Alle 52 Spielminuten verletzt sich ein Bundesliga-Spieler, 1255 Tage fehlten die Akteure zusammengerechnet in der Saison 2023/2024. Das sind im europäischen Spitzenfußball mit Abstand die höchsten Werte. Der Schaden für die Vereine ist so hoch wie nie zuvor.
Seit einiger Zeit wird in Deutschland über den hohen Krankenstand in Unternehmen diskutiert und über den Verdacht, dass die angenehm anonyme Möglichkeit zur Krankschreibung via Telefon eine Rolle spielen könnte. Dabei ging eine Meldung unter, wonach das vorgebliche Volk der Pünktlichen und Fleißigen nicht nur in den Fabriken und Büroetagen diese Tugenden zu verlieren scheint. Auch auf dem Fußballplatz ist Deutschland der kranke Mann Europas.
Diesen Schluss legt zumindest der „Men’s European Football Index“ nahe. Er ist Teil einer zum vierten Mal veröffentlichten Studie des Versicherungsmaklers Howden, in der die verletzungsbedingten Fehlzeiten im europäischen Profifußball und die daraus resultierenden finanziellen Schäden analysiert werden. Platz 1 in dem Negativ-Ranking belegt – die Bundesliga.
Alle 52 Minuten fällt in der obersten deutschen Spielklasse laut der Untersuchung ein Kicker zu Boden und dann für eine Weile krankheitsbedingt aus. Das ist die mit Abstand höchste Fallhäufung im europäischen Spitzenfußball, wo im Durchschnitt lediglich alle 92 Minuten ein Profi vom Platz getragen wird. 1255 Krankentage zählten die Studienmacher in der Bundesliga-Saison 2023/2024, keine andere der fünf untersuchten Top-Ligen kommt auf einen vierstelligen Wert.
Deutsche Fußballfans lästern gerne über die vermeintliche Fallobstigkeit der Italiener und Larmoyanz der Franzosen. Doch das alles scheinen bloß Fußball-Klischees.
Denn tatsächlich entfiel jeder dritte Spielerausfall, der in Serie A, Ligue 1, Premier League, La Liga und Bundesliga vorkam, auf den deutschen Spielbetrieb. Bereits zum zweiten Mal infolge sind die hiesigen Fußballer damit Champions bei Krankschreibungen. Fallobst ist ein deutsches Phänomen.
Mögliche sportliche Ursachen werden in der Studie nicht beleuchtet, ebenso wenig die Frage, ob man sich auch bei Bayern München einfach so per Telefon krankschreiben lassen kann. Stattdessen kalkulierten die Experten den finanziellen Schaden, der den Vereinen aus dem Ausfall ihres spielenden Personals erwächst.
Großer Schaden durch Krankenstand im Profifußball
Der ist demnach offenbar höher als je zuvor. Insgesamt 732 Millionen Euro, so errechneten die Autoren auf Basis der Spielergehälter, sollen die Clubs die verletzungsbedingten Fehlzeiten in der letzten Saison gekostet haben. Der Wert habe sich binnen dreier Jahre annähernd verdreifacht.
Die Bundesliga liegt im Schadensranking mit 125 Millionen Euro allerdings nur auf Platz drei hinter der englischen und der spanischen Liga, deren Clubs 319 beziehungsweise 143 Millionen Euro für nicht erbrachte sportliche Leistungen zahlten. Die Divergenz zwischen medizinischem und monetärem Ausfall ist leicht erklärt.
In England und Spanien wird besser gezahlt, der Verzicht auf einen teuren Spieler schlägt stärker zu Buche. Inwieweit finanzielle Frustration zu der Anfälligkeit deutscher Profis beigetragen haben könnte, zählt zu den offenen Fragen der Studie.
Dafür gibt sie deutliche Hinweise darauf, dass ein hoher Krankenstand auch im Profifußball zulasten der Produktivität geht. Innerhalb der Bundesliga brachte es Borussia Mönchengladbach als einziger Club allein auf eine dreistellige Zahl verletzungsbedingter Krankheitstage. Genau hundert waren es in der Saison, die für die ersatzgeschwächte Fohlen-Elf auf einem enttäuschenden 13. Platz endete.
Bayern musste 96 Krankheitstage und eine Saison ohne Titel hinnehmen. Bayer Leverkusen hingegen erhielt nur 36 Krankmeldungen von seinen Profi-Kickern, der niedrigste Wert in der Liga. Über die rechnerischen Ausfallkosten von schlappen 3,45 Millionen Euro wird Trainer Xabi Alonso großzügig hinweggesehen haben. Schließlich holte seine top fitte Truppe die Meisterschale.
Steffen Fründt ist Wirtschaftskorrespondent der WELT und berichtet über Themen aus Luftfahrt, Sportbranche und anderen Industrien.