehlen wollte. Hnizdo gewann die Staffel wenig später, entledigte sich zügig auch des fameorientierten Trittbrettlovers und regiert seither die Titelseiten der einschlägigen Promipresse. Fremdscham-Testimonial Honey stolperte noch mal kurz durch das Dschungelcamp und ist seither verschollen.

Da bei 21 Männern und einer nach jedem einzelnen Kandidaten hygienevorschriftstreu durchgeführten Badewannen-Säuberungspause nur wenig Zeit für individuelle Briefings bleibt, verzichtet das Nackt-Connaisseur-Duo Klum/Schäfer auf umfangreiche Konzepterläuterungen. Diese ungewohnte Führungslosigkeit ausgerechnet bei einem intimen Schlüsselfoto wirkt sich unterschiedlich auf die Kandidaten aus. Einige reißen sich unbekümmert den Bademantel vom Leib, als könnten sie auf eine langjährige Karriere als Stadtpark-Exhibitionist zurückblicken. Andere wirken orientierungslos. Felix F. etwa kann sich unterschiedlichste Arten vorstellen, in einer Schaumwanne zu sitzen und möchte nicht auf die falsche setzen: „Ist irgendein Vibe gefragt?“ Das ist für Marcus Schäfer bereits verwarnungswürdiges Zeitspiel. Mit einem Gesichtsausdruck, als wolle er am liebsten „Nein, keine Weiber, das ist hier die Boys-Edition!“ antworten, vermittelt er dem wissbegierigen Lachmodel, es wäre Nacktshooting und nicht „Frag mir Löcher in den Bauch“-Shooting. Ein bisschen Eigeninitiative, herrje.
Zur Strafe schickt Klum die Frohnatur mit der Lache einer defekten Klimaanlage anschließend ansatzlos ins Umstyling, bei dem sie den Rückfragequerulanten vom pinkbehaarten Paradiesvogel zum dunkelbraun gefärbten Versicherungsvertreter machen lässt. Vor allem die Begründung dafür, ihn seines größten Erkennungsmerkmals zu berauben, ist abenteuerlich absurd: „Ich habe Angst, dass du mit pinken Haaren keine Jobs bekommst, weil die Kunden bunte Haare nicht mögen!“ Ziemlich mutige Aussage für jemanden, der seit 20 Jahren regelmäßig industriekonforme Platinblondinen in Rosa-, Knallrot- oder Grünhaarige Farbextremistinnen verwandelt und das mit „Jetzt stichst du heraus, die Kunden werden es lieben“ begründet.
„Er gibt mir was von innen!“
Ethan hingegen weiß, worauf es ankommt: „Erst war es etwas komisch, aber dann dachte ich: Warum? Ich bin hot!“ Das findet auch Heidi Klum: „Er gibt mir was von innen!“ Ein junges Male-Model, das nackt vor ihr nackt aus der Wanne steigt, gibt Heidi Klum etwas von innen. Aha. Die Zoten-Macht wieder groß in dir ist, kommentiert da mein innerer Anstands-Yoda. Das Imperium planscht zurück.
Heidi Klum hat sich heute auf die vielen Momente, in denen sie vor nackten Jünglingen stehen wird, akkurat vorbereitet. Ihr Schlüpfrigkeits-Repertoire ist noch lange nicht erschöpft. Einen der ungefähr 17 nacktrelevanten Bewerber mit dem Namen Felix fordert sie auf: „Mach mal die Beine anders, weil sonst sehe ich nicht wo … äh … der Rest der Beine ist!“ Ja, der Rest der Beine. Vor allem das dritte.
Um aus dem leicht steif (hi, hi, hi) wirkenden Felix L. etwas verruchte Sexyness zu kitzeln, setzt Klum auf Hilfe von Dritten: „Wer ist dein Celebrity Crush?“ Da muss Felix L. nicht lange nachdenken: „Céline Dion!“ Felix L. ist 21 Jahre und war bei keinem der Dion-Megahits wie „The Power of Love“, „Because You Loved Me“ oder „My Heart Will Go On“, die alle zwischen 1993 und 1997 das Licht der Chartswelt erblickten, auch nur ansatzweise geplant. Andererseits, so wie Felix L. sich bislang präsentiert, darf man vermutlich nicht ausschließen, dass er in seiner Freizeit Lieblingsszenen aus „Titanic“ nachspielt. Auch Klum hat inzwischen nachgerechnet und wirkt verwundert über die kuriose Crush-Auswahl. Egal, die Frage war ohnehin eher taktischer Natur, um selbst eine schöne Anekdote aus dem Privatleben einflechten zu können: „Mein Celebrity-Crush ist übrigens Joaquin Phoenix, aber mein Mann weiß das, wir sind fein!“ Das erklärt einiges, denn viele halten Tom Kaulitz ja für den Joaquin Phoenix von Sachsen-Anhalt.

Um draußen an den Endgeräten keine penisneidische Grundsatzdiskussion über die unterschiedlichen Maße der männlichen Geschlechtsorgane der Kandidaten aufkommen zu lassen, wird bei allen Fotoaspiranten pauschal etwa ein Quadratmeter des Bildes rund um den Lendenbereich verpixelt. Das passt jugendschutzseitig nicht ganz dazu, dass dafür die Handtücher, die eine grinsende Klum den nackt vor ihr aus der Wanne steigenden Jungs ritualmäßig anreicht, etwa die Größe eines handelsüblichen Waschlappens haben. Stichwort Waschlappen. Kevin versucht, mit einer perfiden Flirt-Taktik zu punkten und verwickelt Klum in einen sexy Deeptalk: „Kevin, wie oft machst du Sport?“ „Ich versuche sechs Mal die Woche!“ „Das sieht man! Hast du eine Schokoladenseite?“ „Ich liebe beide Seiten an mir tatsächlich!“ „Ich liebe auch beide Seiten an mir!“ „Du bist ja auch wunderschön!“
Marcus Schäfer platziert eine Schnauzer-Analogie
Pragmatischer geht derweil Jannik vor: „Wenn ich erotische Gedanken habe, denke ich natürlich an Hanna, meine Freundin.“ Vor lauter Liebe zu Hanna setzt dann jedoch kurz sein Logikmodul aus: „Die wäre echt neidisch, das hier nicht gesehen zu haben!“ Marcus Schäfer versucht, die Situation mit einem Schwank aus seinem Leben zu retten: „Ich mag Schnauzer, sieht man ja. Auch wenn meine Frau manchmal sagt, ich sehe aus wie ein Walross!“ Wobei das eigentlich ein Kompliment ist. In früheren Staffeln hatte Schäfer nicht nur einen Schnauzer, sondern als Bonus auch noch lange Haare. Er sah also aus wie Jesus, der sich für die Rolle als „Magnum“ bewirbt. Außerdem haben Walrösser Ostern frei.
Die Schnauzer-Analogie kommt nicht zufällig. Kandidat Ryan wird aufgefordert, seinen Bart abzurasieren. Quasi budgetschonenes Self-Umstyling. Wobei, Bart? Da hat Alice Schwarzer ja mehr Haare auf den Zähnen als Ryan im Gesicht. Dennoch hadert er mit seiner Männlichkeit und beichtet seiner Freundin im Videocall: „Ich habe überlegt, abzubrechen!“ Er wollte es dann aber doch nicht so enden lassen, wie an der Hauptschule.
Unter den Augen der Gastjuroren Lena Gercke (“Meine Freundin ist die Schönste, aber Lena Gercke ist auch ein Bett“ – Frauenexperte Ryan) ruft Klum nach erledigter Nacktaufgabe umgehend zum Final Walk. Publikumsliebling Gabriel gibt dabei den Paul Breitner der Catwalks, der einst feststellte: „Wir alle hatten die Hosen voll, aber bei mir lief es flüssig!“ Heidi Klum jedenfalls attestiert: „Der läuft, als hätte er in die Hose gemacht!“
Und auch bei Kevin fährt Klum ihre Eloquenz-Regler wieder bis zum Anschlag hoch: „Das Face fand ich jetzt vom Gesicht her nicht so mega!“ Mist. Dabei hatte Kevin vom Feeling her eigentlich ein gutes Gefühl. Er darf dennoch bleiben, für Scheinhosenkötler Gabriel dagegen ist das Abenteuer GNTM vorbei. Klum schickt ihn gemeinsam mit Chris nach Hause. Und auch für Felix F. ist das Umstyling noch nicht beendet. Nach seiner pinken Haarfarbe ist auch noch seine Aufenthaltsgenehmigung für das Modelloft weg. Wen es beim weiblichen Ensemble trifft und ob da ebenfalls bereits ein Nacktshooting ansteht, das verrate ich bereits morgen genau an dieser Stelle. Bis dann.