Zum Schluss gab es noch einmal die volle Bandbreite dessen, was Borussia Dortmund 2024 auszeichnete: konsequente Inkonstanz. Das Spiel beim VfL Wolfsburg konnte zwar gewonnen werden – doch neben fußballerischer Qualität kamen auch erneut eklatante Schwächen zum Vorschein.
Als das letzte Spiel vorbei war und besinnliche Weihnachtsmusik erklang, bedankte sich Nuri Sahin bei seinen Co-Trainern. Die BVB-Profis jubelten erleichtert – und auf der Ehrentribüne entspannten sich die Gesichtszüge von Hans-Joachim Watzke, Lars Ricken und Matthias Sammer. Die Dortmunder hatten es geschafft – sie gewannen im siebten und allerletzten Versuch des zu Ende gehenden Fußball-Jahres tatsächlich zum ersten Mal in dieser Bundesliga-Saison ein Auswärtsspiel. Zumindest die Feiertage waren gerettet. Es darf durchgeatmet werden.
„Wenn man die ersten sechs Monate von mir als Trainer analysieren will, dann muss man sich nur dieses Spiel anschauen. Es war viel auf und ab“, sagte Sahin, der nach dem 3:1 (3:0) in Wolfsburg sichtlich erleichtert wirkte. Der bisherige Saisonverlauf war eine einzige Achterbahnfahrt. Mal wirkte es so, als sei seine Mannschaft auf der Überholspur, dann wieder auf der Standspur. Das Ende war zwar halbwegs versöhnlich – doch das allein reicht gerade mal aus, um dem stolzen Klub mit seinen traditionell hohen Ansprüchen eine Zerreißprobe, inklusive einer neuen Trainerdiskussion, zu ersparen.
Denn die Bundesliga-Bilanz der Borussen bleibt desillusionierend. Die Dortmunder überwintern auf Tabellenplatz sechs – der zur Teilnahme an der Conference League berechtigen würde. Für die meisten Fans dürfte dies wie eine Ohrfeige sein. Der Abstand auf Tabellenführer Bayern München beträgt elf Punkte – der auf den zur Champions League-Teilnahme berechtigenden Tabellenplatz vier, auf dem RB Leipzig steht, zwei Zähler.
Das Problem besteht nicht erst seit Sahin
Der BVB hinkt seinen Ansprüchen hinterher. Warum dies so ist – das wurde auch am Sonntag wieder deutlich. Auf eine starke erste Halbzeit, in der die Mannschaft den Gegner durch gutes Positionsspiel, hohe Laufbereitschaft dominierte und in der zielstrebige Angriffe zu drei Treffern kurz hintereinander führten – Donyell Malen (25. Minute), Maxi Beier (28.) und Julian Brandt (30.) – folgte ein ebenso eklatanter Leistungsabfall. Und erklären konnte sich dies wieder einmal niemand.
„Ein 3:0 sollte einem eigentlich so viel Rückhalt geben, dass du das Spiel souverän durchspielst“, sagte Brandt. Er spielte auf die ersten zwanzig Minuten nach Wiederanpfiff an. Plötzlich war die Ordnung im Dortmunder Spiel dahin. Es gelang kaum noch, geordnet von hinten heraus zu kombinieren. Das Konzentrationslevel sank bedenklich ab. Die Wolfsburger kamen nach einem schlecht verteidigten Eckball durch Dennis Vavro zum Anschlusstreffer (58.). Kurz darauf drohte das Spiel zu kippen, als Pascal Groß die Gelb-Rote Karte sah und den der BVB seinen Vorsprung die letzte halbe Stunde zu zehnt verteidigen musste. Immerhin dies gelang.
„Ich habe mein Trainerteam gefragt: Habe ich zur Halbzeit in der Kabine etwas Falsches gesagt?“, erklärte Sahin in einem Anflug von Selbstironie. Nein, hatte er nicht – selbst wenn auch der Trainer in diesem bemerkenswert inkonstanten halben Jahr nicht fehlerfrei war. Das gilt übrigens genauso für die erste Hälfte von 2024, als Sahin noch Co-Trainer im Stab von Edin Terzic war. Auch da hatte der BVB zwei Gesichter gezeigt: ein schönes in der Champions League, wo es die Mannschaft im Juni sogar bis ins Finale geschafft hatte – und ein konturloses in der Bundesliga, wo es am Ende der vergangenen Spielzeit nur zu einem enttäuschenden fünften Platz gereicht hatte.
Ob unter Terzic oder unter Sahin – der BVB blieb konsequent inkonstant. Die Dortmunder gehen zwar in dem Bewusstsein ins neue Jahr, sich ohne den Umweg über der Play-offs für das Achtelfinale in der Königsklasse qualifizieren zu können. International beeindruckte die Mannschaft teilweise sogar mit ihrer offensiven Spielweise – doch bei seinem Vorhaben, das Team zu einer kontinuierlichen Abrufung des Potenzials zu bringen, ist Sahin kaum vorangekommen. „Wir müssen endlich lernen, konstant zu werden. Denn wir sind gut. Wir sind gut – wir müssen es nur regelmäßig auf den Platz bringen“, erklärte er.
Hierarchien lassen sich nicht verordnen
Es ist ja nicht so, dass sie dies in Dortmund nicht versucht haben. Im Sommer kamen gestandene Spieler mit Führungsqualitäten. Waldemar Anton, Pascal Groß und Serhou Guirassy waren bereits Nationalspieler, haben in verschiedenen Top-Ligen ihre Klasse unter Beweis gestellt. Es waren diesmal nicht, wie so oft in den vergangenen Jahren, entwicklungsfähige Talente, die verpflichtet wurden, sondern erfahre Profis, von denen angenommen wurde, dass sie der Mannschaft sofort Halt und Sicherheit geben werden.
Doch Hierarchien lassen sich nicht verordnen, sie müssen wachsen. Das dauert. Deshalb hatte Sahin auch lange Geduld eingefordert – bis er feststellen musste, dass es ihm nicht unbedingt gedankt wurde, wenn er seine immer wieder unkonzentrierten Spieler schützt.
So verschärfte er im Jahresendspurt sogar bewusst seine Rhetorik. „Seid ihr Gewinner-Typen?“, blaffte er Ramy Bensebaini, Marcel Sabitzer und Emre Can in der Kabine an. Sahin hatte die verzagte Körpersprache der Spieler beim enttäuschenden 1:1 gegen Hoffenheim vor einer Woche derart gestört, dass er ein wenig schwarze Pädagogik für angebracht hielt. Dies hatte zumindest zur Folge, dass die Spieler selbstkritisch genug waren, gewisse Mentalitätsschwächen einzugestehen – verbunden mit dem Versprechen, daran zu arbeiten. Und sich auch während des kurzen Weihnachtsurlaubs damit auseinanderzusetzen.
„Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, warum wir nicht auf Platz zwei, drei oder vier stehen“, sagte Brandt. Es dürfte 2025 nicht mehr vorkommen, dass der BVB in kritischen Momenten „weitestgehend offline“ sei. „Da müssen wir erwachsener werden“, so der Nationalspieler.
Die Gelegenheit, dies unter Beweis zu stellen, wird sehr schnell kommen. Am 10. Januar geht es für Borussia Dortmund, die rätselhafteste deutsche Mannschaft des Jahres 2024, weiter: Bayer Leverkusen kommt – in Sachen Konstanz und Mentalität so etwas wie der Gegenentwurf zu den Schwarz-Gelben im alten Jahr.