Demokratie in der Krise: Wir leben in einer neuen Zeit

Dieser Text erscheint in einer Reihe namens „Dispatches from LA“, die ZEIT ONLINE gemeinsam mit dem Thomas Mann House in Los Angeles gestaltet. Vor und nach der US-Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 berichten aktuelle und ehemalige Fellows des Thomas Mann House für ZEIT ONLINE über die Gegenwart der USA.

Was ist Demokratie? Ist es das Licht? Ist es dieses
Strahlen, das eine Leichtigkeit erzeugt, einen Sinn für das Mögliche, das ein
Versprechen eröffnet, dass so etwas wie Sinn und Schönheit über dem liegen, was
Menschen und Natur verbindet, eine Form von Ordnung, die egalitär ist, wie es
der US-amerikanische Dichter Walt Whitman sagte, der in der Natur selbst die
Demokratie entdeckte?

Thomas Mann mochte Walt Whitman, und er liebte das Licht,
das für ihn im Exil in den USA so besonders schien. „Heitere Sinneseindrücke
sind nicht wenig in solchen Zeiten“, schrieb er im Mai 1942 aus seinem
Arbeitszimmer in Los Angeles in einem Brief an Hermann Hesse, „und der Himmel
ist hier fast das ganze Jahr heiter und sendet ein unvergleichliches, alles
verschönendes Licht.“

Ich kann das bestätigen, denn ich sitze, während ich das
schreibe, an dem Platz, an dem Thomas Mann diese Sätze geschrieben hat. Und im
Regal hinter mir steht eine schöne Ausgabe von Walt Whitmans Gedichtband Leaves of Grass. Mann kam 1939 in die USA, auf der Flucht vor den
Nationalsozialisten, vor Hitler. Erst lebte er einige Jahre in Princeton, dann
zog er nach Los Angeles
, wo er zwischen 1942 und 1952 in dem lichten, leichten,
wunderbaren Haus lebte, das heute Fellows des Thomas Mann House wie mir vorübergehend einen
Raum zum Arbeiten und auch zum Atmen bietet.

1952 verließ Thomas Mann das Land wieder, in das er vor dem
Faschismus geflüchtet war, weil er auch in den USA so etwas wie Faschismus
kommen sah. Die einstige Hetze in den 1950er-Jahren in den USA gegen wirkliche
oder vermeintliche Kommunisten wirkt in den Wochen, bevor Donald Trump seine
zweite Amtszeit antritt, besonders relevant, der hysterische Furor besonders
furchteinflößend. Wie einfach kann eine Demokratie kippen, wie stark sind die
Kräfte, die sich diesem Prozess widersetzen, wie stark ist jeder einzelne
Mensch?

Thomas Mann selbst war ein Denker zwischen zwei totalitären
Systemen, ein Patrizier, der sich zur Demokratie überreden musste, ein
Demokrat, der seinen Zweifel an der menschlichen Natur und speziell an der
Demokratiefähigkeit der Deutschen nie loswurde. Die Politik, so beschreibt es
Mann in seiner Rede Deutschland und die Deutschen, die er ein paar Wochen nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 in Washington, D. C., hielt: Die Politik
sei den Deutschen fremd.

Der Kompromiss, der der Politik immanent ist, erscheine den
Deutschen wie eine „Heuchelei“, so führte Mann aus. „Von Natur aus nicht böse,
sondern fürs Geistige und Ideelle angelegt, hält er die Politik für nichts als
Lüge, Mord, Betrug und Gewalt“, sagte Mann weiter über „den Deutschen“ und
seine Demokratieprobleme: „Der Deutsche, als Politiker, glaubt sich so benehmen
zu müssen, dass der Menschheit Hören und Sehen vergeht.“

Es war eine Abrechnung mehr als eine Annäherung. Thomas Mann
demonstrierte in dieser Rede am eigenen Beispiel einen deutschen Hang zur
Selbstzerfleischung, die immer auch eine Form von Selbstentschuldung ist –
selbst in der Zerknirschung sind die Deutschen Weltspitze. Die Ambivalenz, die
diesen Text durchzieht, war auch Manns eigene. Er hatte lange gebraucht, um
sich zum Praeceptor Germaniae zu machen, zum Lehrer der Deutschen in Sachen
Demokratie
.