Gewalttätiger Antisemitismus: „Spieler in Neukölln verfolgt, Angreifer mit Stöcken und Messern bewaffnet“

Die Ausschreitungen von Judenhassern gegen israelische Fußballfans in Amsterdam überraschen Militärrabbi Afanasev nicht: In Berlin sind etwa Spieler des jüdischen Vereins Makkabi Deutschland seit Jahren Anfeindungen ausgesetzt. Er erzählt, wie jüngst sein Sohn und Mitspieler in Neukölln verfolgt wurden.

Shlomo Afanasev, 43, ist seit Juni Militärrabbiner in Berlin und Gründungsmitglied der jüdischen Gemeinde Kahal Adass Jisroel in der Brunnenstraße. Davor war er Rabbiner in Hannover.

WELT: Herr Afanasev, Ihr 13-jähriger Sohn spielt Fußball beim jüdischen Club TuS Makkabi Berlin, am Donnerstag stand ein Auswärtsspiel in Neukölln an. Hatten Sie ein mulmiges Gefühl, als er losfuhr?

Shlomo Afanasev: Ja, denn wir wissen, dass es in diesem Bezirk problematisch ist, sich als Jude zu erkennen zu geben. Wir sind eine Familie orthodoxen Glaubens, auch meine Kinder tragen Kippa, ich bin Rabbiner. In einigen Vierteln Berlins müssen wir unseren Glauben verstecken. Wir wollten ihm eigentlich verbieten, mitzufahren. Aber er ist noch recht neu im Verein, alle seine Freunde kamen mit – da war nichts zu machen.

WELT: Was ist dann auf dem Fußballplatz passiert?

Afanasev: Mein Sohn stand diesmal selbst nicht auf dem Platz, sondern war als Zuschauer an der Seitenlinie, hatte also einen guten Überblick. Er hat mir berichtet, dass die Stimmung sehr feindselig war. Es gab ständig Sprechchöre mit Slogans wie „Free Palestine“ und „Scheißjuden“, auf dem Platz wurden die Makkabi-Spieler ständig provoziert. Einer seiner Freunde, so hat es mir mein Sohn berichtet, wurde angespuckt.

WELT: Wie hat der Schiedsrichter auf die Anfeindungen reagiert?

Afanasev: Der hat die Spuckattacke anscheinend nicht wahrgenommen und griff auch sonst nicht ein. Nach dem Spiel eskalierte die Situation dann weiter.

WELT: Wie genau?

Afanasev: Zuschauer beschimpften und verfolgten die Spieler von Makkabi und deren Angehörige. Der Trainer der Mannschaft riet wohl seinen Spielern, schnell das Weite zu suchen und sich mit dem Auto abholen zu lassen. Mein Sohn kam nach Hause und war völlig konsterniert und erschüttert. Später spitzte sich die Lage scheinbar noch zu. Mitspieler schrieben ihm WhatsApp-Nachrichten und berichteten, dass sie verfolgt wurden und die Angreifer mit Stöcken und Messern bewaffnet waren.

Kommentar von Ulf Poschardt

WELT: Ein Vertreter des Vereins Schwarz-Weiß Neukölln hat dem „Tagesspiegel“ mittlerweile bestätigt, dass es am Rande und vor allem nach dem Spiel zu Auseinandersetzungen gekommen sei. Der Verein will den Vorfall nun „aufklären“. Werden Sie Ihrem Sohn weiter erlauben, zu solchen „Risiko-Spielen“ zu fahren?

Afanasev: Ich glaube, nicht dass wir ihn noch mal nach Neukölln fahren lassen, wenn er als Jude identifizierbar ist. Ich habe auch lange überlegt, ob ich diesen Vorfall öffentlich machen soll. Aber nach den schrecklichen Ausschreitungen in Amsterdam bin ich der Meinung, dass wir nicht schweigen sollten.

WELT: Dort kam es am Rande des Fußballspiels Ajax Amsterdam gegen Maccabi Tel Aviv zu gewalttätigen Angriffen auf israelische Fußball-Fans. Videos zeigen, wie ein antisemitischer Mob gezielt israelische Fans jagt und verprügelt. Wären solche Szenen wie in Amsterdam auch in Deutschland möglich?

Afanasev: Ich fürchte, ja. Diese Ausschreitungen sind kein Problem der Niederlande oder irgendeines anderen Landes allein. Solche Angriffe auf Juden sind aktuell überall in Europa möglich. Das ist leider die bittere Wahrheit.

Korrespondent Philipp Woldin kümmert sich bei WELT vor allem um Themen der inneren Sicherheit und berichtet aus den Gerichtssälen der Republik.