Wie konnte es zur Amokfahrt in Magdeburg kommen?

Am Tag nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg dominiert in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt die doppelte Frage nach dem Warum. Es geht um den Täter, einen 50 Jahre alten Arzt aus Saudi-Arabien, und dessen Motiv.

Die Äußerungen von Taleb Al A. vor der Tat waren radikal islam-kritisch und militant, wirkten zum Teil aber auch wirr. Der Mann soll, wie es aus der Landespolitik heißt, als Facharzt für Psychotherapie in einer Klinik mit forensischer Psychiatrie und Maßregelvollzug in Bernberg gearbeitet haben, wo er auch wohnte.

Daher wird im Hintergrund in der Landespolitik bereits die Frage gestellt, ob die Radikalisierung und mögliche psychische Erkrankungen dort aufgefallen sind, denn in einer forensischen Psychiatrie arbeitet darauf spezialisiertes Fachpersonal.

Zudem gab es womöglich Warnungen, dass von dem Mann eine konkrete Gefahr ausgeht. Wie die Zeitung „Die Welt“ berichtet, soll eine Frau, die angeblich in Saudi-Arabien lebt, wegen der bedrohlichen Äußerungen von Taleb Al. A. eine eindringliche Warnung an die Sicherheitsbehörden nach Berlin geschickt haben, allerdings nach Berlin im amerikanischen Bundestaat New Jersey. In der Landespolitik heißt es aber auch, es habe auch Warnungen an eine deutsche Behörde gegeben, genannt wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Wie konnte das Auto auf den Weihnachtsmarkt gelangen?

Daneben geht es in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt aber auch um die Frage, wie es dem Mann gelingen konnte, seinen bulligen schwarzen BMW in den Weihnachtsmarkt zu steuern. Er fuhr nicht nur wenige Meter durch die Menschenmenge, sondern dort muss mehrere hundert Meter herumgefahren sein.

Weihnachtsmärkte in Deutschland werden seit dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016, als der Dschihadist Anis Amri einen Lastwagen in die Menschenmenge steuerte und 13 Personen tötete, stark von der Polizei bewacht und gelten weiter als hoch gefährdet.

Innenminister aus den Ländern heben in Gesprächen hervor, dass die Behörden für den Schutz der Märkte hohen Aufwand treiben und viel Personal abstellen. Auch in Magdeburg waren zum Tatzeitpunkt viele Polizeikräfte in der Nähe positioniert.

Auf dem Video von der Festnahme des Täters, das unmittelbar nach der Tat entstand, ist zu sehen, wie ein Polizist mit Schutzweste den Täter stellt. Einige Sekunden später sind bereits zwei Kleinbusse der Polizei am Ort und ein Dutzend Beamte umstellt den Täter.

Der verwüstete Weihnachtsmarkt in Magdeburg am Samstag
Der verwüstete Weihnachtsmarkt in Magdeburg am SamstagReuters

Geklärt werden muss zudem die Frage, warum die Absperrungen den Täter nicht aufhielten. Das Video von der Festnahme ist gegenüber des Allee-Centers an der Ernst-Reuter-Allee entstanden, eine mehrspurige Verkehrstangente durch die Innenstadt, die dann die Elbe überquert. Ein Video der Tat zeigt, wie der Fahrer zuvor durch die Menschenmenge auf dem Alten Markt raste, dem heimeligen Zentrum des Weihnachtsmarktes vor dem Rathaus der Landeshauptstadt.

Der Täter ist, wie aus der Landespolitik bestätigt wird, aus der Fußgängerzone in der Breiten Straße in dieses Areal abgebogen, dann über den Alten Markt gerast, am Ende des Platzes rechts abgebogen und dann wieder auf die Ernst-Reuter-Allee gefahren, also fast einmal um den Block. Erst vor einer Ampel sei er nicht mehr weitergekommen, heißt es. Sonst hätte noch größerer Schaden gedroht.

Daraus ergibt sich die Frage, warum dies nicht durch Hindernisse verhindert wurde, da das Szenario vom Berliner Breitscheid-Platz bekannt war. Rund um den Magdeburger Weihnachtsmarkt stehen zahlreiche schwere Betonblöcke in roter und grüner Farbe herum, die wie achtnoppige Lego-Steinen im Großformat aussehen. Solche Blöcke hätten das Fahrzeug mit hoher wahrscheinlich aufgehalten. Der Bereich des Weihnachtsmarkt war aber offenkundig nicht lückenlos mit diesen Blöcken abgeriegelt.

Bange Fragen

Es wird in Magdeburg aber vor voreiligen Schlüssen oder gar Schuldzuweisungen gewarnt. Weihnachtsmärkte könnten kaum völlig abgeriegelt werden, weil die Zugangswege, auch im Falle einer Panik, große Mengen von Fußgängern bewältigen müssten. Auch müsse ein Lieferverkehr zu den Ständen möglich sein, was mit schweren Betonblöcken an allen Passagen kaum vereinbar sei. Wie es heißt, stellen sich die Magdeburger Ordnungsbehörden derzeit dennoch bange Fragen, ob sie in ihrem Sicherheitskonzept Fehler gemacht haben.

Manche Städte ziehen aus dem Geschehen in Magdeburg bereits kurzfristige Konsequenzen. In Halle, der zweiten größeren Stadt in Sachsen-Anhalt, sollen die Zufahrten des Weihnachtsmarkts kurzfristig noch stärker gesichert werden.

Die Zahl der Todesopfer stieg unterdessen auf fünf. Dies bestätigte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Samstagvormittag offiziell. Es gebe zudem mehr als 200, zum Teil sehr schwer Verletzte.

Haseloff war mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), dem gegenwärtigen Justizminister Volker Wissing, der aus Sachsen-Anhalt stammenden Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sowie dem CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zum Tatort gekommen.

Die Politiker durchschritten die verwüstete Gasse auf dem Alten Markt und gedachten der Opfer am Portal der Johanniskirche. Haseloff dankte den Einsatzkräften und dem medizinischen Personal, das eine Versorgung der Opfer „auf maximalem Niveau“ gewährleistet habe. Man werde auch über das Thema Sicherheit in Deutschland sprechen müssen, dafür sei aber „heute noch nicht der Tag“. Scholz warnte vor denjenigen Kräften, die im Land „Hass säen wollen“.