Als es der SV Werder Bremen zum bislang letzten Mal mit Bayer Leverkusen zu tun bekam, war die Welt noch eine andere. Damals, im April dieses Jahres, erregte zuerst der Mittelfeldmann Naby Keita ein wenig Aufsehen, weil er sich weigerte, den Bremer Mannschaftsbus zu besteigen, und deswegen für alle Ewigkeit aus dem Kader verbannt wurde. Dann wurde ein Fußballspiel gespielt, das die Leverkusener 5:0 gewannen, ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit wahrten und zum ersten Mal deutscher Meister wurden. Doch die Erde dreht sich eben weiter – so schnell sogar, dass die vor einem halben Jahr noch hoffnungslos unterlegenen Bremer das Team waren, für das im Bundesliga-Spitzenspiel am Samstagabend mehr drin gewesen wäre als nur ein 2:2-Unentschieden. Und das bedeutete auf der Gegenseite: Die vor kurzem noch unbezwingbaren Leverkusener konnten heilfroh sein, zumindest ein Pünktchen aus dem Bremer Weserstadion entführt zu haben, in dem mal wieder kein Naby Keita gesichtet werden konnte.
Dass die Leverkusener Saison bislang nicht so rauschhaft anläuft wie die vergangene, zeigte sich unter anderem daran, dass Trainer Xabi Alonso sein Team nach dem 1:1 am Mittwoch in Brest einer Art Kernsanierung unterzogen hat. Der Spielberichtsbogen wies sieben Veränderungen aus: Kapitän Lukas Hradecky war zurück zwischen die Pfosten; die Verteidiger Jeremie Frimpong und Edmond Tapsoba nahmen ihre angestammten Rollen genauso ein wie die Mittelfeldmänner Granit Xhaka, Robert Andrich und Stürmer Victor Boniface. Allesamt nachgewiesene Meisterfußballer – aber wirklich meisterhaft sah das an diesem Abend nicht aus.
Die Bremer bemühten sich von Beginn an um eine Neuordnung der Verhältnisse, und es waren zunächst auch keinerlei Parallelen zum vergangenen Aufeinandertreffen erkennbar. In der ersten Minute war es der Spielmacher Romano Schmid, der den Ball zu Stürmer Marvin Ducksch spitzelte, doch dessen Schuss wurde vom Leverkusener Torwart Hradecky pariert. Nach einem schicken Steilpass von Mitchell Weiser versuchte sich Ducksch dann an einem Heber über den etwas zu weit nach vorn gerückten Hradecky, welcher den Ball aus etwa 17 Metern allerdings gerade noch so herunterpflücken konnte. Und nach einer Viertelstunde führte Ducksch dieses aufsehenerregende Privatduell weiter, als er den Ball von der linken Strafraumkante ins rechte obere Eck schlenzte – Hradecky hatte aber wieder seine Finger im Spiel und verhinderte den Leverkusener Rückstand, der zu diesem Zeitpunkt bereits verdient gewesen wäre. Denn: Wohin man auch sah, überall regierte Grün-Weiß. Die Bremer traten ganz anders auf als zum Beispiel jüngst beim 0:5 gegen den FC Bayern, sie waren mutig, rückten im Verbund vor, trachteten nach frühen Ballgewinnen, und ihnen fiel mit dem Ball ständig etwas Neues ein.
Blöderweise, zumindest aus Werder-Sicht, war von Grün-Weiß in der ersten Halbzeit ausgerechnet genau dann wenig zu sehen, als es besonders drauf angekommen wäre. Nach einer halben Stunde flankte der Leverkusener Frimpong in den Bremer Strafraum, wo Stürmer Boniface eine Komfortzone um sich herum hatte, die ausreichte, um den Ball ins Tor zu wuchten: 1:0 für die Werkself, die nichts von jenem Esprit und Glanz versprühte, an den man sich in der Vorsaison gewöhnt hatte. Aber Effizienz, das lässt sich nicht leugnen, ist eben auch eine echte Spitzenteamtugend, und so gesehen konnten die Leverkusener in spitzenmäßiger Laune in die Pause gehen, weil daraufhin auch noch ein Drehschuss von Weiser knapp am Tor vorbeiging.
Vom Spielglück geküsst, und mit strafferer Körperhaltung kamen die Leverkusener dann jedoch zurück aus der Kabine, was dabei half, den Schwung des Gegners auszubremsen und ein wenig Kontrolle zurückzugewinnen. Der Ball zirkulierte nun etwas besser, und das Spiel konnte ein paar Meter weiter in die Bremer Hälfte verlagert werden. Damit schuf sich die Werkself eine Atempause, die sich nach einer vergebenen Großchance von Boniface allerdings als die Ruhe vor dem nächsten Bremer Offensivsturm entpuppte.
Die Mannschaft von Trainer Ole Werner fiel auch in dieser Phase nicht vom Glauben ab und hinterlegte ihr berechtigtes Interesse am Ausgleich. Ducksch scheiterte zunächst erneut am hervorragend aufgelegten Hradecky, doch der Stürmer arbeitete und lauerte weiter, bis er schließlich eine Flanke von Julian Malatini serviert bekam und den Ball über den Leverkusener Schlussmann hinweg zum 1:1 köpfelte. Das obligatorische Nebelhorn im Bremer Weserstadion ertönte als Zeichen für eine aufmunterte Nachricht an alle Hansestädter: Ducksch durchbrach mit seinem Treffer eine Serie von 161 Tage ohne Heimtor – seine Punkte hat der SV Werder in dieser Saison vor allem bei Auswärtsreisen verbucht.
Felix Agu schießt ein Eigentor kurz vor Schluss
Doch die Euphoriewelle war noch nicht mal ganz die Weser heruntergeflossen, da machte sich schon wieder Ernüchterung unter den Bremer Fans breit. Nur wenige Minuten später drangen die Leverkusener auf der linken Seite nach vorn, ein scharfer Querpass erreichte den Bremer Strafraum – und der in diesem Spiel putzmuntere Felix Agu konnte einen Treffer des hinter ihm freistehenden Frimpong nur dadurch verhindern, indem er den Ball selbst vor diesem ins eigene Tor bugsierte (78.). Verdient war das nicht.
Aber Werder war ja noch nicht fertig mit diesem Fußballspiel: Der eingewechselte Justin Njinmah wurde in der 90. Minute von Derrick Köhn bedient, er behielt die Übersicht und legte zurück auf Spielmacher Romano Schmid, welcher sogleich einen kraftvollen Schuss abfeuerte. Der Ball zischte an Hradecky vorbei zum 2:2 ins Netz, zum Ausgleich in der buchstäblich letzten Minute – bis zuletzt ja die absolute Paradedisziplin der Leverkusener. Doch die Erde mag sich unaufhaltsam weiterdrehen, manches ändert sich halt nie: Das Weserstadion, das so gefürchtet wie bekannt ist für aufregende Flutlichtabende, konnte seinem Ruf wieder einmal alle Ehre machen.