Chicago zur Weihnachtszeit: Christmas-Cocktails und Sauerkraut

Gänzlich unvorbereitet sollte man im Advent lieber nicht das weiße Haus in der North Clark Street 3505 in Chicago betreten. Gleich nach Halloween nämlich verwandeln fleißige Helfer den Bamboo Club in zwei hektischen Wochen in eine Weihnachtsbar, die es in sich hat. Unter einem roten Zeltdach rote und goldene Kugeln zwischen hunderten Lichterketten. Zwischen den Tischen und Sitzgruppen fährt ein lebensgroßes Rentiergespann aus Lichterketten durch einen glitzernden Tannenwald. Im Nachbarraum hängen schillernde Geschenke und Stiefel von der kunterbunt beleuchteten Decke. Im ersten Stock lustwandelt man durch ein Labyrinth aus Goldpapier und nimmt oben auf dem Dach schließlich Platz neben dem Weihnachtsmann in seinem riesigen roten Auto. Die „Santa Baby Bar“ steht für Weihnachten XXL mit üppig dekorierten Festtagscocktails, Kunstschnee und Zuckerstangen. Mit einem Satz: Lametta war gestern!

Und „Santa Baby“ – benannt nach dem Schlager aus dem Jahr 1953 – ist kein Unikat. Gleich nebenan hat „Elf’d Up“ geöffnet – inspiriert von der Filmkomödie „Buddy – Der Weihnachtself“ mit Will Ferrell. „2017 hatten wir von einer Weihnachtsbar in Texas gehört“, sagt Barbesitzer Tom Leone. Im Jahr darauf hat er das Vereinslokal der Chicago Cubs mit 20 Angestellten zum ersten Mal weihnachtlich umdekoriert. Das macht er seither jedes Jahr, mit immer mehr Details. „Die Nachfrage war so groß, dass wir gar nicht anders konnten, als auch dieses Jahr wieder Hand anzulegen“, sagt Tom und hastet weiter zum nächsten Tisch. Das „Elf’d Up“ ist schon zur Mittagszeit besetzt bis auf den letzten Platz. „Probiert nicht nur die artigen Cocktails“, ruft Tom noch. Auf der Karte gibt es schließlich zwei Kategorien – und damit auch die unartigen.

Wer vor Weihnachten in Festtagsstimmung kommen möchte, ist nicht nur in New York mit dem berühmten Riesenbaum vor dem Rockefeller Center gut aufgehoben. Auch in Chicago, wo wirklich strenger Frost meist erst Mitte Januar einzieht, ist in den letzten Jahren eine regelrechte Weihnachtsmanie ausgebrochen. Allein 25 thematische Pop-up-Bars konkurrieren mittlerweile mit üppigen Dekorationen und fantasievollen Drinks um die Gunst der Kundschaft. Und auch sonst kann die Windy City längst mit Manhattan Schritt halten.

Eine vierstöckige Tanne mit Kugeln und Geschenken thront unter der Kuppel des Griffin Museums für Wissenschaft und Technik. Darum gruppiert sich in der jährlich von freiwilligen Helfern dekorierten Ausstellung „Christmas around the World“ ein ganzer Wald von mehr als 50 Weihnachtsbäumen mit Schmuck aus aller Herren Ländern. Püppchen aus Kolumbien hängen friedlich neben Schäfchen aus Irland oder Papageitauchern aus Island. Besonders bewegend wirkt unweit russischer Babuschkas der Baum für die Ukraine – dekoriert nur mit weißen Friedenstauben. Der deutsche Baum in prominenter Lage ist mit Strohsternen, Lebkuchen und Nussknackern behangen und die Besucher erfahren in der Beschreibung, dass Deutsche angeblich bevorzugt Schweinebraten, Spätzle („Dumplings“) und Nussstrudel zum Fest essen.

Probieren kann man deutsche Weihnachtsbäckerei, Bratwurst mit Sauerkraut und Co. seit 28 Jahren auch mitten in Chicago. Ursprünglich als Instrument zur Anbahnung von Geschäftskontakten von der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer Midwest gegründet, ist der „Christkindlmarket“ heute ein Anziehungspunkt für Hunderttausende.

55 Holzhäuschen wie in Nürnberg gruppieren sich in zwei Qua­draten auf der zentralen Daley Plaza. Riesige Nussknacker bewachen die Eingänge. „Am ersten Samstag hatten wir 88.000 Gäste“, erzählt Kate Bleeker vom Markt-Management. Eine Million Besucher kamen 2023. Auch Christopher Fischer hat seine Nichte und seinem Neffen aus Cincinnati auf eine heiße Schokolade und gebrannte Mandeln „Nutella-style“ eingeladen. Der Kunstlehrer aus der Nähe von Chicago hat deutsche Wurzeln. „Wir finden es hier in der Budenstadt sehr behaglich“, sagt er. Und auch die Verkäufer, die für drei Monate im Jahr in die Stadt kommen, sind zufrieden. „Die Stadt hat uns hier immer sehr unterstützt“, sagt Uwe aus Leipzig, der Räuchermännchen, Nussknacker und Kuckucksuhren verkauft. Auch auf deutschen Märkten sei er aktiv, erzählt Uwe, „aber hier haben wir wirtschaftlich den meisten Erfolg“.

Auslauf nach all der Völlerei findet man nicht nur im Millennium Park, wo unter dem riesigen grün und golden beleuchteten Weihnachtsbaum eine nicht minder üppige Schlittschuhbahn zu mehr oder weniger eleganten Kurven auf dem Eis verlockt. Die großen Grünanlagen der Stadt laden nach der frühen Dämmerung mit umfangreichen Lichtinstallationen zu ausgedehnten Spaziergängen ein. Auf dem Navy Pier kann man durch beleuchtete Kugeln und Geschenke schlendern und den Blick auf die erleuchtete Skyline der drittgrößten Stadt der USA genießen.

Das Kaninchen mit der Uhr und die Herzkönigin aus Alice im Wunderland begrüßen vor allem Familien im Lincoln Park Zoo zu einem bunten Lichtspektakel. Drei Millionen LEDs sollen das Gelände im 30. Jahr der Veranstaltung erleuchten, glaubt man in der Direktion. Mittendrin steht ein nostalgisches Riesenrad und ein Lichttunnel dient als begehrtes Fotomotiv. Deutlich ambitionierter sind noch die Lightscapes in den Botanischen Gärten vor den Toren der Stadt. Internationale Lichtkünstler haben hier ganze Landschaftspanoramen aus Licht und passender Musik geschaffen. Besucher durchwandern sie auf einem mehrere Kilometer langen Rundkurs. Wasserfälle aus blauem Licht rauschen von einer Felswand in ein Bassin, Wellen aus Licht wabern über einen See und leichten Fußes tänzelt man zu Christmas Carols aus den Lautsprechern über den „Candywalk“ zum „Courtyard of Love“. Und wer danach noch immer nicht in Weihnachtsstimmung ist, den bringt spätestens im Goodman Theatre in der Innenstadt der wandlungsfähige Christopher Donahue als Ebenezer Scrooge in Charles Dickens Weihnachtsgeschichte auf Kurs. Ein Dezember ohne Weihnachten, so könnte man resümieren, das ist schließlich Humbug!