Hafenwirtschaft: Von der Containerbrücke ins Büro

Hafenanlagen und Terminalfahrzeuge werden künftig weitgehend ferngesteuert, oder sie laufen automatisch. Beim Projekt PortSkill 4.0 auf dem HHLA-Terminal Altenwerder werden die Grundlagen erarbeitet, um das Personal für den Hafen der Zukunft zu schulen.

Der riesige Automatiklastwagen fährt direkt auf den Betrachter zu. Und er stoppt nicht, er fährt einfach durch den Zuschauer hindurch. Die Umgebung des Container Terminals Altenwerder, die Größenverhältnisse wirken beeindruckend realistisch mit der digitalen Datenbrille im Schulungsraum des Terminals. „Mit einem Werkzeug wie einer dreidimensionalen Datenbrille für die virtuelle Realität wächst der ‚Möglichkeitsraum‘ für die Ausbildung und Simulation sehr stark“, sagt Jannik Blömer, Softwareentwickler beim Hamburger Unternehmen PatientZero Games.

PortSkill 4.0 heißt das überbetriebliche Forschungsprojekt in einer Büroetage auf dem Terminal Altenwerder des Hamburger Hafenlogistikkonzern HHLA. Unter anderem ist daran auch der Bremer Hafenlogistikkonzern BLG Logistics beteiligt. In Zentren wie diesem sollen künftig Fachkräfte geschult werden, für den Einsatz an hoch automatisierten Logistikanlagen, etwa Fernsteuerer für Containerbrücken oder Piloten für Drohnen, die Wartungs- und Sicherheitsaufgaben wahrnehmen. Das Projekt wurde Ende 2021 gestartet und läuft bis November 2025. Es wird vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr gefördert, und es hat einen sozialpartnerschaftlichen Ansatz. Die Gewerkschaft Verdi ist mit dabei und auch der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS).

„Der Fokus in diesem Projekt liegt klar auf der Entwicklung und Erprobung innovativer Ansätze und Methoden“, sagt Nane Bratke, Referentin für Qualifikationskonzeption und -management bei der HHLA. „Während der gesamten Laufzeit dürfen hier keine marktreifen Trainings oder Anwendungen entstehen, weil es sich um ein Forschungsprojekt handelt.“ Das Ziel von PortSkill 4.0 sei es, „die gewonnenen Ergebnisse zunächst umfassend zu testen und zu validieren, sodass ein Roll-Out nach Projektende und mit Vorlaufzeit möglich ist“.

Separat allerdings betreibt die HHLA auf der Büroetage auch schon die Ausbildung von Fernsteuerern für ihre Containerbrücken. „Bereits gewonnene Erkenntnisse aus dem Projekt PortSkill fließen hierbei schon mit ein“, sagt Bratke. Die ersten drei dieser neuartigen Anlagen sind Mitte Dezember auf dem Terminal Altenwerder eingetroffen. Künftig wird der Brückenfahrer oder die Fahrerin nicht mehr auf dem Ausleger der Containerbrücke hoch über dem Schiff hin- und herfahren, sondern die Anlage vom Büro aus steuern. Das ist körperlich weit weniger belastend als die Arbeit auf der Containerbrücke, und es verspricht einen höheren Umschlag. Terminals in Rotterdam oder in Wilhelmshaven nutzen bereits ferngesteuerte Containerbrücken.

Um dem Zukunftshafen näherzukommen, setzt das Unternehmen PatientZero Games auf bewährte Technologie. „Die Basis dessen, was wir hier nutzen, ist eine Software für Computerspiele, mit der man den Betrieb eines automatisierten Containerterminals schon sehr realistisch simulieren kann“, sagt Softwareentwickler Blömer vor einer Bildschirmwand. „Wir überlegen natürlich, wie detailliert der Terminal virtuell nachgebildet werden muss, um eine realistische und für das Training anpassbare Anmutung zu erhalten.“

Der Container Terminal Altenwerder der HHLA, der im Jahr 2002 in Betrieb ging, war seinerzeit der modernste Containerterminal der Welt. Sein technologischer Vorsprung bestand vor allem darin, dass Automatikfahrzeuge, sogenannte AGV, von Transpondern im Boden gesteuert, die Container zwischen der Kaikante und einem zentralen Containerlager auf dem Terminal transportieren, dem sogenannten Blocklager. Auch Hamburgs größten Containerterminal Burchardkai hat die HHLA in den vergangenen Jahren mit einem Blocklager und mit Automatikfahrzeugen ausgestattet, 2025 soll die Umrüstung abgeschlossen sein.

Ferngesteuerte Containerbrücken und Portalkräne sind die nächste Stufe der Automatisierung. Auch ferngesteuerte Terminaltrucks, die die HHLA auf ihrem Terminal im estnischen Muuga testet, werden künftig in Häfen verbreitet sein. Langfristig wird dies dazu führen, dass nur noch sehr wenige Menschen die anstrengende und wetterabhängige Arbeit auf dem Terminal selbst verrichten. Gefragt sind künftig andere Qualifikationen. „Port Skill 4.0 schult auch digitale Kompetenzen und die Kommunikation untereinander“, sagt Fabian Jäger, Mitbegründer und Geschäftsführer von PatientZero Games. „Brückenfahrer arbeiten bislang ja im Wesentlichen allein auf der Brücke. Wenn sie Containerbrücken künftig in einer Etage wie dieser hier fernsteuern, sind sie Teil eines Teams.“

Unter anderem werden bei PortSkill 4.0 Stresssituationen für stark automatisierten Terminals entwickelt und getestet. „Was passiert in den Abläufen, wenn nicht nur ein Automatikfahrzeug auf dem Terminal ausfällt, sondern vier gleichzeitig? Wie isoliert man einen brennenden Container innerhalb des Blocklagers?“, sagt Jäger. „Die Teilnehmer sollen lernen, Probleme gemeinsam zu lösen. Später werden hier nicht nur grundlegende Schulungen für Fernsteuerer stattfinden, sondern auch regelmäßige Auffrischungen.“

Klar ist allen Beteiligten: PortSkill 4.0 markiert nicht nur einen technologischen, sondern auch einen kulturellen Wandel im Hafen: „Von den gewerblichen Mitarbeitenden, die bislang das System hier kennengelernt haben, bekommen wir überwiegend positive Resonanz“, sagt Bratke. „Einige Mitarbeiter waren auch skeptisch mit Blick auf die fortschreitende Automatisierung. Umso wichtiger ist es für uns, Mitarbeitende gut zu informieren und Perspektiven zur Zukunft der Arbeit im Hafen zu erkennen und aufzuzeigen.“

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Die maritime Wirtschaft – Häfen, Schifffahrt und Werften – zählt zu seinen Schwerpunktthemen.