
In dieser Woche konnte die grüne Migrationsministerin aus NRW, Josefine Paul, einen wichtigen Erfolg verkünden: Erstmals hatte das Land ein Flugzeug gechartert, um damit sieben Asylbewerber nach Bulgarien abzuschieben. Bei den vier Syrern und drei Afghanen handelte es sich um sogenannte Dublin-Fälle. Sie hatten in Deutschland einen Asylantrag gestellt, obwohl eigentlich Bulgarien dafür zuständig wäre.
„Sieben Personen, das klingt nach nicht viel“, sagte Paul der Rheinischen Post. Dennoch sei der Abschiebeflug ein großer Schritt. Überstellungen mit Charterflügen seien organisatorisch sehr viel effizienter durchführbar, als wenn man dafür die begrenzten Platzkapazitäten in Linienflügen nutzen müsse. Dem Auftrag, für Rückführungen zu sorgen, könne man so künftig besser gerecht werden. Für Paul ist die Rückführung aber auch insofern ein wichtiger Erfolg, als auch der Syrer, der im vergangenen Sommer auf einem Stadtfest in Solingen drei Menschen tötete, damals eigentlich bereits nach Bulgarien hätte abgeschoben sein sollen. Ein Versagen, das auch auf Paul zurückfiel. Derzeit beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss mit dem Fall.
Das Vorgehen seiner Landesministerin dürfte dem grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck gefallen. Bereits in der vergangenen Woche hatte er als Reaktion auf die von Unionskanzlerkandidat im Bundestag losgetretene Migrationsdebatte, die schließlich zu gemeinsamen Abstimmungen von Union und AfD führte, eigene Vorschläge zur Migrationspolitik präsentiert. Darin wird unter anderem die konsequente Abschiebung von Straftätern, die wirksame Eindämmung von irregulärer Migration an der EU-Außengrenze und die Durchsetzung von Europarecht speziell mit Blick auf die Dublin-Regeln gefordert.
Folgt die Partei Habeck?
Mit seinen Vorschlägen bleibt Habeck zwar weit hinter denen der Union zurück. Diese will beispielsweise künftig sämtliche Flüchtlinge direkt an der Grenze zurückweisen und auch den Familiennachzug zu Menschen mit dem geringeren subsidiären Schutzstatus komplett aussetzen. Davon findet sich in Habecks Papier nichts. Gleichwohl können Habecks Vorschläge als Angebot an die Union gelesen werden, worüber die Grünen nach der Wahl zu verhandeln bereit wären.
Doch folgt die Partei Habeck in dieser Hinsicht überhaupt? Wie die Bild-Zeitung nun berichtete, stand in der Version des Zehn-Punkte-Plans, der ihr in der vergangenen Woche zugespielt wurde, noch der Satz: „Zu einer Sicherheitsoffensive gehören auch Schritte, die die irreguläre Migration weiter reduzieren und begrenzen.“ Das klingt so, als wenn auch die Grünen es grundsätzlich für ein erstrebenswertes politisches Ziel halten, die Zahl von Asylbewerbern zu senken. In der Variante, die die Partei dann auf ihrer Homepage veröffentlichte, fehlt dieser Satz jedoch. Hat die Partei Habeck also bereits wieder zurückgepfiffen oder gar zensiert, wie Bild vermutet und wie es auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in seiner Bundestagsrede am Dienstag insinuiert hatte?
Von Grüner Seite wird das zurückgewiesen. An den zehn vorgeschlagenen Punkten habe sich nichts verändert, sagte Habecks Sprecher gegenüber ZEIT ONLINE. Der von der Bild-Zeitung vermisste Satz sei ein Zitat von Habeck gewesen, das man zusätzlich zur Verfügung gestellt habe. Dass dieses nun auf der Homepage fehle, habe nichts mit einer inhaltlichen Kurskorrektur zu tun. Vielmehr werde auch in der Variante auf der Homepage von einer „wirksamen Eindämmung der irregulären Migration“ gesprochen, was inhaltlich dasselbe sei.
„Abschiebungen sind keine Bestrafungen“
Grünenfraktionschefin Katharina Dröge, die dem linken Flügel der Partei angehört, der Asylrechtsverschärfungen traditionell eher kritisch sieht, verteidigte Habecks Plan. „Robert Habeck hat mit seiner Analyse Recht. Wir brauchen klarere und bessere Regeln in der Migrationspolitik“, sagte sie am Mittwoch. Dazu gehöre eine verbesserte Zusammenarbeit in der Europäischen Asylpolitik und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Rahmen fairer Migrationsabkommen. „Das – und auch andere Vorschläge – schafft mehr Ordnung, aber auch mehr Sicherheit für Geflüchtete. Und begrenzt so die ungeregelte Migration“, sagte Dröge.
Trotzdem ist Habecks Migrationsangebot bei den Grünen nicht unumstritten. In der vergangenen Woche hatte sich zunächst die Grüne Jugend darüber empört und schließlich einen eigenen Zehn-Punkte-Plan mit dem Titel „Humanität durch Sozialstaat“ vorgelegt. „Abschiebungen sind keine Bestrafung und dürfen nicht als solche eingesetzt werden“, heißt es darin etwa. Und es wird daran erinnert, dass im Grünen Wahlprogramm versprochen werde, nicht in Kriegs- und Krisengebiete abzuschieben. Von Begrenzung der Migration ist darin keine Rede. Stattdessen werden sichere Fluchtrouten gefordert und mehr Geld für die Kommunen, damit sie Flüchtlingen aufnehmen und integrieren können.
In einem internen Bereich auf der Parteihomepage, in dem Anträge hochgeladen und diskutiert werden können, wurde zudem ein Brief eingestellt, der sich ebenfalls kritisch mit Habecks Zehn-Punkte-Plan auseinandersetzt. Er wurde von 230 Grünenmitgliedern unterzeichnet, Prominente sind nicht darunter. Darin heißt es laut Medienberichten: „Strengere Asylpolitik macht Deutschland nicht sicherer. Abschiebungen verhindern keine Morde. Wir brauchen und wollen keine strengere Asylpolitik.“ Veröffentlicht wurde der Brief dann allerdings nicht, auch aus dem Antragstool wurde er gelöscht. Die offene Konfrontation mit dem Kanzlerkandidaten wollte man dann zwei Wochen vor der Wahl wohl doch vermeiden. Aus Parteikreisen wird zudem darauf hingewiesen, dass 230 Menschen für einen solchen Antrag nicht viele Unterzeichner seien, andere Anträge hätten dort schnell 1.000 Unterschriften.
Dennoch wird bestätigt, dass Habecks Zehn-Punkte-Plan in Teilen der Partei für Irritation gesorgt habe. Kritisiert wird vor allem „die Tonalität“. Anders als in anderen Papieren der Grünen zur Migrationspolitik fehlt dem Habeck-Papier eben ein positives Bekenntnis zum Grundrecht auf Asyl und die Feststellung, dass Schutzbedürftige auch Schutz bekommen sollen. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung sorgte für Verärgerung. Kurz nachdem Hunderttausende Menschen gegen einen Rechtsruck auf die Straße gegangen seien, hätten die Grünen nicht unbedingt mit diesem Papier rausgehen müssen, heißt es.
Dass der Umgang mit dem Thema für die Grünen schwierig ist, zeigte sich auch auf Social Media. Nachdem Habeck seinen Plan vorgelegt hatte, veröffentlichte Parteichefin Franziska Brantner die einzelnen Punkte zunächst auf verschiedenen Bildern bei Instagram. Nach kritischen Kommentaren wurde der Post zurückgezogen.
Selbst wenn die Debatte derzeit mit Rücksicht auf den Wahlkampf nur verdeckt geführt wird: Für die Grünen ist es schon mal ein kleiner Vorgeschmack darauf, was ihnen blüht, wenn die Partei nach der Wahl tatsächlich mit Merz über eine Koalition verhandeln müsste.