Zehn bis 15 Minuten, im Moment manchmal aber auch eine halbe Stunde.
Auf den Hauptstrecken, auf denen ich unterwegs bin, in der Regel schon.
Natürlich ist die aktuelle Situation total unbefriedigend, was das Thema Zuverlässigkeit angeht. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Die Pünktlichkeit im Fernverkehr lag im ersten Halbjahr nur bei 62,7 Prozent. Das ist definitiv nicht der Anspruch, den wir an uns selbst stellen und was unsere Fahrgäste von uns erwarten. Für mich persönlich war es mein schmerzhaftestes Jahr bei der Bahn. Man muss aber dazu sagen, dass die durchschnittliche Verspätung bei zehn Minuten liegt. Der Anteil an Zügen mit mehr als einer Stunde Verspätung lag im letzten Jahr bei nur 2,5 Prozent – auch wenn bei 400.000 Gästen am Tag immer viele Reisende betroffen sind.
Ein Kollege aus der „Generation Greta“ meinte kürzlich: Wenn er es sich leisten könnte, würde er aufs Flugzeug umsteigen.
Fakt ist: Der innerdeutsche und europäische Flugverkehr ist nicht pünktlicher. Aber die Geduld ist ungleichmäßig verteilt. Mit der Bahn ist man besonders kritisch. Der Slogan „Pünktlich wie die Bahn“ ist fest in den Köpfen verankert. Wer hingegen im Auto am Steuer sitzt, hat das Gefühl, selbst bei einem Stau etwas ändern zu können. Dabei ist man einer Vollsperrung genauso ausgeliefert.
Wie konnte es so schlimm kommen mit der Bahn?
80 Prozent der Verspätungen gehen inzwischen zurück auf die Infrastruktur. Sie ist zu alt, zu voll und zu störanfällig. Jetzt rächt sich, dass hier zu lange nicht genug investiert wurde. Aber das Problem – und das ist ein Riesenfortschritt – ist erkannt. Die Generalsanierung ist die Antwort. Über die extrem störanfällige Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim, die gerade als Erstes komplett saniert wird, laufen 15 Prozent aller Zugverbindungen des Fernverkehrs. Und weil die Strecken zu voll sind, überträgt ein Zug seine Verspätung und infiziert sozusagen das ganze System.
Der Frust über die Bahn ist längst eine Art Small-Talk-Thema. Was erleben Sie, wenn Sie auf einer privaten Party sagen, wo Sie arbeiten?
Man hat auf jeden Fall ein Gesprächsthema, und es ist nicht langweilig (lacht). Aber das betrifft nicht nur mich. Ich kann mit Kritik gut umgehen, ich kann viel erklären. Aber auch die vielen anderen Bahn-Mitarbeitenden – und das sind immerhin 230.000 in Deutschland – werden in ihrem Privatleben für Dinge verantwortlich gemacht, für die sie gar nichts können. Wenn diese Leute Bahn-Bashing aushalten müssen, finde ich das ungerecht.
Schwierig ist, dass Politik und Gesellschaft sich lange nicht darüber im Klaren waren, was für einen Auftrag die Bahn hat. Erst ging es um Größe, dann um Wirtschaftlichkeit. Gemeinwohlorientierung spielte jahrzehntelang keine Rolle. Erst durch den Klimaschutz erfährt das eine Renaissance. Aber die hohen Erwartungen, die plötzlich an das System geknüpft werden, können wir unter den gegebenen Umständen nicht erfüllen.
Der Umsatz stimmt auch nicht. Und die vielen Fahrpreiserstattungen machen es nicht besser.
Wenn man nicht die versprochene Leistung liefert, muss man so fair sein, den Kunden Geld zurückzugeben.
Gibt es Felder, bei denen Sie sagen: Hier ist die Bahn besser als ihr Ruf?
Wir machen zwei Sachen richtig gut, finde ich. Wir arbeiten stark mit Kundenfeedback und wissen ziemlich genau, was die Kunden mögen und was nicht. Wir machen umfangreiche Befragungen, interessant sind aber auch die Millionen Kommentare, die wir ungefragt bekommen, über Social Media und den QR-Code an den Sitzen in unseren Zügen. Deshalb wissen wir so genau, dass WLAN und Kaffeemaschine funktionieren müssen, vor allem, wenn auf der Strecke was passiert. Sonst entsteht eine Spirale: Die Verspätung ist das Problem, aber alles andere sorgt dafür, dass die Leute verärgert sind.
Die Digitalisierung. Der DB Navigator ist ein sehr hilfreiches Instrument, um Reisende durch unser mitunter komplexes System zu begleiten. Reisende, die ihn nutzen, sind zufriedener, weil sie das Gefühl von Selbstbestimmung haben, wenn die Zeit für den Anschluss knapp wird und sie selbst nach Alternativen schauen können. Zwei Klicks und Sie haben Ihr Ticket gekauft. Bei der Buchung können Sie die Zeit für Ihren Umstieg individuell anpassen. Auch der digitale Wagenstandsanzeiger und unsere Bestpreisfunktion sind sehr beliebt.
Wie sieht es mit der Kundenzufriedenheit insgesamt aus?
Die Durchschnittsnote im Fernverkehr ist gemessen nach Schulnoten zurzeit eine 2,7. Da Pünktlichkeit und verpasste Umstiege der größte Einflussfaktor sind, finde ich das bemerkenswert. Und bei vielen Kontaktpunkten entlang der „Customer Journey“, also von der Buchung über die eigentliche Fahrt bis zum Kundenservice nach der Reise, haben wir uns sogar verbessert.
Angesichts von Verspätungen und Zugausfällen ist das doch Deko.
Das sehe ich nicht so. Natürlich ist das Wichtigste, dass wir wieder mehr Zuverlässigkeit ins System bringen. Aber wenn man sich schlecht informiert oder sogar ausgeliefert fühlt, nimmt die Kundenzufriedenheit ab. Und wenn wir wirklich die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene wollen, müssen wir die Menschen auf Dauer überzeugen: mit gutem Service und hoher Qualität. Ein Beispiel: Seit Mitte Juni sind die modernsten Züge unserer Flotte im internationalen Fernverkehr nach Brüssel und Amsterdam unterwegs. Seitdem haben wir die Zugausfälle auf diesen Strecken um über 90 Prozent reduziert.
Ich glaube, die Deutschen sind tief enttäuscht von ihrer Bahn.
Das ist wie beim Fußball, das Thema ist hochemotional. Wir haben 85 Millionen Fußballtrainer in Deutschland und 85 Millionen Bahneigentümer. Ich finde das positiv. Besser, als wenn die Menschen sagen würden: Mir doch egal, was mit der Bahn passiert. Und sind wirklich alle enttäuscht? Bei einer Kundenzufriedenheit von durchschnittlich 2,7 sehe ich das nicht. Sicher, was die Pünktlichkeit angeht, liegen wir gerade bei einer Vier. Aber der Service an Bord, unser Personal, bekommt eine Zwei plus.
Hat der Frust über die Bahn auch etwas mit Identität und Nationalstolz zu tun? Wenn Pünktlichkeit, Sauberkeit und Zuverlässigkeit nichts mehr hermachen, beschädigt das eine Art Markenkern.
Wobei wir Deutschen auch dazu neigen, das Glas eher halb leer als halb voll zu sehen. Wir sind sehr in diesen Kritikmodus verfallen: Alles bricht zusammen, alles ist schlecht. Ich würde mir manchmal eine differenziertere Betrachtung wünschen. Weil man dem System Bahn am Ende keinen Gefallen tut. Wir werden mehr Bahn brauchen, um die Klimaziele zu erreichen.
Wie wollen Sie das ramponierte Image der Bahn wieder aufpolieren? Was kann Marketing leisten, wenn das Produkt nicht stimmt?
Wir müssen jetzt erst mal wieder besser werden. Das gehen wir mit allen Kräften an. Und anstatt mit Imagekampagnen werben wir immer wieder mit interessanten Preisaktionen. Das finden die Menschen gut. Dazu gehört auch, dass die Fahrkarten jetzt bis zu zwölf Monate im Voraus gekauft werden können statt bisher nur sechs Monate. Das hilft, sich frühzeitig günstige Tickets etwa für die Urlaubsreise zu sichern.
Wissen Sie, wie man frustrierte Reisende am besten tröstet?
Bei kleineren Verspätungen lässt sich tatsächlich etwas heilen, wenn die Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter zum Beispiel Schokolade verteilen. Bei größeren Störungen macht man das besser nicht, weil die Reisenden nur noch aufgebrachter werden. Wenn eine Strecke längerfristig etwa wegen Bauarbeiten oder eines Sonderereignisses gesperrt ist, gehen wir deshalb auf die Fahrgäste zu, erklären die Lage, bitten um Entschuldigung und kontaktieren sie im Nachgang proaktiv. Es hilft, wenn die Kunden wenigstens spüren, dass sie und ihr Problem gesehen werden.
Über Verspätungsdurchsagen im Zug muss man mittlerweile oft lachen, weil das Personal sich auf die Seite der Reisenden schlägt. Werden die Mitarbeiter dafür speziell geschult?
Jede Zugchefin oder jeder Zugchef, die Durchsagen machen, bekommen vorher ein Sprechtraining, da gibt es auch Tipps für gute Durchsagen. Anschließend ist es eine individuelle Entscheidung, ob jemand mit Humor informiert oder nur bei den Fakten bleibt. Die Zugchefs bekommen auch Handlungsspielraum, sodass sie bei starken Verspätungen reagieren und etwa Freigetränke ausgeben können.
Wie steht es überhaupt um die Zufriedenheit der Mitarbeiter in dieser „schmerzhaften“ Zeit?
Die Mitarbeitenden an Bord der Züge sind stark betroffen von den aktuellen Unzulänglichkeiten des Systems. Im Moment kommen sie auch häufiger nicht pünktlich nach Hause. Und nach einer verspäteten Fahrt heißt es vielleicht: Kannst du morgen aushelfen und nach deiner Ruhezeit gleich wieder da sein? Viele geben wirklich alles. Das zeigen auch die Ergebnisse unserer aktuellen Mitarbeiterbefragung. Hier gibt es schon Unmut an der einen oder anderen Stelle. Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden korreliert ja mit der betrieblichen Lage und jener der Kunden. Aber wir hatten eine Rekordbeteiligung, und unterm Strich ist die Mitarbeiterzufriedenheit nur um 0,1 Punkte gegenüber 2022 gesunken. Das ist erst mal gut.
Darf man die Fahrpreise erhöhen, wenn die Leistung nicht stimmt?
Viele Unternehmen in Deutschland müssen wegen enorm gestiegener Kosten gerade die Preise erhöhen. Da sind wir keine Ausnahme.
Ich glaube, das Tal der Tränen ist erreicht. Es muss und wird jetzt eine Aufwärtsbewegung geben, die spürbar ist. Deshalb haben wir das Sanierungsprogramm S3 gestartet. Aber dafür müssen wir auch andere Themen angehen. Wir haben zu viel Verkehr im Netz. Insbesondere in den großen Knoten, wo viele Strecken mit 120 Prozent mehr als ausgelastet sind, verlieren wir mitunter schon zwischen ICE-Werk und Bahnsteig an Pünktlichkeit. Hier setzen wir mit Ideen wie der Turbowende an. Das heißt, dass die Reinigung der Züge schon während der Rangierarbeiten erfolgt. Das bringt uns wertvolle 70 Minuten.
Sie kommen aus der Tourismusbranche, die eigentlich für Spaß und Erholung steht. Was finden Sie toll an der Deutschen Bahn?
Sie ist extrem relevant. Ich empfinde es als Auszeichnung, dass sich jeder für die Deutsche Bahn interessiert. Das ist ein großer Ansporn, die DB Stück für Stück besser zu machen.