„Es ist möglich“: Frachtschiffe steigen auf Segel um


„Es ist möglich“

Frachtschiffe steigen auf Segel um

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Der globale Handel wird größtenteils per Schiff abgewickelt: Doch das bringt massive CO2-Emissionen mit sich. Wie kann man diese Transporte sauberer machen? Manche denken vorwärts – und zurück.

Der Franzose Yann Jourdan arbeitet auf einem Segelschiff, das Fracht über den Atlantik transportiert. Er weiß, dass er als Kapitän vielleicht vier Mal so viel verdienen würde wie jetzt, wäre er weiter auf kraftstoffbetriebenen Schiffen geblieben. Aber die saubere Energie des Windes zu nutzen, gibt ihm inneren Frieden, und das ist ihm wichtiger als Geld. Wenn sein dreijähriger Sohn Marcel aufwächst, will er ihm sagen können, was er getan habe, um den riesigen Kohlenstoff-Fußabdruck der Schifffahrt-Industrie zumindest etwas zu verringern.

Die internationale Handelsflotte von mehr als 100.000 Schiffen befördert über 80 Prozent der globalen Handelsgüter. Aber zugleich ist sie für etwa drei Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Und wenn es keinen raschen Umstieg auf sauberere Energien gibt, so warnen Experten, wird die Verschmutzung noch drastisch zunehmen.

Seeleute, die zur Windnutzung drängen, sagen, dass Investoren sie praktisch ausgelacht hätten. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten, und das sind sie – die Pioniere eines Comebacks von mit Segeln betriebenen Frachtschiffen. „Es ist unsere Aufgabe zu beweisen, dass es möglich ist“, erklärt Jourdan, während er mit dem neuen Frachter „Grain de Sail II“ vor der bretonischen Küste segelt. „Für mich ist es schlicht logisch … Benzin ist eine begrenzte Quantität, Wind nicht.“

Die saubersten der neuen Segelschiffe stützen sich fast ganz auf den Wind, so wie die „Grain de Sail II“, die halb so groß wie ein Fußballfeld ist, 350 Tonnen an Gütern transportieren kann und den Dieselmotor nur zum Manövrieren in und aus dem Hafen benutzt.

Die Zahl wächst

„Wir wollen den Kohlenstoff-Fußabdruck nicht nur reduzieren, wir wollen ihn vernichten“, sagt Jacques Bareau, der zusammen mit seinem Zwillingsbruder Olivier die Firma Grain de Sail aus der Taufe gehoben hat. Sie nutzten Gewinne aus ihren Geschäften mit dem Rösten von Kaffee und der Herstellung von Schokolade im Westen von Frankreich, um ihren ersten Segelfrachter, „Grain de Sail I“, zu finanzieren.

Barreau sieht eine Zukunft „mit Tausenden“ Schiffen ähnlich dem Nachfolger „Grain de Sail II“ und sogar noch größeren Versionen voraus. Das Schiff hat einen Aluminium-Rumpf, zwei riesige Kohlefaser-Masten sowie mechanisierte Systeme zur Beförderung der Güter an und von Bord und zum Justieren der aufgeblähten Segel. Auf der Schiffsbrücke wimmelt es von High-Tech-Navigationsgeräten. Die schnellste der bisherigen vier Atlantik-Überquerungen des Frachters vom französischen Hafen Saint-Malo nach New York dauerte 17 Tage und der Rückweg nur 15. „Es ist eine völlig andere Art zu segeln“, so Barreau.

Auch motorbetriebene Frachtschiffe werden mit windnutzenden Systemen zum Einsparen von Kraftstoff ausgestattet – bis hin zur massiven 340 Meter langen „Sea Zhoushan“, die Eisenerz transportiert. Sie wurde in China gebaut und hat fünf große Rotoren auf dem Deck, die sich die Windenergie zunutze machen. Bei der Inbetriebnahme 2021 sagte der brasilianische Bergbauriese Vale, er erwarte Kraftstoff-Einsparungen von bis zu acht Prozent auf den 40-tägigen Reisen zwischen Brasilien und China. Finnlands Norsepower, der Hersteller der Rotoren, hat diese Art von Systemen nach eigenen Angaben seit 2014 auf 16 Schiffen angebracht und 13 weitere Installationen in der Pipeline.

Von Wind unterstützte Schiffe machen zwar nur einen winzigen Teil der globalen Flotte aus, aber die Zahl wächst außergewöhnlich schnell, wie das auf Schifffahrtsdaten spezialisierte Forschungsunternehmen Clarksons Research berichtet. Nach seinen Berechnungen benutzen bereits 165 Frachtschiffe Wind in gewissen Maßen oder stehen vor der Installation entsprechender Systeme. In der EU müssen die Betreiber größerer Frachtschiffe ab 2025 für manche ihrer Emissionen zahlen und neue Regeln befolgen, die kohlenstoffarme Brennstoffe fördern sollen. Solcher Druck könnte Wind reizvoller machen.

„Werden hinzulernen“

„Von Wind unterstützter Antrieb wird am Ende sogar in den größten Teilbereichen des Frachtschifffahrt-Sektors beim globalen Übergang helfen“, prophezeit Bryan Comer vom gemeinnützigen International Council on Clean Transportation. „Wir wissen, dass es funktioniert, nicht wahr? Die Schifffahrt war ursprünglich völlig vom Wind angetrieben.“

Aber was ist, wenn der Wind nicht bläst? Die französische Speditionsfirma Neoline räumt freimütig ein, dass ihr neues 136-Meter-Frachtschiff, das 2025 den Betrieb aufnehmen soll, seinen Dieselmotor benutzen wird, sollte Wind allein nicht reichen, die Zeit für Atlantik-Überquerungen zwischen dem französischen Hafen Saint-Nazaire und Baltimore in den USA auf 13 Tage zu begrenzen. „Wir zielen auf Pünktlichkeit ab“, sagt der Chef des Unternehmens, Jean Zanuttini. „Wir akzeptieren und erkennen die Tatsache an, dass etwa 30 Prozent unserer Energie aus dem Dieselsystem kommen wird.“

Aber da sind die restlichen 70 Prozent, die dank Neolines neuer Art von Riesensegeln aus Glasfaser-Paneelen statt Segeltuch erzeugt werden sollen. Zudem stellt Zanuttini Verbesserungen in der Zukunft in Aussicht. „Wir werden hinzulernen“, sagt er. Und: „Grain de Sail III“ ist bereits auf dem Zeichenbrett. Die Barreau-Zwillinge arbeiten zurzeit an der Finanzierung.