„Seele des Libanon“, Nationalsymbol, arabische Kulturbotschafterin oder gar Ikone der arabischen Welt – Fairuz hat im Laufe ihres Lebens viele Ehrentitel erhalten. Sie hat über 1.000 Lieder und 80 Alben eingespielt, die sich – ob als Kassette, Schallplatte oder CD – über 150 Millionen Male verkauften, und sie hat bis heute Millionen von Fans.
Die nackten Zahlen beschreiben ihren Erfolg und ihre Bedeutung aber nicht annähernd. Fairouz verwandelt Emotionen in Gesang: Liebe, Verlust, Trauer, Sehnsucht hat sie besungen, genauso wie die Hoffnung auf Frieden, einen geeinten Libanon und ein freies palästinensischen Volk. Kunst sei für sie „wie ein Gebet“, sagte sie einmal.
Ihre Stimme erzählt Geschichten über das glückliche, blühende Dorfleben wie über die tiefe Trauer und Traumata der Kriegsjahre, die viele Libanes:innen ins Exil trieben. Ihre Lieer eroberten auch deshalb die Herzen der großen libanesischen Diaspora, von denen viele ein romantisches, manchmal auch etwas verklärtes Bild ihrer alten Heimat haben und sich nach eben dieser Heimat als friedlich vereinter Idylle sehnen.
„Wenn man sich den Libanon heute anschaut, sieht man, dass er keine Ähnlichkeit mit dem Libanon hat, über den ich singe“, sagte Fairuz in einem Interview, bereits im Jahr 1999. Das Publikum suche einen Libanon in ihren Liedern, den es so vielleicht nie gegeben habe. „Es ist, als ob die Lieder zu ihrem Land geworden sind.“
Ihr Auftritt in Baalbek machte sie berühmt
Fairuz stammt aus einer christlichen maronitischen Arbeiter-Familie, die im Zuge des Völkermords an den Armeniern aus der heutigen Türkei in den Libanon geflohen waren. Sie wurde 1935 in Jabal al Arz geboren, einem Ort im Schouf-Gebirge, studierte am staatlichen Musikkonservatorium und sang beim staatlichen Rundfunkchor des Libanon. Dort gab ihr der Komponist Halim al-Roumi den Spitznamen Fairuz („Türkis“).
1957 trat sie bei einem Festival in Baalbek vor der beeindruckenden Kulisse des antiken römischen Tempels auf und erlangte dadurch nationale Bekanntheit. Die Ruinenstadt Baalbek ist jetzt wieder in den Schlagzeilen, weil die israelische Luftwaffe den Ort bombardiert.
1955 heiratete sie den Musiker und Komponisten Assy Rahbani, der mit seinem Bruder Mansour den Stil von Fairuz prägte. Sie mischten westliche, russische und lateinamerikanische Elemente mit klassisch arabischen Rhythmen zu einem modernen Orchestersound. Ihre Lieder trafen den Nerv einer Zeit, in der viele arabischsprachige Länder nach dem Kolonialismus und der Staatsgründung Israels im Jahre 1948 nach einer nationalen Identität suchten. Nicht zuletzt durch ihre Lieder über Palästina stieg Fairuz in der Ära des arabischen Nationalismus zu einer Ikone auf.
Fairuz‘ Lieder wurden in belebten Restaurants gespielt, sie hallten an den Fronten des libanesischen Bürgerkriegs zwischen 1975 und 1990 wider, und erklangen in den Nachkriegsjahren erneut in vielen Häusern und Cafés. Gemeinsam mit der Sängerin Um Kulthum ist Fairuz bis heute zweifellos der größte Star im arabischsprachigen Raum. Anders als die Ägypterin, die 1975 starb, ist sie aber eine lebende Legende.
Symbol libanesische Einheit
Während des Bürgerkriegs weigerte sie sich, aus ihrem Land zu fliehen. Sie blieb in der Hauptstadt Beirut, damals eine geteilte Stadt. Der Sängerin gehörte ein Haus im Westen und eins im Osten, die sie je nach Sicherheitslage bewohnte. Zu dieser Zeit weigerte sie sich, im Libanon aufzutreten, weil jede Gruppe, die das Gebiet kontrollierte, versuchen könnte, sie durch ein Konzert zu instrumentalisieren, sagte Fairouz der New York Times nach dem Krieg.
Als sie 1994 nach über 15 Jahren wieder in ihrem Land sang, trat sie im Zentrum Beiruts auf dem Märtyrer-Platz auf, strategisch an der Kreuzung zwischen Ost- und Westbeirut. Sie hat das Land vereint, wie es kein Politiker oder noch so charismatischer Anführer vermochte.
Auch in Frankreich ist sie ein Star. Einst trat sie in den größten Hallen von Paris auf. Selbst der französische Präsident weiß um ihre Strahlkraft. Als Emmanuel Macron nach der Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020 in den Libanon reiste, besuchte er nicht zuerst den Ministerpräsidenten, sondern zuallererst Fairuz, die Grande Dame – „um den politischen Tonfall zu ändern“, wie der Guardian titelte.
Zuvor hatte Macron politische Anführer getroffen, Hilfskonferenzen organisiert oder gedroht, Hilfen zu entziehen, um die korrupte politische Elite zu Reformen zu bewegen. Indem er Fairuz den Orden der Ehrenlegion verlieh, die höchste Auszeichnung Frankreichs, betrieb er erfolgreiche Symbolpolitik. Sie repräsentiere für ihn, „einen Libanon, und auf den viele warten, eine Nostalgie, die viele haben“, sagte Macron, der Vertreter der alten Kolonialmacht. Die Libanes*innen teilten ein Foto des Treffens und witzelten: „Die Diva trifft Fairouz.“
Evergreens in Dauerschleife
Obwohl Fairouz sich seit Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, ist sie noch immer präsent, denn ihre Lieder laufen bis heute in Dauerschleife: In Minibussen oder Taxen singen die Menschen die Texte mit, Cafés und Restaurants spielen ihre Songs, sogar in Berlin tönen sie aus Autos und in libanesischen Restaurants. Denn es sind Evergreens.
Das Lied „Li Beirut“, ein Liebeslied an ihre vom Krieg geplagte Stadt, dröhnte bei den Massenprotesten 2019 aus den Lautsprechern, erklang nach der Hafen-Explosion 2020 bei den Aufräumarbeiten auf der Straße, und es wird jedes Jahr beim zivilgesellschaftlichen Protest für die Aufklärung dieses traumatischen Vorfalls gespielt –„An Beirut, von meinem Herzen ein Friedensgruß an Beirut.“
Körper, Sinne, Herz und Verstand verneigten sich vor der „Kehle dieser unsterblichen Frau“, schreibt die libanesische Zeitung Annahar zu ihrem Geburtstag. „Wir werden dich weiter lieben, bis die Welt gerettet ist.“