Rapper sind keine Chorknaben, Dude! Wer sich heute noch darüber erregen kann, dass bad boys little bitches dissen, sich mit Klunkern behängen und sexistischen Gewaltphantasien nachhängen, muss ein paar Jahrzehnte unter einem Stein gelebt haben. So wie zum Beispiel Roberto Gualtieri, seit 2021 Bürgermeister von Rom. Der Sozialdemokrat ist persönlich musikaffin, er greift in seiner Freizeit sogar selbst zur (akustischen) Gitarre. Seit Jahren veranstaltet die Stadt Rom im Circus Maximus ein kostenloses Freiluftkonzert zu Silvester, für mehr als 80.000 überwiegend sehr junge Leute.
Für die diesjährige Ausgabe waren Tony Effe, Mahmood und Mara Sattei gebucht – ein starkes Line-up aus Rap und Hiphop. Doch dann regte sich Widerstand gegen Tony Effe, den ungekrönten König der Hauptstadtslang-Rapper. Die NGO „Differenza Donna“, die sich dem Kampf gegen sexualisierte Gewalt an Frauen verschrieben hat, geißelte Tony Effe als Repräsentanten einer „Kultur des Missbrauchs und der Verachtung von Frauen“. Dem Protest schlossen sich weitere Organisationen und vor allem einflussreiche Funktionärinnen der Sozialdemokraten an.
Kann man aus Texten auf Haltungen schließen?
Tatsächlich ist bei Tony Effe mehr als einmal von „una bitch“ die Rede, die bereitwillig „die Beine öffnet“, wenn sie seiner ansichtig wird, oder anderswie mit seinem „joystick“ umzugehen weiß. Nur ist es eben unterkomplex, von einem künstlerischen Ausdruck des Sexismus oder der Gewalt umstandslos auf eine kongruente Haltung oder gar Handlung zu schließen. Während man bei einem Sean Combs eine direkte Spur der Songtexte zu seinen monströsen Taten zu erkennen glaubt, vermochte etwa ein Harvey Weinstein die seinen hinter der Maske des größten Frauenförderers von Hollywood zu verstecken.
Jedenfalls lud Gualtieri den Rapper Tony Effe vom Silvesterkonzert wieder aus. Worauf zunächst der Superstar Mahmood absagte mit der Begründung: „Man kann zwar jede Form von Kunst diskutieren und kritisieren, aber Zensur darf es nicht geben.“ Dem Solidaritätsboykott schloss sich sogleich Mara Sattei an mit den Worten, sie finde es „nicht richtig, einen Künstler von einem Auftritt abzuhalten und ihm so seine Meinungsfreiheit zu nehmen“. Von Zensur könne keine Rede sein, erwiderte Gualtieri. Schließlich könne Tony Effe jederzeit in Rom auftreten – nur eben nicht an Silvester bei einem von der öffentlichen Hand finanzierten Konzert, „das die Stadt einen und nicht spalten“ solle.
Sein eigenes verblüffendes Einigungswerk zu den Feiertagen hat Gualtieri schon vollbracht: Mit dem Hinauswurf des renitenten Rappers hat er seine links-feministische Klientel ebenso glücklich gemacht wie die rechts-konservativen Traditionshüter, die seit jeher das nationale Liedgut gegen die Trash-Subkultur des Italo-Rap verteidigen. Und ein Silvesterkonzert ganz ohne Musiker gibt es auch nicht alle Tage, da sind sich ebenfalls alle einig.