Rúben Amorim wurde auf Händen aus dem Stadion von Sporting Lissabon getragen – diesmal nicht nur redensartlich. Nach seinem letzten Heimspiel als Trainer für den Klub stellte sich die Mannschaft für ihn am Ausgang auf. Als Amorim durch das Spalier lief, schnappten die Spieler wie das Maul eines Krokodils bei frischer Beute zu. Für den Portugiesen gab es kein Entkommen, immer wieder warfen sie ihren Coach in die Luft. Und mit ein bisschen Fantasie konnte man sich vorstellen, wie Amorim über die Keltische See nun zu seinem künftigen Arbeitgeber Manchester United fliegt.
Sofern für Amorim noch Zweifel bestanden hatten, wie er als bisher kleiner Trainer-Alligator in den derzeit sehr trüben Gewässern des Titelsaurus in Manchester ab nächster Woche aufgenommen werden würde, so dürften sich diese seit Sportings spektakulärem 4:1-Erfolg gegen Uniteds Stadtrivalen City am Dienstagabend erledigt haben. Sie werden ihn beim englischen Rekordmeister United jetzt gewiss auf dieselbe Weise empfangen, wie er seine portugiesische Heimat verlassen hat: auf Händen.
:Pippo Kehrer
Der deutsche Nationalspieler Thilo Kehrer hat sich bei der AS Monaco zum Führungsspieler und Abwehrchef entwickelt. Das Champions-League-Spiel beim FC Bologna entscheidet er in ungewohnter Rolle.
Sporting Lissabon besiegte City in der Champions League nämlich nicht nur, es fraß die Mannschaft von Pep Guardiola auf. Vier Mal schnappte der Amorim-Alligator zu, unersättlich wie einst United in den Duellen mit dem Nachbarn City – bevor dieser finanziell aus Abu Dhabi gefüttert wurde. Trotz der frühen City-Führung durch Phil Foden (4. Minute) näherte sich der Titelfavorit im Ballbesitz erstaunlich unbedacht dem gegnerischen Strafraum an, als wäre Sporting bloß ein Plüschkrokodil. Ohne Absicherung wurde City gnadenlos ausgekontert, immer wieder lief der überragende Sporting-Angreifer Viktor Gyökeres allein auf Torwart Ederson zu. Von seinen vielen Chancen nutzte der 2019/20 noch beim FC St. Pauli beschäftigte Schwede drei (36., 49., 80.), davon zwei per Elfmeter. Zudem traf Lissabons Außenspieler Maximiliano Araújo (46.).
Sportings 4:1 war für das erfolgsverwöhnte Manchester City die heftigste Niederlage seit mehr als vier Jahren. Aber sie passte ins aktuelle Bild des Teams. Torjäger Erling Haaland knallte beim Stand von 1:3 einen Elfmeter derart hart an die Latte, als hätte er zwei Tore auf einmal schießen wollen. City befinde sich „ein wenig in einer finsteren Lage“, berichtete Routinier Bernardo Silva, alles scheine derzeit „in die falsche Richtung“ zu laufen. Selbst wenn man gut spiele, nutze man die Chancen nicht und kassiere zu leicht Gegentore, monierte Silva. Das müsse sich schnell wieder ändern, sonst werde es schwer, die Verluste wettzumachen.
Guardiola gehen langsam die Spieler aus
Innerhalb einer Woche kassierte City drei Niederlagen in Serie, erstmals seit 2018. Auf das Achtelfinal-Aus im League Cup bei Tottenham folgte die erste Ligapleite in Bournemouth – und nun die Abreibung in der Champions League. Mit sieben Punkten aus vier Spielen muss City aufpassen, die direkte Qualifikation für das Achtelfinale durch eine Top-acht-Platzierung nicht zu verpassen. Und die dicken Brocken kommen erst noch: Paris Saint-Germain und Juventus Turin. Der Telegraph schrieb, City habe „keine Energie, keinen Funken und keine Ideen“ gehabt.
Nach Silvas Grundsatzkritik war der Trainer bemüht zu beschwichtigen. Nein, er teile die Meinung des Spielers nicht, man sei nicht auf einer dunklen Seite, betonte Guardiola. Zwar sei sein Team emotional derzeit nicht stabil genug, aber man habe gewusst, dass es nach vier Ligatiteln in Serie eine komplizierte Saison werden würde. Er möge solche Herausforderungen, versicherte Guardiola. Allerdings gehen ihm gerade die Spieler aus, mit denen er die Krise bewältigen könnte.
Kürzlich hatte er nur 13 einsatzfähige Profis zur Verfügung. Gegen Sporting sah es nicht viel besser aus. Abwesend waren neben dem am Kreuzband verletzten Weltfußballer Rodri die Stammkräfte Rúben Dias, John Stones, Jack Grealish und Oscar Bobb; Kevin De Bruyne konnte nach wochenlanger Hüftverletzung nur wenige Minuten mitwirken. Und auch Spieler wie Kyle Walker, Jeremy Doku und Nathan Aké kehrten erst kürzlich wieder zurück. Citys Personalnot beruht zum einen auf dem für Spitzenspieler zermürbend vollen Terminkalender. Und zum anderen wohl auch auf einem zu optimistischen Transfersommer. Selbstbewusst hatte City seinen Offensivallrounder Julián Alvarez an Atlético Madrid verkauft – für eine interne Rekordablöse (75 Millionen Euro). Der Argentinier hatte in der Vorsaison zunächst den monatelangen Ausfall von De Bruyne formidabel kompensiert, danach die Abwesenheit von Haaland.
Trotz der hohen Belastung holte City nur den jungen Flügelspieler Savinho sowie ablösefrei Ilkay Gündogan. Der Rückkehrer vom FC Barcelona sollte die von Alvarez hinterlassene Lücke schließen. Doch bisher konnte Gündogan nicht an seine einstige City-Form anknüpfen. In 14 Pflichtspielen gelangen ihm erst ein Tor und ein Assist. Vor einem Monat urteilte Guardiola über den früheren DFB-Kapitän, dieser habe „eines der schlechtesten Matches absolviert“, das er je von ihm gesehen habe. Dabei ist Gündogan ein langjähriger Lieblingsspieler Guardiolas, über den er sich nie zuvor öffentlich derart geäußert hatte. Gegen Sporting wurde Gündogan erst in der Schlussphase eingewechselt.
Immerhin muss City nicht lange auf eine Gelegenheit warten, sich bei Rúben Amorim zu revanchieren. Im Dezember wird Manchester United zum Stadtderby zu Gast sein.