Ausstellung „Polaroids“ in der Helmut Newton Foundation

Die eine steht im Glitzer-Bikini in einem hohlen Baum, die rechte Hand an einer Eisensprosse, die linke unter der Brust. Die andere klettert in hochhackigen Schuhen an einer Hafenmauer aus dem Wasser. Eine dritte liegt, nur mit einem Slip bekleidet, in einem Aquarium wie ein Kunstobjekt von Damian Hirst. Zwei weitere gehen in weißen Abendkleidern mit Rapieren aufeinander los wie Fechterinnen bei ei­nem Schaukampf. Und eine sechste ringt mit ausgebreiteten Armen vor einem Ballettsaal-Spiegel einsam mit sich selbst.

Wenn man die Bilder von Helmut Newton gelegentlich wiedersieht, merkt man, wie die Zeit vergeht. Vor zwanzig Jahren, kurz nach seinem Tod und nach Eröffnung der Dauerausstellung der Helmut Newton Stiftung gegenüber vom Bahnhof Zoo, war der in Berlin geborene, nach Australien emigrierte und von dort als Hochglanz-Virtuose zurückgekehrte Fotograf auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Inzwischen wirken seine Aufnahmen nicht nur museal, sondern historisch. Das Spiel mit den schimmernden Oberflächen, den Malerei- und Filmzitaten, den nackten Frauenkörpern vor Palästen und Pools liegt einer Ge­gen­wart fern, die nach Sinn und Tiefe selbst im Konsum, nach Identität, Herkunft, Ich-Sein unter der dicken Staubschicht der Entfremdung lechzt.

Latin Lovers am Schwimmbadstrand: „Amica“, Mailand 1982
Latin Lovers am Schwimmbadstrand: „Amica“, Mailand 1982Helmut Newton Foundation

Der zeitliche Abstand zu Newtons Fotokunst wird dort besonders deutlich, wo er selbst die größtmögliche Nähe zur Wirklichkeit sucht. Schon bald nach seinem Durchbruch in den Sechzigerjahren hat Newton angefangen, seine Bildideen mithilfe der gerade auf den Markt gekommenen Sofortbildfotografie zu fixieren. Die Polaroidaufnahmen, die dabei entstanden, sind ein zentraler Bestandteil seines Werks.

Die Newton Stiftung, die sie zum zweiten Mal seit 2011 in einer großen Ausstellung zeigt, versucht die Distanz zum Betrachter dadurch aufzuheben, dass sie die Originalpolaroids und ihre vergrößerten Abzüge ebenso vermischt wie private und professionelle Aufnahmen. Im ersten Saal hängen private und teils intime Ur­laubs­fotos des Ehepaars Newton an einer Stellwand den etwa gleichzeitig entstan­denen Entwürfen für Magazinwerbung für Uhren, Schmuck und Designermode ge­gen­über.

Kostümball: „French Vogue, Yves Saint Laurent, Paris 1977“
Kostümball: „French Vogue, Yves Saint Laurent, Paris 1977“Helmut Newton Foundation

Aber der Abstand bleibt, denn der Kontakt zwischen Privatheit und Kommerz findet nicht statt; das fröhliche Paar, das sich gegenseitig unter der Dusche oder im Garten aufnimmt, und die perfekt geschminkten und posierenden Models bleiben einander fremd. Nicht zufällig fehlen in der Ausstellung die Prominentenpor­träts, mit denen Newton erst zum Chronisten seiner Zeit geworden ist. Bei ihrer Entstehung konnte der Fotograf auf das Hilfsmittel der Polaroids verzichten, denn die Stars, die er aufnahm – Elizabeth Taylor, Sigourney Weaver, Hanna Schygulla, Nastassja Kinski und andere – waren mehr als Spielmaterial: Sie spielten mit.

Die Polaroidkamera ist eine Trickkiste der Zeitlichkeit: Sie verlängert den Augenblick, der gerade war, ins Jetzt, indem sie ihn direkt reproduziert. Bei Wim Wenders wird das Sofortbild zum Mittel der Selbstfindung, viele seiner Filmfiguren charakterisieren sich durch die Art, wie sie Fotos machen und betrachten. Bei Newton bleibt das Polaroidfoto ein Instrument. Was er sieht, ist das, was er sehen will.

Seid mir gegrüßt, ihr Klone: „Italian Vogue, Monte Carlo 2003“
Seid mir gegrüßt, ihr Klone: „Italian Vogue, Monte Carlo 2003“Helmut Newton Foundation

Der Reiz dieser Arbeitsbilder liegt darin, dass sie zeigen, was er im Sinn hatte, als er für seine Rolleiflex das Terrain bereitete: Filme von Hitchcock, Buñuel und Billy Wilder, Krimi- und Science-Fiction-Szenen, Atelierfotografien seiner Lehrerin Yva, Männerphantasien von langbeinigen, hoch­busigen Halbgöttinnen im Monumentalstil der Dreißigerjahre.

Dass dieser Pomp um 1980 ein Revival feierte, sagt viel über eine Zeit, in der die Entspannungspolitik der Großmächte einen trügerischen Friedensschleier über den Globus breitete. Heute leben wir in der Gegenzeit. So müssen die Zeitgenossen Neros auf frühe augus­teische Wandmalereien geblickt haben.

Alltägliche Schönheit: Sheila Metzner, „Michal, Mermaid“, 1980
Alltägliche Schönheit: Sheila Metzner, „Michal, Mermaid“, 1980Sheila Metzner

In ihrem zweiten Teil weitet sich die Ausstellung zu einem Panorama der Polaroidfotografie. Auch die Werke von Sheila Metzner, Pola Sieverding, Maurizio Galimberti und einem halben Dutzend anderer, die hier gezeigt werden, sind nicht mehr zeitgenössisch, denn seit den frühen Zweitausenderjahren hat das Smartphone die Sofortbildproduktion übernommen, und mit der Insolvenz der Firma Polaroid sind auch ihre Instantkameras zur Nostalgie­ware geworden.

Aber in dem Potpourri, das durch Einzelstücke aus der Wiener Ostlicht-Sammlung ergänzt wird, erahnt man die Möglichkeiten einer Kunst, die auf einem Seitenzweig der technischen Evolution aufgeblüht und erloschen ist. Der Italiener Galimberti etwa verwandelt die fehlende Tiefenschärfe der Polaroids in ein Gestaltungsmittel, indem er seine Porträts von Filmstars wie Johnny Depp oder Monica Bellucci aus Dutzenden Detailbildern mosaikartig zusammensetzt.

In Sheila Metzners Alltagschroniken wirkt selbst Jeanne Moreau im Morgenmantel wie eine zufällig vorbeigekommene Nachbarin. Und bei Stephen Shore, dem größten aller Polaroidfotografen, webt die Kamera aus Tausenden von Momenten einen Bilderteppich des amerikanischen Lebens. Ein Museum ist nicht der schlechteste Ort für diese Kunst. Auch wenn sie eigentlich auf die Straße gehört.

Polaroids. Helmut Newton Stiftung Berlin, bis zum 27. Juli. Kein Katalog.