Menschen wie Fernando, Pepa, Jorge oder Mauro machen für mich den Unterschied. Ob ich eine Stadt verstehen, ob ich sie genießen oder mich sogar in sie verlieben kann, hängt fast immer von den Menschen ab, denen ich begegne. Sie sind es, die mich herzlich begrüßen, mir ihre Stadt zeigen und mich mit offenen Armen willkommen heißen. Wenn ich an der Hand von Einheimischen unterwegs bin, habe ich nicht das Gefühl, außen vor zu sein. Dann bin ich mittendrin, kann die Stadt durch ihre Augen sehen, und verstehen, was um mich herum vor sich geht. Mit Pepa bummle ich durch die Altstadt, mit Fernando tauche ich in seinem kleinen Laden in die Geschichte Valencias ein und von Jorge lasse ich mich in die Welt der Kunst entführen.
Ciutat Vella – die Altstadt
Die Altstadt Valencias ist in fünf ganz unterschiedliche barris aufgeteilt: La Seu ist die Gegend um die Kathedrale, El Mercat ist die Gegend rund um die Markthalle, El Carmen ist der nordöstliche Teil der Altstadt, ungefähr zwischen den Torres de Quart und den Torres de Serrano. In diesen drei barris befinden sich die meisten Sehenswürdigkeiten, daher trifft man dort auch die meisten Touristen der Stadt. In El Pilar und Sant Francesc geht es dagegen sehr viel ruhiger zu.
Während ich mit Pepa unterwegs bin, entdecke ich immer wieder Dinge, an denen ich schon mehrmals vorbeigelaufen bin, ohne sie gesehen zu haben. Wir kommen an einem urbanen Garten vorbei, wunderschönen, alten Palästen, Kulturzentren und jeder Menge Graffitis und Murals. Pepa zeigt mir nicht nur die Eingänge der Luftschutzbunker, in denen die Menschen während des Spanischen Bürgerkriegs Schutz suchten, sondern auch die wenigen Überreste der maurischen Stadtmauer, die Valencia einst umgab. Meist sind diese viele Jahrhunderte alten Ruinen leider hinter Zäunen verborgen oder zugebaut. Oft sind Teile der Stadtmauer dafür aber in Wohnhäusern oder Läden als Hauswände erhalten geblieben.
Als Jaume I, Graf von Barcelona und König von Aragón, im Jahre 1238 mit seinen Truppen die bis dahin mal maurische, mal christliche Stadt belagerte, übergaben die Mauren Valencia (Balansiya) angeblich friedlich, um Blutvergießen zu vermeiden. In den folgenden Jahrhunderten lebten christliche und muslimische Gläubige eine Zeit lang gemeinsam in der Stadt, bis die Katholischen Könige alle Angehörigen nicht-christlicher Religionen aus Spanien vertrieben.
Obwohl ich schon viele Museen in Valencia besucht habe, finde ich mit Pepa noch tolle Ausstellungen, an denen ich bislang vorbei gerannt bin, wie die Rocas, so heißen die gigantischen Figuren aus Pappmaschee hier, die man in der Casa de las Rocas, dem Museo del Corpus, besichtigen kann. Im Gegensatz zu Barcelona, wo Gegants und Bestien auf jedem Fest tanzen, dürfen die Riesen und wilden Tiere in Valencia nur einmal im Jahr die Straßen bevölkern. Corpus Cristi, auf Deutsch Fronleichnam, ist eines der großen Feste in der Stadt, zu dem neben dem Umzug der Rocas auch andere Traditionen gehören, wie la Poalà, das Begießen aus gefüllten Wassereimern, und der Tanz der Moma, ein ganz in Weiß gekleideter Mann, der gegen bunt gekleideten Todsünden kämpft.
Natürlich sprechen wir auch über die verheerende Unwetterkatastrophe, die vor nicht einmal zwei Monaten die Dörfer südlich Valencias heimgesucht hat. Viele der Menschen dort haben nicht nur ihr Hab und Gut, ihre Existenzgrundlage, sondern Familienmitglieder verloren. Schlimme, tragische Schicksale, furchtbare Geschichten, haben sich dort abgespielt. Verständlicherweise ist man hier wütend, denn die Verantwortlichen haben viel zu spät auf die Warnungen der Wetterdienste reagiert. Und auch als die Dörfer in der Schlammlawine versunken waren, dauerte es teilweise Tage, bis erste Hilfsmaßnahmen von öffentlicher Seite anrollten. Nachbarn halfen sich gegenseitig, schaufelten Matsch und Müll beiseite. Zum Glück in all dem Unglück strömten freiwillige Helfer aus allen Landesteilen nach Valencia, um die betroffenen Dörfern bei den Aufräumungsarbeiten zu unterstützen. Ganz Spanien hat Lebensmittel und Hygieneartikel gespendet. Doch trotz der großen Solidarität bleiben Trauer und Wut. Ich habe lange überlegt, ob ich meine längst geplante Reise nach Valencia noch weiter verschieben sollte, ob ich überhaupt schon herkommen sollte. Inzwischen fahren die Züge wieder, ich bin hier und beinah überrascht, wie „normal“ das Leben in der Stadt weitergeht. Nur im Gespräch mit den Menschen ist die DANA immer noch ein Thema, denn jeder kennt jemanden, der von der Katastophe auf die eine oder andere Art betroffen ist.
Auch mit Fernando spreche ich in seinem kleinen Laden nahe der Markthalle kurz über das Geschehen. Im L’Ham del Mercat verkauft er neben einer großen Auswahl an spanischem Vermut, dem süßen Aperitif-Wein, der in ganz Spanien wieder in Mode ist, auch valencianische Keramik. Für ein paar leere Stellen an der Wand entschuldigt er sich. Denn Paterna, eines der von der DANA betroffenen Dörfer, zählt zu den Hauptlieferanten für traditionelle Keramikkacheln, in denen sowohl Auslieferung wie auch Produktion vorübergehend eingestellt werden mussten. Erst in ein paar Monaten wird dort so etwas wie Normalität einkehren, bis dahin gibt es keine neuen Kacheln.
In Fernandos Laden gibt es auch andere Produkte aus der Region Valencia, dicke Wolldecken, außen und innen mit unterschiedlichen Mustern gewebt, sogar von Hand gestrickte Mützen und Schals kann ich entdecken, denn Fernando sagt, er versuche den Nachbarinnen im Viertel zu helfen, indem er ihre Strickwaren verkauft. Er hat so ein gutes Herz. Und er nimmt sich Zeit. Ausführlich weiht er mich in die Geschichte der valencianischen Keramik ein, in der er sich bestens auskennt. Geduldig erklärt er mir, dass die Keramik mit den Mauren auf die Iberische Halbinsel kam. Während in dieser ersten Epoche die Kacheln nur mit Weiß und Blau gefertigt wurden, kamen nach der Eroberung durch Jaume I, also unter christlicher Herrschaft, weitere Farben hinzu. Als ich mich über das wiederkehrende Motiv der Fledermaus wundere, erzählt Fernando mir die Legende, die in Valencia scheinbar jedes Kind kennt.
1238 während die Truppen des christlichen Herrschers die Stadt belagerten, sollen maurische Soldaten einen Überraschungsangriff geplant haben. Doch die in ihren Zelten schlafenden Soldaten Jaume I seien von einem lauten Getrommel geweckt worden, gerade rechtzeitig um die herannahenden Gefahr des maurisches Heeres zu sehen und abwehren zu können. Es stellte sich heraus, dass eine Fledermaus die Geräusche verursacht und (wie auch immer) die Trommel geschlagen hatte. Aus Dankbarkeit nahm Jaume I das Tier auf seinem Helm und in seinem Schild auf. Seither ist die Fledermaus das Wappentier der Stadt. Auf der Plaza Alfonso el Magnánimo steht übrigens eine Reiterstatue Jaume I, auf der er einen Helm trägt, der ein Wesen, das sowohl Drachen als auch Fledermaus sein könnte.
Von Pepa erfahre ich auch, dass offenbar nicht alle Valencianer glühende Fans der traditionellen Fallas sind. Das Fest im März ist vor allem wegen des Verbrennens der Pappmascheefiguren und der ohrenbetäubenden Knallerei bekannt. Mir persönlich wäre die Geräuschkulisse ganz eindeutig zu heftig. Der Name „Falla“ leitet sich vom lateinischen Wort für Fackel ab, denn in früheren Jahrhunderten sollen die Zimmerleute zum Frühlingsbeginn am 19. März altes Holz und Lumpen verbrannt haben. Im Laufe der Zeit entwickelten sich daraus immer aufwändiger gearbeitete Figuren. Die Fallas werden dann unter großem Jubel verbrannt.
Nur eine einzige Falla wird jedes Jahr vom Feuer verschont und landet im Museo de las Falles. Dort kann man die geretteten Figuren und die Gemäldegalerie der Falleras bewundern. Eine Fallera Mayor ist sehr viel eleganter als etwa eine deutsche Wein- oder Kartoffelkönigin. Der für ein Jahr verliehene Titel gilt als hoch angesehen, denn die Falleras repräsentieren während ihrer Amtszeit die Stadt Valencia bei vielen Gelegenheiten.
Russafa, das trendige Viertel Valencias
Nicht mehr in der Altstadt, aber direkt hinter dem Bahnhof (der Estación de Norte) und der Stierkampfarena, beginnt Russafa, das derzeit angesagte Viertel mit vielen Boutiquen und Cafés. Hier entdecke ich eine ganz andere Welt. Jorge, einer der Künstler, die im Color Elefante arbeiten und dort gleichzeitig ihre Werke ausstellen, berichtet von dem Kunstfestival (Russafart), das in dem trendigen Viertel alle zwei Jahre stattfindet. Nicht nur die Galerien, Alteliers und Werkstätten, auch Privatwohnungen in denen Kunst entsteht, öffnen dann ihre Türen. Überall gibt es Veranstaltungen, Konzerte und Ausstellungen.
Das Color Elefante gibt es schon seit den siebziger Jahren. Damals war die Stimmung im Viertel noch anders als heute. Immer mehr hippe Brunch-Cafés werden eröffnet, in denen man leckere Kuchen und viele süße Leckereien essen kann. Dabei frühstückt bzw bruncht man in Spanien eigentlich nicht. Normalerweise wird der erste Café am Morgen in einer Bar an der Theke getrunken, Während man die ausliegende Tageszeitung durchblättert. Ein herzhaftes Bocadillo gibt es meist erst zum zweiten Frühstück gegen 11 Uhr. Die Kundschaft der Brunch-Caféterias ist daher meist Englisch-sprachig.
Aber ich will diese sehr viel gemütlicher als eine traditionelle Bar aussehenden Treffpunkte gar nicht verteufeln. Im Dulce de Leche locken Zimtschnecken mit dickem Zuckerguss, Mandelkuchen nach Ottolenghi-Art und Alfajores in der Auslage. Im Blumenladen Hoja-La werden nicht nur verschiedenen Blüten und Pflanzen in Vasen und Töpfen verkauft, sondern auch Milchkaffee aufgeschäumt und Croissants und Kuchen serviert. Sogar die Kombination aus Fahrradverleih und Brunch-Café habe ich gefunden.
Am sympatischsten war mir in Russafa allerdings das Ubik, ein Buchladen mit Caféteria, der von zwei Italienern betrieben wird. Alle Wände sind mit deckenhohen Bücherregalen vollgepackt, dazwischen stehen bunte Stühle und Sofas. Auch schön ist der Markt. An einem Stand der in hellen Farben weithin gut sichtbaren Markthalle werden sogar getrocknete Insekten verkauft.
El Cabanyal
Im Gegensatz zu Barcelona liegt der Strand in Valencia nicht gleich neben der Altstadt. Das einst verruchte Hafenviertel El Cabanyal (Pobles Marítims) liegt rund sieben Kilometer von der Altstadt entfernt, ist aber mit Bussen oder der Metro gut zu erreichen. In diesem Viertel befindet sich das Reismuseum. Vor den Toren Valencias, in der Lagune von Albufera, wird nämlich traditionell Reis angebaut. In einer der alten Reismühlen, in der die Körner von den Spelzen getrennt und die Körner weiß geschält wurden, ist heute ein Museum untergebracht. Mauro erklärt mir dort ganz genau wie das alles funktionierte und setzt sogar einige der Maschinen in Gang, um mir die Arbeit der Reismühle zu veranschaulichen.
Erst vor wenigen Wochen war ich zur Reisernte in Albufera und durfte nicht nur sehen, wie die traditionelle Ernte von Hand funktioniert, sondern auch den Reis aus Valencia in einer leckeren Paella probieren.
Mein anschließender Bummel durch das Hafenviertel fiel aufgrund des immer dunkler werdenden Himmels allerdings eher kurz aus. Neben den hübsch bunt gestrichenen Häusern direkt am Strand sind im Cabanyal Viertel die Spuren einer nicht sehr glorreichen, von der Fischereiindustrie geprägten Vergangenheit noch in vielen Ecken deutlich zu sehen. Aber auch hier sind außer mir noch andere Touristen zu Fuß und auf dem Fahrrad unterwegs, um die Gegend zu erkunden.
Das grüne Valencia
Valencia war nicht umsonst 2024 Grüne Hauptstadt Europas. Überall gibt es Parks, Gärten und Grünpflanzen. Neben der lang-gezogenen Grünfläche die sich im einstigen Flussbett des Turia erstreckt, gibt es zum Beispiel die Jardines Reales nördlich der Torres de Serrano, den Botanischen Garten, gleich hinter den Torres de Quart und sogar einen urbanen Gemüsegarten im Viertel El Pilar.
… und welche der vielen Sehenswürdigkeiten, Museen und Galerien mir am besten gefallen haben, darüber schreibe ich demnächst in einem neuen Artikel.