Jeder hätte verstanden, wenn Kauã Santos umgehend in die Katakomben geeilt wäre. Stattdessen nahm sich der Torwart von Eintracht Frankfurt mit Schlusspfiff erst sein Handtuch, packte seine beiden Trinkflaschen zusammen, um sich dann mit der Mannschaft am Mittelkreis zu sammeln. Auffällig viele Mitspieler klatschten dem 1,96 Meter großen Brasilianer auf die Schulter, der den Zuspruch an diesem nasskalten Samstagnachmittag im Waldstadion bitter nötig hatte.
Viel unglücklicher hätte der Ersatztorwart von Eintracht Frankfurt, der kurzfristig für den grippekranken Kevin Trapp eingesprungen war, nicht agieren können als bei der grotesk anmutenden 1:3-Heimniederlage im Nachbarschaftsduell gegen den FSV Mainz 05. Der Weihnachtsmann hätte den Gästen kaum bessere Präsente bringen können als der Keeper im gelben Gewand.
„Das ist für ihn ein Learning“, sollte Trainer Dino Toppmöller später sagen. „Es war heute nicht sein Tag, er hat trotzdem noch eine tolle Karriere vor sich.“ Dass das 2023 in Rio de Janeiro erspähte Talent im letzten Heimspiel des Jahres zwei hanebüchene Patzer eingebaut hatte, konnte indes niemand negieren. „Das ist extrem ärgerlich, schade und bitter“, konstatierte Sportvorstand Markus Krösche, der Santos so zu schützen versuchte: „Er ist ein junger Torwart. Er hat Entscheidungen getroffen, die nicht gut waren. Er wird daraus lernen, und es wird ihn stärker machen.“
Immerhin hat der 21-Jährige im Herbst bereits in einer längeren Phase etliche überzeugende, wenn auch nicht gänzlich fehlerfreie Leistungen als Trapp-Ersatz gezeigt, so dass sein Arbeitspapier bei der Eintracht mittlerweile sogar bis 2030 läuft. Nur was war bloß in ihn gefahren, als der junge Schlussmann vor dem Strafraum erst den bedrängten Ellyes Skhiri anspielte, dann sich dessen Bogenlampe per Oberarm den Ball beim 0:1 hinter die Linie legte (16.)? Das erinnerte an das preisgekrönte Kopfballeigentor aus dem Jahr 2002 von Tomislav Piplica bei Energie Cottbus, als dieser auch wegen solcher Missgeschicke zur Kultfigur avancierte.
Am wenigsten konnte der Unglücksrabe Santos noch dafür, dass ein von Abwehrchef Robin Koch leicht abgelenkter Schuss von Paul Nebel zum 0:2 die Maschen rauschte (27.). Beim 0:3 durch das Mainzer Eigengewächs hatte der Tormann dann wieder Füße und Hände mit im Spiel, weil er erneut im Aufbau den Ball vertrödelte, dann den Schuss von Jae-sung Lee unzureichend abwehrte (58.). Nur dem Torwart die Schuld zuzuschieben, war dem mit der Kapitänsbinde betrauten Koch aber zu einfach. „Es hat bei dem Spiel nichts geklappt“, meinte der Nationalspieler in Anspielung auf das Versagen hinten wie vorne.
Die Eintracht befleißigte sich nämlich auch eines an Absurdität kaum zu übertreffenden Chancenwuchers. Am Ende waren 49 Flanken, 17 Ecken und 34 Torschüsse ohne echten Ertrag geblieben. Mal hatte Torjäger Omar Marmoush die Kugel über den Kasten gefeuert, mal Edeltechniker Can Uzun den Ball nicht voll getroffen. Der Frust auf Rängen und Rasen war deswegen mit Händen zu greifen. „Wir müssen die Bälle einfach ins Tor schießen. Can macht in 100 Fällen den Ball 99 Mal rein“, klagte Trainer Toppmöller.
Bei der Eintracht ist der gute Eindruck getrübt – trotz Platz drei in der Tabelle
Die Verzweiflung über diesen verschwenderischen Umgang – Ausnahme war das 1:3 von Rasmus Kristensen (75.) – war auch deshalb so groß, weil die Nullfünfer durch den zweiten Platzverweis in dieser Saison gegen Nadiem Amiri über weite Strecken in Unterzahl agierten. Der Mainzer Antreiber hatten Skhiri früh im Spiel voll am Knöchel erwischt (21.). „Zur Wahrheit gehört auch: Wir dürfen nicht mit einem Mann mehr zwei Gegentore kassieren – egal, wie sie zustande kommen“, sagte Toppmöller.
Bei den Hessen ist der gute Eindruck der bisherigen Hinrunde durch fünf sieglose Pflichtspiele nun endgültig eingetrübt, auch wenn ihr Coach trotzig daran erinnerte, dass Tabellenplatz drei doch schwer in Ordnung sei: „Ich bin überzeugt, dass wir mit frischen Kräften aus der Winterpause rauskommen.“ Auf Mainzer Seite kommt die Unterbrechung fast zur Unzeit. „Auch wenn das eine oder andere Tor für uns glücklich gefallen ist: Wir haben intensiv verteidigt und uns leidenschaftlich die drei Punkte verdient“, fand Sportchef Niko Bungert.
Trainer Bo Henriksen kam mal wieder aus dem Grinsen nicht heraus – der fünfte Sieg im sechsten Bundesligaspiel nacheinander fühlte sich wie eine vorgezogene Bescherung für die Rheinhessen an, was ein Jahr mit viel Frohsinn krönte. „Wir hatten den Mut, in Unterzahl auf das zweite und dritte Tor zu gehen“, resümierte Däne Henriksen, der einen entscheidenden Fakt in der Pressekonferenz nicht verschweigen wollte: „Es war nicht der am meisten verdiente Sieg, aber wir hatten einen wirklich guten Torhüter. Wir haben alles gemacht, aber wir müssen auch sagen, dass Robin Zentner heute der beste Spieler auf dem Platz war.“
Der 30-Jährige mimte in letzter Instanz immer dann den Spielverderber, wenn sich nicht schon aufopferungsvolle Vorderleute wie die überragenden einstigen Frankfurter Danny da Costa und Dominik Kohr in die Schüsse oder Kopfbälle geworfen hatten. „Das war wirklich ein hartes Stück Arbeit“, sagte Zentner hinterher, „das fühlt sich sehr gut an.“ Deswegen wurde auch gleich im breiten Kreuz des Matchwinners noch eine Kiste Bier einer Frankfurter Brauerei in die Mainzer Kabine geschleppt.