Die flehenden Gesänge der Dortmunder Südtribüne waren ein guter Hinweis auf die Lage, in der die Dortmunder die letzten zehn Minuten dieses großartigen Fußballspiels gegen den FC Bayern begannen, über das der Münchner Trainer Vincent Kompany später sagte: „Es gibt einfach geile Spiele in der Bundesliga, und heute haben wir das gesehen“. Die Kräfte beim BVB waren fast aufgebraucht, die Bayern schoben an und drängten, aber die Hoffnung der Dortmunder war groß. Genauso wie der Wille alles zu investieren, was die Köpfe und die Körper hergaben.
Das Publikum erlebte also ein dramatisches Finale eines prachtvollen Kampfes zweier Bundesligagiganten, deren Verhältnis sich anders anfühlte als in vielen Begegnungen der jüngeren Vergangenheit: Der BVB war in dieser Schlussphase endgültig in die Rolle des Underdogs hineingeraten, der auf einen glücklichen Sieg gegen einen immer überlegeneren Kontrahenten hoffte. Und die Münchner wehrten sich gegen eine Niederlage, die sich auf unangenehme Weise eingereiht hätte in die Serie von verlorenen Auswärtsspielen gegen starke Gegner bei Aston Villa und dem FC Barcelona.
Hoffnungen und Befürchtungen nicht erfüllt
Hinter der grundsätzlichen Münchner Dominanz in der Bundesliga steht ja schon die Frage, wie stabil dieses Team in den wirklich großen Duellen ist, gerade auswärts, die Antwort: stark genug, um sich in Dortmund erfolgreich gegen eine drohende Niederlage zu wehren.
Die Hoffnungen des BVB erfüllten sich also genauso wenig wie Befürchtungen der Münchner, weil Jamal Musiala wieder einmal tat, was er lange Zeit eigentlich nicht so gut konnte: Tore köpfen. In der 85. Minute traf der Nationalspieler mit einem technisch perfekt ausgeführten Kopfball zum 1:1, mit dem dieses Spiel kurz darauf auch endete. „Sagen wir einfach: verdientes Unentschieden und weiter geht’s“, sagte der Münchner Angreifer Thomas Müller nach der Partie.
Niemand war traurig, Dortmunds Trainer Nuri Sahin war sogar „stolz“ auf den Auftritt seines Teams, aber vollkommen zufrieden waren weder die Dortmunder noch die Münchner. Für beide war mehr möglich gewesen. „Wenn du so lange führst, willst du das Spiel gewinnen“, sagte Dortmunds Nico Schlotterbeck, der das Team erstmals als Kapitän in ein Spiel geführt hatte, während Kompany erklärte: „Wir wollten gewinnen und wir hatten auch die Möglichkeit.“ Allerdings fehlte die Eiseskälte, mit der die Bayern in den vergangenen Jahren viele ihrer Besuche in Dortmund bestritten haben. Sonst hätten sie nicht die Kontrolle verloren während der besten Dortmunder Phase in der ersten Halbzeit. Und sie hätten eine der sehr guten Möglichkeiten genutzt, die sich nach rund einer Stunde boten.
Allerdings trafen sie auch auf eine Dortmunder Mannschaft, die gerade recht erfolgreich gegen eine Dauerschwäche der Vergangenheit kämpft: die Nachlässigkeiten beim Verteidigen des eigenen Tores. So lange die Kräfte reichten, beherrschte Felix Nmecha den Raum vor der Abwehrkette. Die Flügelstürmer gingen jeden notwendigen Weg in die Defensive, es war eine Freude an der Arbeit gegen den Ball sichtbar.
Auch dank dieses Stilmittels waren die Dortmunder in der ersten Halbzeit besser und gingen in Führung: Nach einem klugen Steilpass von Schlotterbeck war Konrad Laimer chancenlos in einem Laufduell gegen Jamie Gittens auf dem Flügel, bevor der Angreifer seinen Sprint mit einem präzisen Schuss aus spitzem Winkel mit seinem schwächeren Fuß zum 1:0 abschloss (27.). Die Dortmunder hatten sogar noch eine sehr große Chance zum 2:0, als Marcel Sabizter lieber selbst abschloss als Serhou Guirassy am Elfmeterpunkt anzuspielen, der den Ball ins fast leere Tor hätte schieben können (62.).
Das war ein Schlüsselmoment in einer Partie, in der beide Mannschaften nicht nur Punkte verloren, sondern auch früh schon wichtige Spieler. Beim BVB musste sich Waldemar Anton mit einer Oberschenkelverletzung auswechseln lassen (18.), bevor nach einer halben Stunde Harry Kane zu Boden sank und den Rasen verlassen musste. Niklas Süle und Thomas Müller kamen neu ins Spiel, und zumindest die Bayern gaben vorsichtig Entwarnung, was die Schwere von Kanes Verletzung betrifft. „Er selbst sagt, es ist nicht so schlimm“, sagte Kompany, aber ob die Zeit bis zum großen Pokalspiel gegen Leverkusen am Dienstag (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zum DFB-Pokal, in der ARD und bei Sky) für eine Genesung reicht, ist vorerst noch unklar.