Die Zahl der Insolvenzen in Deutschland steigt in diesem Jahr deutlich. Ein politisches Vakuum nach dem Ampel-Aus würde die Lage noch verschlimmern, warnen Insolvenzverwalter. Von einer „Pleitewelle“ wollen sie trotzdem nichts wissen.
Deutschlands Insolvenzverwalter drängen auf schnelle Neuwahlen. „Ein langes Warten auf eine neue Bundesregierung wird zu noch mehr Insolvenzen führen“, sagt Christoph Niering, der Vorsitzende des Verbands Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID).
Die Verunsicherung in der Wirtschaft sei ohnehin schon groß. Und ein monatelanges politisches Vakuum mache die Lage nur noch schlimmer. „Kein Unternehmen investiert jetzt, ohne zu wissen, wie die nächste Bundesregierung tickt“, sagt Niering. Also werde abgewartet, prognostiziert der Experte am Rande des Deutschen Insolvenzverwalterkongresses in Berlin. Das aber sei nicht gut für Krisenunternehmen.
Und Schieflagen gibt es derzeit in etlichen Branchen in Deutschland, beobachten die Insolvenzverwalter. Der VID verweist unter anderem auf den Maschinenbau und die Automobilindustrie, auf Gastronomie und Hotellerie oder auf den Einzelhandel und die Immobilienwirtschaft.
Aber nicht nur dort werden ohnehin schon steigende Insolvenzzahlen verzeichnet. 2024 rechnet der Kreditversicherer Allianz Trade mit rund 22.200 Firmenpleiten in Deutschland, das sind 25 Prozent mehr als im Vorjahr, wo es bereits einen Anstieg in ähnlicher Größenordnung gegeben hatte.
„Die anhaltende wirtschaftliche Schwäche in Europa, insbesondere in Deutschland, macht den hiesigen Unternehmen zu schaffen“, sagt Milo Bogaerts, der Chef von Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Zudem kämpfen sie mit einem Mix aus schleppender Nachfrage, steigenden Löhnen, sinkender Wettbewerbsfähigkeit, fälligen Krediten und einer zunehmend schwierigen und oft teureren Refinanzierung bei gleichzeitig schlechterer Zahlungsmoral und höheren Ausfallrisiken.“
Seine Prognose hatte Allianz Trade daher zuletzt um immerhin vier Prozentpunkte nach oben korrigiert. Dazu passen auch Zahlen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), das in seiner jüngsten Analyse den höchsten Oktober-Wert bei Personen- und Kapitalgesellschaften seit 20 Jahren meldet.
Aber auch 2025 ist nach Ansicht von Experten noch keine Beruhigung zu erwarten. Allianz Trade sagt einen weiteren Anstieg der Unternehmensinsolvenzen voraus auf rund 23.000. Das wäre im Gegensatz zu den Vorjahren aber nur noch ein Anstieg im einstelligen Prozentbereich – wobei die Prognose von vor dem Aus der Ampel-Regierung stammt.
Von einer Insolvenzwelle will der Berufsverband VID trotzdem nichts wissen. „Zu sehen ist eher eine Normalisierung des Insolvenzgeschehens“, sagt VID-Chef Niering mit Verweis auf zuvor künstlich klein gehaltene Zahlen durch eine zeitweise Aussetzung der Insolvenzmeldepflicht während der Corona-Jahre. Zudem habe es staatliche Hilfsprogramme gegeben, die insbesondere bei schwächeren Unternehmen Insolvenzen hinausgezögert haben. „Jetzt erreichen wir wieder den Normalzustand.“
Und tatsächlich waren Fallzahlen zwischen 20.000 und 30.000 üblich in den zwei Jahrzehnten vor der Corona-Pandemie, das zeigt die Statistik. Im Zuge der Finanzkrise gab es von 2009 bis 2011 jährlich auch mehr als 30.000 Verfahren und 2004 und 2005 haben sich die Zahlen sogar der Marke von 40.000 Fällen genähert.
Dass solche Größenordnungen auf absehbare Zeit noch mal erreicht werden, hält Insolvenzverwalter Niering allerdings für abwegig. „Das hängt auch mit den abnehmenden Gründungszahlen zusammen“, begründet der Jurist. „Historisch waren über viele Jahrzehnte junge Unternehmen überdurchschnittlich häufig von Insolvenz betroffen. Denn gerade in den ersten fünf Jahren nach Gründung besteht die höchste Insolvenzgefahr. Die rückläufigen Gründungen führen also unmittelbar auch zu entsprechend weniger Unternehmensinsolvenzen.“
Dass in der Öffentlichkeit trotzdem immer wieder der Eindruck einer Pleitewelle entsteht, liegt Niering zufolge an den zunehmend vielen prominenten Fällen. Etwa bei der Warenhauskette Galeria, den Modeanbietern Esprit oder Gerry Weber, dem Reiseveranstalter FTI, Buchhändler Weltbild oder der Deko-Kette Depot.
„Transformationsprobleme und überholte Geschäftsmodelle“
Die Gründe sind dabei in den meisten Fällen nicht so eindimensional wie noch in der Vergangenheit, heißt es vom VID. „Die anhaltende Konjunkturschwäche und Konsumflaute spielen eine Rolle – reichen als Erklärung für die wirtschaftliche Schieflage aber nicht alleine aus“, sagt Niering.
„Stattdessen hinterlassen Transformationsprobleme, demografischer Wandel und überholte Geschäftsmodelle ihren Spuren bei den Insolvenzen.“ Unternehmen, die top aufgestellt und nun durch eine allgemeine Nachfrageschwäche in die Insolvenz gerutscht seien, sehe man eher selten.
„Die meisten insolventen Unternehmen haben kein tragfähiges Geschäftsmodell oder sind nicht durchfinanziert“, erklärt der Experte. Nach wie vor seien zwei Drittel der Fälle auf Managementfehler zurückzuführen.
Deswegen gibt es Niering zufolge auch zunehmend häufig keinen Verkaufsprozess mehr bei insolventen Unternehmen. „Viele Firmen sind für mögliche Käufer überhaupt nicht attraktiv.“ Verfahren mit einer Abwicklung oder Zerschlagung seien daher häufiger geworden.
Letztens habe er einen Fall gehabt, bei dem der jüngste Geselle 50 Jahre alt war. „Da muss sich der Eigentümer auch schon viel früher fragen, warum sein Unternehmen für Nachwuchskräfte nicht attraktiv ist und mit einer Anpassung des Geschäftsmodells reagieren.“
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.