Suizid jährt sich zum 15. Mal: Beste Freunde: Marco Villa über das Leben und Leiden mit Robert Enke

Stand: 07.11.2024 16:19 Uhr

Der Suizid von Robert Enke jährt sich am Sonntag zum 15. Mal. Marco Villa erinnert sich an fröhliche und „schwarze“ Tage mit der Depression, die sein bester Freund nicht besiegen konnte. Ein privates Zeugnis von Freude und Leid, aber auch Hilflosigkeit.

Sie waren Freunde, ziemlich beste Freunde sogar. Ein Leben lang – und doch viel zu kurz. „Ich vermisse Robbie“, sagt Marco Villa. Ihm stockt der Atem, und bisweilen kullern die Tränen bei seinen bittersüßen Erinnerungen an die Zeit mit Robert Enke. In den Jugend-Nationalmannschaften des Deutschen Fußball-Bundes hatten sich die Teenager Anfang der 1990er-Jahre „kennen- und schätzengelernt“. Es wurde eine innige Freundschaft daraus, in der auch die schlimme Krankheit des unter Depressionen leidenden Enke kein Tabu war.

Blick hinter die Fassade – Villa ein „Herzensmensch“

Villa war einer der wenigen Menschen in Enkes Leben, der hinter die Fassade blicken durfte. „Ein Herzensmensch“, wie ihn Teresa Enke nennt. Der ihr nach dem Suizid ihres Mannes am 10. November 2009 mit seiner Frau Christina fest zur Seite gestanden hat. „Wir haben unseren Kummer geteilt.“ Im ARD Podcast erzählt der Düsseldorfer mit italienischen Wurzeln, wie er und der Torwart aus Jena die in der Nationalmannschaft noch existierende „unsichtbare Mauer“ eingerissen haben. Und wie daraus eine große Vertrautheit erwuchs.

Leichte und ungezwungene Momente

Es wurde viel gelacht, wenn sie sich trafen. Beide hatten einen „trockenen und auch schwarzen Humor“, erinnert sich Teresa Enke. Mitunter sei es aber auch nervig gewesen, „weil die so kindisch waren und dummes Zeug geredet haben“. Manche Geschichten habe sie gefühlt tausend Mal anhören müssen. Spaßig sei es trotzdem gewesen, entgegnet Villa. Leichte und ungezwungene Momente – auch wenn der Ehrgeiz allgegenwärtig war, als Fußballprofi Karriere zu machen.

In Gladbach „intensiver kennengelernt“

Das große Ziel, die Herausforderung Bundesliga, erreichten beide zusammen bei Borussia Mönchengladbach. Der bestens vernetzte Spielerberater Norbert Pflippen war auf Villa aufmerksam geworden, und der machte nicht nur Werbung in eigener Sache, sondern empfahl gleich auch seinen Freund: „Wir sind alles gute Fußballer, aber einer ist besonders gut: Robert Enke, den würde ich ganz schnell unter Vertrag nehmen.“ Gesagt, getan. Enke zog mit seiner damaligen Freundin Teresa aus Jena an den Niederrhein – und „so haben wir uns mit meiner Freundin und heutigen Frau noch intensiver kennengelernt“, erzählt Villa von der glücklichen Fügung.

„Er schien mir immer sehr geerdet zu sein, trotz seines überragenden Talents. Aber das war ihm nicht so wichtig.“
— Marco Villa über Robert Enke

„Ich glaube, dass er immer wusste, dass er sich auf mich verlassen konnte, so wie ich mich auf ihn.“ Obwohl sie, so Villa, ziemlich unterschiedlich waren. „Ich der Extrovertierte, Robbie der Introvertierte.“ Aber das war ihnen egal, die Chemie stimmte – und die Vertrautheit tat in der eher gefühlskalten Fußball-Blase merklich gut. „Das hat unsere Freundschaft geprägt.“

Wahnsinnig gesprächig sei „Robbie“ zwar nicht gewesen. „Aber“, ergänzt Villa, „du hast mit ihm interessante Gespräche führen können, über Politik, andere Sportarten – einfach alles, was ihn interessiert und bewegt hat.“ Überhaupt: „Er schien mir immer sehr geerdet zu sein, trotz seines überragenden Talents. Aber das war ihm nicht so wichtig.“

Depression ein ständiger Begleiter

Der typische Fußballer sei Enke sowieso nicht gewesen. „Er hat zwar darüber gesprochen: Fußball ist alles. Aber eigentlich hatte ich den Eindruck, dass es nicht alles für ihn war.“ Dass sich schon in Gladbach Depressionen in sein Leben geschlichen hatten, ahnte sein Freund und Mitspieler nicht. „Davon habe ich nichts gemerkt, weil ich überhaupt keine Erfahrung hatte mit depressiven Menschen oder Angstpatienten“, erzählt Villa und hält für einen Moment inne. „Das erste Mal, dass ich es richtig mitbekommen habe, war sehr viel später. Damals, als mich Teresa aus Barcelona angerufen hat, weil er in eine schwere Depression gefallen war.“

Villa riet zu „Barca“

Die Wege der beiden Freunde hatten sich da schon einige Zeit getrennt. Der Kontakt, die Vertrautheit aber hielten. Enke spielte nach Gladbachs Abstieg aus der Bundesliga drei Jahre für Benfica Lissabon. Schöne Jahre wohl, erinnert sich Villa. Eines Abends im Jahr 2002 aber habe er ihm von zwei super Angeboten erzählt. Eins mit „brutal viel Geld“ vom FC Porto, das andere vom FC Barcelona. Villa riet zu „Barca“, bekanntlich eines der Traumziele im Fußball. „Dort wirst du auch nicht am Hungertuch nagen“, frotzelte Villa, der damals schon in Italien lebte.

Hilferuf von Teresa Enke: „Robbie geht’s nicht gut“

Dass sein Freund in Barcelona nicht glücklich werden sollte, konnte er nicht ahnen. Trainer Louis van Gaal hatte andere Vorstellungen, setzte ihn nur einmal in der Liga ein. Was schwer nagte an dem Keeper, der zunehmend unter depressiven Phasen litt. Villa erinnert sich noch gut an das Gespräch mit Teresa „Terry“ Enke, weil es ein Hilferuf war, der ihn schrecklich aufgewühlt habe – und es offenbar noch immer tut. „Mensch Marco, kannst du uns nicht unterstützen?“, habe „Terry“ gefragt und dabei wohl ziemlich ratlos gewirkt. „Robbie geht’s nicht gut.“

Villa: „Gemacht, was ich gefühlt habe“

Aber was sollte, was konnte er tun? Villa fühlte sich überfordert von der Sorge um seinen Freund – und ringt noch heute um eine Antwort: „Du kannst Vertrauen und Nähe zeigen, zumindest telefonisch da sein und sagen: ‚Wenn irgendwas ist, ich komme!‘ Das habe ich ihm damals auch angeboten.“

Marco Villa war mit Robert Enke eng befreundet.

Aber es sei eben nicht einfach als Freund. „Der eine lässt sich helfen, der andere nicht. Der eine möchte sprechen, der andere die Sache lieber mit sich selbst klarmachen. Der eine möchte eine Therapie, der andere nicht. Ich habe, denke ich im Nachhinein, einfach das gemacht, was ich gefühlt habe, was das Richtige sein könnte.“

Sündenbock für die eigenen Fans

Es wurde nicht besser. Enkes „Flucht“ nach Istanbul wurde zum Desaster. Dabei habe er sich auf die neue Aufgabe sogar gefreut. „Ich mache das“, hatte er Villa gesagt, „Christoph Daum ist da, ich gehe dahin, ich probiere das.“ Tatsächlich aber ging alles schief. Schlimmer noch: Nach einem schlechten Spiel machten ihn die Fenerbahce-Fans zum Sündenbock; er wurde angepöbelt, verhöhnt und mit Unrat beworfen. „Das schlimmste Spiel meiner Karriere“, sagte Enke später dem NDR. Weit drastischer schilderte er Villa die Vorkommnisse: „Ich drehe durch“, erinnert sich der Freund an Enkes zu Herzen gehende Not.

Teneriffa ein Hochgefühl auf der Achterbahn

„Ich schaffe es nicht, ich muss hier weg“, habe er nur wenige Tage nach seiner Ankunft in der Türkei geklagt. „So verzweifelt hatte ich ihn noch nie erlebt“, so Villa. „Das war komplett anders als in Barcelona“, erkannte er. Der Vertrag wurde aufgelöst und Enke heuerte im Januar 2004 bei CD Teneriffa an. Die beste Entscheidung, so jedenfalls spiegelte es ein Telefon-Gespräch wider, das Villa („Er klang so zufrieden, so voller Lebensfreude“) hoffnungsfroh gestimmt hat. „Ich sitze hier am Hafen“, habe Enke geschwärmt, „trinke einen Cappuccino, habe ein Cabrio – mir geht’s einfach verdammt gut.“

Vergessen schienen die bitteren Erfahrungen, die Erniedrigungen und der bisweilen unerträgliche psychische Druck, von dem doch niemand erfahren sollte. Villa war glücklich, ihn so zu hören, nach der schwierigen Zeit wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Oder war er schon aus dem Tunnel raus? Seine Worte, „ich genieße im Moment einfach nur das, was ich habe“, ließen Villa daran glauben.

„Robbie – ein toller Mensch“

Teresa Enke kannte diese Achterbahnfahrt der Gefühle. Wie stark musste sie sein! Wie konnte sie immerzu die zwei Gesichter ihres geliebten Mannes ertragen? Woher hat sie die Kraft genommen? Im ARD Podcast öffnet sie 15 Jahre nach dem grausamen Suizid ihr Herz und erzählt: „Es gab den Robbie mit Krankheit. Da war er wie ein Depressiver. Genau die Symptome. Dieses Stille, dieses Traurige. Aber der andere Robbie war unterhaltsam, hatte eine spitze Zunge, war lustig, liebevoll, großzügig. Er war einfach ein toller Mensch, er hatte keine wirklich schlechten Eigenschaften, dass ich sagen könnte, das hat mich an ihm gestört oder genervt.“

Villa: „Habe die Alarmglocken nicht gehört“

Es gab zwar den Therapeuten Valentin Markser, aber eine stationäre Behandlung, eine Therapie lehnte Enke beharrlich ab. „Wenn er gesehen hätte“, sagt Teresa Enke heute, „dass er nicht allein ist, hätte er sich auch nicht suizidiert.“

Im Sommer 2009 machte die Krankheit eine Pause. Alles schien in Ordnung zu sein, oder zumindest auf dem Weg dorthin. Robert Enke war auf dem Sprung, die Nummer eins in der Nationalmannschaft zu werden; spielte für Hannover 96, spürte den Rückhalt im Verein, war Publikumsliebling. Und die Adoption von Tochter Leila brachte drei Jahre nach dem Herztod der zweijährigen Lara einen Sonnenstrahl ins Haus der Familie. Doch die Depressionen wurden wieder schlimmer.

„Ich habe damals nicht unbedingt die Alarmglocken gehört“, erinnert sich Villa. Obwohl sich der Freund mehr und mehr zurückzog. Die Telefonate mit Robbie wurden weniger. Nach Hannover konnte Villa aber nicht kommen, weil auch in Italien die Saison begonnen hatte. Er sprach regelmäßig mit Teresa Enke, mit Jörg Neblung, dem Berater und Freund, und Therapeut Markser, mit dem er ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hatte. „Es gab immer wieder Hochs nach den Tiefs, die glauben machten, dass es ihm besser geht.“

Es tut noch immer weh

Eine fatale Fehleinschätzung aus heutiger Sicht, weiß Villa. Enkes Gedanken an einen Suizid, die er immer dann geäußert habe, wenn die Tage total schwarz waren, hatte auch er unterschätzt. „In der akuten Phase, kurz bevor er es wirklich vollzogen hat, hat er darüber nicht gesprochen.“ Auch im letzten Gespräch, wohl zehn Tage vor dem Suizid, habe er nicht einmal angedeutet, darüber nachzudenken. Ein komisches Gefühl habe er trotzdem gehabt, sagt Villa: „Irgendwas war anders. Ich erinnere mich, dass ich eine zittrige Stimme bekommen und auch etwas geweint habe.“

Es tut noch immer weh – auch nach 15 Jahren. Villa schweigt für einen Moment, denkt an die Tragödie am Bahnübergang in Neustadt am Rübenberge-Eilvese. Er habe beim Abendessen gesessen, als der einstige Mitspieler Stephan Paßlack angerufen und gefragt habe: „Was ist mit Robbie los?“ Villa: „Da wusste ich sofort, was passiert ist.“

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Sportclub | 10.11.2024 | 23:35 Uhr