Nahrungsergänzungsmittel: „Ich musste mich 13 Stunden lang übergeben“

Stärkeres Immunsystem und kräftigere Haare? Immer mehr Anbieter versprechen positive Effekte durch hochwertige Nahrungsergänzungsmittel zum Trinken. Doch zuletzt häufen sich kritische Tester, die von akuten Gesundheitsproblemen berichten. Das Muster ist oft ähnlich – und tückisch.

Die Werbung trägt dick auf: „166 gesundheitliche Vorteile“ sowie „91 Mineralien, Vitamine und Nährstoffe“ verspricht der Nahrungsmittelanbieter Huel in einer breiten Werbekampagne für seine „Daily Greens“. Die Idee: ein Löffelchen grünes Pulver, hergestellt aus 56 Pflanzen von Äpfeln über Brokkoli bis zu Quinoakeimlingen und Maitake-Pilzen. Ein stärkeres Immunsystem und kräftigere Haare verspricht die britische Marke ebenso wie eine gesteigerte geistige Leistungsfähigkeit. Kostenpunkt: 55 Euro für 30 Tagesdosen.

Huel ist vor zehn Jahren an den Start gegangen mit der Idee, einen schnellen vollwertigen Ersatz für ganze Mahlzeiten zu liefern. Anders als Protein-Drinks orientieren sich die Nährwerte der klassischen Huel-Pulver an den Empfehlungen für Nährwerte und Vitamine für eine vollwertige Ernährung. Auch in Deutschland macht Huel viel Werbung – und kam damit im Geschäftsjahr 2023/2024 auf 214 Millionen Pfund Umsatz.

Das Plus von 16 Prozent lag auch am neu eingeführten Wunder-Pulver Daily Greens, das seit wenigen Monaten auch in Deutschland verkauft wird. Es ist nicht allein am Markt: Vorreiter war die Marke Athletic Greens mit dem ähnlichen Pulver AG1. Der Erfolg ist so groß, dass jetzt selbst Aldi mit einem „Greens Powder“ an den Start geht.

Doch die Erfahrungen der Nutzer entsprechen offenbar nicht immer den Werbeversprechen. Das zeigen etliche Beschwerden in sozialen Medien wie Reddit und auf den Seiten von Huel.

„Bei dieser letzten Bestellung habe ich mich entschieden, Greens auszuprobieren, und hatte in den ersten paar Tagen keine Probleme. Aber plötzlich wurde mir übel und ich musste mich dann etwa 13 Stunden lang übergeben“, heißt es etwa bei Reddit.

„Ich dachte, ich hätte letzte Woche einen Magen-Darm-Virus bekommen … bis ich gestern Nachmittag wieder die Daily Greens nahm. Das Seltsame ist, dass ich sie wochenlang ohne Probleme genommen habe, und dann hat es mich plötzlich zerstört. Schreckliches Erbrechen stundenlang beide Male“, schreibt ein anderer.

„Ich dachte, dass es sich um eine Lebensmittelvergiftung handelt“

„Ich dachte auch, dass es sich um eine Lebensmittelvergiftung handelt, und musste mich mehr als 14 Stunden lang heftig übergeben. Es war äußerst schmerzhaft. Ich habe seit über zehn Jahren nicht mehr erbrochen und habe mich noch nie so krank gefühlt. Dies ist keine milde Nebenwirkung. Ich meine, ich muss mich über 20-mal übergeben haben und war so dehydriert. Ich wollte einen Krankenwagen rufen, da es zeitweise so schlimm war.“

Das Muster ist oft ähnlich – und tückisch: Die Nutzer beschreiben, dass sie das Produkt die ersten Tage oder Wochen problemlos vertragen haben – und dann plötzlich Übelkeit, Erbrechen und grippeähnliche Symptome auftraten. Daher beschreiben mehrere Nutzer, dass sie die Probleme zunächst nicht auf Daily Greens zurückführten – selbst nach Besuchen in Krankenhäusern.

Ähnliche Beschreibungen gibt es zum Pulver AG1 von Athletic Greens – allein 39 auf der Konsumentenschutz-Website iwaspoisoned.com. Die Authentizität lässt sich nicht zweifelsfrei überprüfen – und es stehen ihnen Berichte gegenüber, die von einem gefühlten Plus an Vitalität oder schlicht von keinerlei Effekten handeln.

„Unsere Spezialmischung enthält Inhaltsstoffe aus einer breiten Palette von Vitaminen, Mineralien und Nährstoffen auf pflanzlicher Basis, mit denen eine kleine Zahl von Menschen nicht vertraut ist“, sagte ein Huel-Sprecher auf Anfrage. Das könne zu Unverträglichkeit führen. Zudem sei auf der Verpackung der Hinweis vermerkt, bei Nebenwirkungen mit der Einnahme aufzuhören.

Nur: Auf welche Nebenwirkungen Kunden achten sollen, steht da nicht. Das macht es schwer, denn oft wurde laut den Beschreibungen die Ursache erst klar, wenn die Anwender nach dem Rückgang der Beschwerden wieder normal aßen – und auch Daily Greens erneut einnahmen.

Auch Athletic Greens wiegelt ab. „Berichte über unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit AG1 sind extrem selten, besonders für ein Produkt, das Kunden täglich konsumieren“, teilt ein Sprecher mit. Das Unternehmen nehme die gesetzlichen Verpflichtungen ernst und gehe allen Beschwerden sorgsam nach.

Da es sich bei den Produkten um keine Medikamente, sondern ein Lebensmittel handelt, brauchen sie keine Zulassung. Grundsätzlich gelte aber, dass Lebensmittel, die im Sinne der entsprechenden EU-Vorgaben „nicht sicher“ sind, nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, erklärt ein Sprecher des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. „Bei Schilderungen von Übelkeit und Erbrechen bei längerfristigem Verzehr der Produkte ist zu prüfen, ob hier ein solcher Fall vorliegt.“ Zuständig für konkrete Beschwerden seien die Lebensüberwachungen der Länder.

Huel sieht allerdings offenbar wenig Handlungsbedarf. Das Produkt werde zwar gelegentlich auch aufgrund des Kunden-Feedbacks angepasst, sagt der Huel-Sprecher. Dabei sei es zuletzt darum gegangen, das Produkt so schmackhaft und cremig wie möglich zu machen, ohne den Nährwert zu ändern – also ohne der Ursache der Beschwerden auf den Grund zu gehen.

Verbraucherschützer stellen grundsätzlich infrage, ob der pulverisierte Gemüse-Ersatz sinnvoll ist. Einerseits sei die Menge, die die Hersteller empfehlen, zu gering, um den täglichen Bedarf zu stillen.

Andererseits erhöhe die Vielzahl an Zutaten das Risiko für Unverträglichkeiten oder risikoreiche Inhalte, sagt Angela Clausen, Lebensmittelexpertin bei der Verbraucherzentrale NRW. So enthalte AG1 etwa die Schlafbeere Ashwagandha, die gesundheitliche Risiken berge.

Christoph Kapalschinski ist Wirtschaftsredakteur und berichtet regelmäßig über Nahrungsmittelhersteller.