Wüste Thar und von Jaisalmer nach Pushkar
Wir sind verwirrt! In der Reisebeschreibung steht, dass wir heute nach Manvar fahren, das zwischen Jaisalmer und Jodhpur liegt und fünf Nächte im Desert Camp Damodra verbringen werden. Aber Damodra ist irgendwie 200 Km von Manvar entfernt. Was stimmt jetzt?
Tag 5: Jaisalmer – Wüste Thar
Wir bestellen den Fahrer auf 10 Uhr ein. Er erklärt uns, dass es uns nach Damodrain der Wüste Thar bringt muss, das bloss eine knappe Stunde von Jaisalmer entfernt ist. Und hier erwartet man uns auch schon. Gut, dann hat sich das geklärt. Die Landschaft hat ein steppenähnliches Aussehen angenommen. Es ist sehr sandig und die Vegetation besteht vorwiegend aus Dornbüschen, obwohl es immer noch einzelne Bäume gibt. Von Sanddünen ist aber auch hier im Camp (noch) nichts zu sehen. Es erinnert mich eher an den Wilden Westen als an die marokkanische Sahara.
Das Camp besteht aus 10 luxuriösen „Swiss Tents“. Es hat ein geräumiges Zimmer, ein grosses Bad mit Dusche, Steckdosen und eine Air Condition (von der es alle 10 Minuten die Sicherung raus haut, aber der Strom kommt automatisch nach einer Minute gleich wieder) und eine kleine Terrasse mit zwei Liegestühle. Wifi gibt es nicht, aber unsere beiden SIM-Karten – von airtel und von Vodafone – lassen laufend paar Bytes durch. Das ist ok.
Da wir immer noch nicht so ganz auf dem Damm sind, ziehen wir es vor, auch heute vorwiegend herumzuhängen. Ich erkunde kurz mal das Camp. Unter jedem Baum drängt sich eine Pfauenfamilie zusammen, aber sie sind verdächtig ruhig. Da sind wir von unserem Hauspfau in Sri Lanka anders gewohnt! Am Treppengeländer zur Dach-Launch hängt eine Gottesanbeterinnen Kopf unter. Was hier doch überall gebetet wird! In den Städten sind es die Muezins oder buddistische Mantrachöre, hier die Mantis.
Obwohl wir alleine im Camp sind, macht uns der Koch etwas zu Mittag. Einmal mehr Dal Tadka, dazu Salzkartoffeln und ein Butter Chapati.
Gegen 17 Uhr mache ich mich nur mit zwei Kameras bewaffnet auf, Richtung Hauptstrasse. Die ist unweit vom Camp, denke ich. Es ist 17.05 Uhr. Ich gebe mir eine halbe Stunde hin und eine halbe Stunde zurück. Ungefähr um 17.40 Uhr ist Sonnenuntergang, jedenfalls was die Sicht anbelangt. Die letzten paar Bogenminuten über dem Horizont ist die Sonne sowieso im Dunst verschwunden. Die Landschaft ist tatsächlich unwirklich: flach, sandig, menschenleer, aber da und dort von einzelnen Bäumen bewohnt. Und Fliegen hat es! So kleine, flinke; ekelhaft! Plötzlich spüre ich, wie mein Hals trocken ist und die Strasse ist noch weit entfernt. Ich erinnere mich an die kalifornischen Wüsten – Dead Valley, Moyave, Joshua Tree – wo es fahrlässig ist, ohne Wasser unterwegs zu sein. Es ist jetzt 17.30, also sowieso bald Zeit zur Rückkehr und der Sonnenuntergang erweist sich als weniger spektakulär, als erwartet. Auf der Rückkehr erinnere ich mich, gelesen zu haben, dass es hier auch Wildschweine gibt. In Italien achte ich beim Wandern stets auf Erhöhungen oder Baume, auf denen ich Zuflucht nehmen könnte. Aber hier hat es nichts geeignetes. Zumindest breche ich mir einen Stock zurecht, obwohl ich weiss, damit nichts ausrichten zu können. Jetzt fährt doch tatsächlich ein PW im Schritttempo neben mir her. Was zum Teufel! Ich weiche ein wenig in die Landschaft aus. Jetzt wage ich mal einen genaueren Blick auf den Störenfried. Schau mal, das ist ja unser Driver! Soll ich mich jetzt zurück fahren lassen oder nicht? Ich grüsse überrascht und frage, ob ich mitfahren darf. Im Auto leerte ich auf der Stelle zwei kleine Wasserfläschchen, die der Driver jeden Tag für uns bereitstellt.
Camp-Leben
Nachdem ich wieder im Camp bin, lasse ich mir ein Bier kommen und fragte nach Papadam, anstelle von Pommes-Chips und Nüsschen, wie es in Europa üblich ist. Während ich darauf warte, kommen vier Inder und eine in strassbelegtem Chiffon gekleidete Frau. Sie beginnen, vor mir Musikinstrumente auszupacken. Die wollen uns jetzt aber nicht unterhalten, wo wir doch die einzigen Gäste hier sind.
Es gibt kein Papadam und keine Nüsschen und das Bier ist zwar ein Kingfisher, aber angeschrieben mit „Strong beer: above 5 % up to 8 %“. Unterdessen fängt die Musik an zu spielen, während das Publikum noch aus mir alleine besteht. Barbara eilt es nicht, da sie immer noch unter ihrer Erkältung leidet. Auch in meinem Hals beginnt es zu krabbeln. Die Musik ist wirklich gut. Einer ist noch damit beschäftigt, ein Puppenspielhaus aufzustellen, während in der Musiknische drei Typen am Boden hocken und singen. Das Girl sitzt unbeteiligt hinter den Jungs. Einer der drei hat wirklich eine gute Stimme. Das für die indische Musik typische Tremolo beherrscht er ganz ohne Nebengeräusche. Unterdessen verdoppelt Barbara mit ihrer Anwesenheit das Publikum und der Kellner bringt ein Plättchen mit Spanischen Nüsschen, die hier wachsen, vermischt mit kleingehackten Tomaten, Zwiebeln und Gurken. Sehr lecker! Das ist noch besser, als die wenig originellen trockenen Nüsschen, die es in Europa zum Aperitif gibt. Die Musik nimmt Fahrt auf. Sie wollen meinen Namen wissen und singen dann einen englischsprachigen Song, in dem immer wieder der Refrain „Happiness to you Peter and your family“ oder so ähnliches vorkommt. Später wiederholen sie es für den Namen „Barbara“. Dazwischen singen sie z.B. „Country road, take me home, … , West India“ und „Frère Jacques dormez-vous“. Bei den indischsprachigen Songs haben wir den Eindruck, es handle sich um Geschichten, vielleicht von Maharadschas und Sultanen oder armen Leuten, die viel Glück und vielleicht auch Reichtum erfahren.
Immer wieder werden Speisen gebracht. Mal ein Plättchen mit frittiertem Gemüse und einer Ketchup Sauce, mal ein Teller mit Pouletstückchen und einer Minzensauce. Ich bin längst auf Lemon Saft mit Sodawasser umgestiegen.
Jetzt kommt das Girl zum Zuge: sie tanzt einen typisch indischen Tanz, krümmt sich und lässt das Gewand anmutig fliegen. Der Kellner bringt das eigentliche Diner. Reis mit Huhn an einer braunen Sauce. Aber wir haben längst genug. Nachdem uns der Kellner versichert hat, dass sich die Angestellten über die Resten freuen, lassen wir es stehen. Der Puppenspieler lässt seine Puppen im eigens dafür aufgestellten Haus tanzen. Anschliessend bietet er sie zum Verkauf an. Ich kaufe ihm ein Maharadscha/Maharani-Paar ab, um es unseren Sri Lankischen Hauswärtern zu schenken. Wir ziehen uns schon um 20 Uhr zurück, weil uns die Erkältung zusetzt. Hätte ich kein Bier nehmen sollen? Ich wälze mich unruhig im Bett herum.
Tag 6: Kamelreiten
Heute haben wir die Gelegenheit, auf einem Kamel in die Wüste zu reiten. Darauf haben wir uns schon lange gefreut. Gegen 11 Uhr bringt uns ein Jeep paar Kilometer weiter Richtung Wüste. Am Strassenrand warten wir auf die versprochenen Kamele und da kommen sie auch schon angetrabt. Im Jeep hat es Kochgeschirr, Lebensmittel und sogar eine 20 l Flasche Wasser. Der Kameltreiber Guda winkt ab. Er habe genug Wasser bei sich. Hingegen nimmt er Töpfe, Teller und Lebensmittel umwickelt sie mit farbigen Tücher, verknotet diese und bockt alles auf die Kamelsättel. Jetzt können auch wir aufsitzen. Meine Bedenken, ich sei zu schwer, winkt Guda mit eine Handbewegung ab: So ein Dromedar könne locker 300-350 Kg tragen. Da müsste ich noch viel Essen, um das Grenzgewicht zu erreichen. Das Kamel steht zuerst auf die Hinterläufe, so dass ich nach hinten lehnen muss, dann streckt es auch die Vorderläufe, worauf ich mein Gewicht nach vorne verlagern muss. Und das geht ruckartig! Da muss man schon etwas alert sein! Nun, da ich im Sattel sitze, will es mir nicht so richtig bequem sein. Ich rutsche immer nach vorne. Schon nach paar 100 Meter drohen meine Füsse, einzuschlafen. Nachdem wir fast 1 Stunde unter sengender Sonne geritten sind, hat Barbara einen kleinen Schwächeanfall und muss absitzen. Etwa eine Viertelstunde später hat sie sich einigermassen erholt und es kann weiter gehen.
Eine weitere halbe Stunde später machen wir unter einem „Kamelbaum“ halt. „Kamelbaum“ deshalb, weil die Kamele die Blätter dieses stacheligen Baumes sehr lieben und stundenlang davon fressen können. Aber zunächst läuft das Aufsitzprozedere in umgekehrter Reihenfolge ab: Zuerst geht das Kamel auf die vorderen Knie und dann beugt es die Hinterläufe. Jetzt erst kann der Reiter absitzen, was mit schmerzendem Sitzfleisch und gedehnten Beckenknochen allein schon einer riesigen Anstrengung bedarf. Zunächst nimmt Guda die beiden je 15 Kilogramm schweren Sättel ab und legt die Decken auf den Boden. Er bittet uns, darauf Platz zu nehmen. Dann bindet er den Kamelen die Vorderläufe locker zusammen, so dass sie keine grossen Schritte machen können. Wenn sie sich bewegen, sieht es aus, als ob ich mit heruntergezogenen Hosen gehen will. Trotz der eingeschränkten Mobilität verteilen sich die Tiere sofort unter einen Kamelbaum und fangen an zu fressen. Jetzt ist uns klar, weshalb die Kronen dieser Bäume unten so präzise gerade geschnitten sind. Guda sammelt trockenes Holz und macht in einer Erdkuhle ein Feuer, auf das er einen Topf setzt und als erstes einen Chai Masala Tee kocht. Dazu giesst er einen halben Liter Wasser und einen halben Liter Frischmilch zusammen, deren Konsistenz nach dem Ritt an der Sonne vermutlich nicht mehr über jeden Zweifel erhaben ist, und braut daraus einen mit indischen Kräutern und viel Zucker angereicherten Schwarztee. Genau mein Geschmack, wenn sich nur nicht gleich eine ekelhafte Haut auf dem Tee bilden würde. Während wir also den Tee schlürfen, bzw. ich mit dem Herausfischen der Hautfetzen beschäftigt bin, beginnt Guda mit der Zubereitung des Mittagessens in freier Natur. Er setzt einen neuen Topf aufs Feuer, gibt reichlich Öl aus einem Kanister hinein und schneidet eine Zwiebel direkt in den Topf, ohne Hackbrett oder Unterlage. Einen Blumenkohl zerlegt er in Röschen und Kartoffeln scheidet er auch in der Luft. In einem anderen Topf bereitet Guda ein Chilichutney, also gedämpfte und eingedickte Peperoncini. Und was macht er jetzt? Er kramt einen Sack Mehl hervor, leert einen guten Teil davon auf eine flache Schale, giesst Wasser dazu und knetet einen regelrechten Teig. Davon trennt er kleine Portionen ab, die er auf der Faust der linken Hand mit der rechten auswallt. Er drückt also eines der Teigbällchen auf seine Faust, nimmt es weg, dreht es, drückt es wieder auf die Faust etc., bis es ein regelmässiger runder Fladen ist, den er auf eine Schale wirft, die auf dem Feuer steht. So produziert er ein paar Chapati. Fantastisch!
Nach einer guten Stunde richtet er uns das Essen an. Es schmeckt wunderbar! Guda ist nicht nur ein guter Kameltreiber, sondern auch ein guter Koch.
Nach dem Essen wäscht er alle Töpfe und Teller alleine ab. Unser mehrmaliges Angebot, zu helfen, lehnt er kategorisch ab. In Indien, sagt er, müssen sich die Gäste bedienen lassen. Er packt alles sauber zusammen, holt die Kamele, die sich etwas selbstständig gemacht haben und bockt all‘ die sieben Sachen auf. Jetzt können wir wieder aufsitzen und weiter gehts.
Nach einer weiteren Stunde Kamelritt, befinden wir uns endlich in den Dünen der Wüste Thar. Guda führt uns ein wenig durch die Dünen, bevor wir etwa eine halbe Stunde vor Sunset wieder absitzen dürfen. Es treffen immer mehr Menschen ein, die den Sonnenuntergang bestaunen wollen. Wir schauen dem Schauspiel zu – nicht nur des Sonnenuntergangs, sondern auch dem der Touristen – und machen Fotos. Wer einmal in einer Sandwüste wie der Sahara war, für den ist die Dünenlandschaft hier etwas enttäuschend. Es scheint mehr ein Dünengarten zu sein mit einer ungefähren Ausdehnung von etwa einem Quadratkilometer. Auch haben die Dünen keine so schnittigen Formen, wie in der Sahara und sind viel kleiner.
Kurz bevor die Sonne verschwindet, taucht Guda mit „unseren“ Kamelen wieder auf, auf denen jetzt zwei andere Leute sitzen. Wir vermuten, dass es neue Gäste unseres Wüsten-Camps sind. Und tatsächlich spricht uns die Frau an. Es sind Michela und Stéphane aus Ascona und arbeiten als Krankenschwester und Arzt. Wir freunden und sofort an, trinken in der Wüste zusammen einen Becher Chai Masala Tee (ich kämpfe wieder gegen die Haut auf dem Tee) und fahren dann gemeinsam im Jeep ins Camp zurück, wo uns schon die indische Musikband von gestern erwartet.
Erholung in der Wüste
Wir beschliessen, die drei restlichen Tage, die wir hier im Wüsten-Camp sind, unserer Genesung zu widmen. Da mich mein Gesäss immer noch schmerzt, habe ich grad keinen Bock auf weitere Kamelritts. Und auch ich bin mittlerweile ziemlich verschnupft und brauche Ruhe. Die meisten Gäste kommen nur für einen Nacht hierher. Daher auch jeden Abend dieselbe Musik mit demselben Programm. Es gibt wohl wenig Gäste, die wie wir gleich fünf Nächte bleiben. Aber macht nichts. Die Ruhe hier ist unserer Genesung nicht abträglich.
Wir treffen Michela und Stéphane beim Frühstück und er erzählt uns von seinen Hilfsprojekten hier in Indien. Zwar ist das Gesundheitswesen staatlich unterstützt und auch für die Ärmsten gratis, aber in der Praxis sieht das anders aus. Vielleicht erreicht das Geld die Einrichtungen für die Ärmsten dann doch nicht, weil es nicht reicht oder irgendwo versickert. Ich weiss es nicht. Wenn z.B. chirurgische Instrumente an ihr Lebensende kommen, können sie nicht einfach so ersetzt werden. Oder Sterilisationsgeräte, sog. Autoklaven, müssen dicht sein und funktionieren, sonst sind die chirurgischen Instrumente unsauber und können eine Sepsis auslösen. In Europa gibt es Medizinproduktgesetze, die eine regelmässige Kontrolle der Sterilistationsleistung vorschreiben. Ob das in indischen Spitälern für die Ärmsten auch möglich ist? Jedenfalls braucht es nicht nur Fachkräfte und Medikamente, sondern auch Hilfs- und Verbrauchsmaterial, und da will Stéphane helfen. Er hat z.B. fünf Sets an Operationsbesteck gekauft und einem solchen Spital für die Ärmsten gespendet. Für weitere Hilfeleistung arbeitet er mit bestehenden Organisationen zusammen. Auf seiner Website Chirurgie für bessere Zukunft erklärt er die Zusammenhänge und bietet einen Donatorenknopf an, über den man einfach Geld spenden kann.
Tag 10: Damodra – Jodhpur
Nachdem wir also 3 Tage mehr oder weniger herumgelümmelt sind und die Abgeschiedenheit und Ruhe genossen, fahren wir heute nach Jodhpur weiter. Der Fahrer war froh, konnte er wieder etwas tun, denn er durfte nicht in das Zeltcamp hinein, sondern hatte vor dem Camp eine bescheidene Absteige. Er verbrachte die Nächte offenbar abwechslungsweise in Jaisalmer und im Camp. Beim Verlassen des Camps stehen alle Mitarbeiter Spalier und verabschieden uns. Vor allem der Kellner schaut etwas betrübt in unsere Augen und bedauert unseren Abschied. Er bittet um wohlwollende Kritik im Tripadviser. Einer rief nach: „See you next year“. Während der fünfstündigen Fahrt durch die Wüste verfasse ich Rezensionen für die Hotels, in denen wir waren, insbesondere natürlich für das Wüstencamp. Dann lade ich sie in Google Maps hoch. Im Tripadviser ist das allerdings viel komplizierter. Ich weiss nicht, weshalb in Süd- und Südostasien die Geschäftsleute Tripadvisor vorziehen. Hand aufs Herz: verwenden Sie Tripadviser? Wenn ich wohin will, suche ich es in Google und lese dort auch gleich die Bewertungen. Ich sehe keinen Mehrwert von Tripadviser.
Das Hotel in Jodhpur ist … na ja, sagen wir mal: etwas in die Jahre gekommen. Es hat einen schönen Garten, der abends märchenhaft beleuchtet ist. Es gibt eine ähnliche Musikband wie in der Wüste und auch ein Puppenspieler ist zugegen. Wir setzen uns schon mal an einen Tisch. Ein Kellner mit orangem Turban bringt uns die Karte. Wir bestellen schon mal einen Lemon Soda ohne Salz und ohne Eis! Aber prompt kommen die Drinks mit etwas Salz. Dadurch scheint der Drink süsser zu sein. Beim zweiten Glas haben sie es dann gecheckt. Nur etwas Zucker, fertig. Den Nachmittag verbringen wir mit einer Siesta. Für den nächsten Tag ist eine Führung angesagt.
Tag 11: Jodhpur
Wir sind mit unserem Fahrer und einem Guide um 10 Uhr verabredet. Offenbar enthält unser Arrangement in jeder Stadt einen Guide, was ich ein wenig aufdringlich empfinde. Vor allem, wenn es einer ist, der uns nur „Monuments“, also Sehenswürdigkeiten zeigen will/soll/muss. Dieser Guide führt uns zunächst ins Fort, das als Museum dient. Das ist erwartungsgemäss eher langweilig. Klar gibt es ein paar bemerkenswerte Ecken und vor allem die Aussicht auf die Blaue Stadt, wie Jodhpur auch genannt wird, ist atemberaubend. Anschliessend geht der Guide mit uns ins Maharadscha-Krematorium. Wie kann man nur!? Es ist im Stil eines kleinen Schlosses gebaut, weiss und mit Türmchen und Erkern und so und zieht viele Touristen an. Meine Aufmerksamkeit galt einem Taubenschwarm, der von Zeit zu Zeit über den Türmchen ein paar Runden dreht. Aber ich glaube, ich habe ihn nicht richtig einfangen können. Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, die Fotos zu evaluieren. Schliesslich fährt der Guide mit uns noch zu einer dritten Sehenswürdigkeit, von der ich nicht einmal mitbekommen habe, worum es sich handelt. Als wir dem Guide sagten, dass wir lieber durch die Gässchen der Blauen Stadt gehen würden, winkte er ab: nicht mit ihm! Er sein bloss angewiesen worden, uns die drei Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Allerdings kann er uns gleich einen Stadtguide angeben, mit dem wir für den nächsten Tag ein Date um 09:30 Uhr haben.
Zum Diner gehen wir ins On the Rocks, gleich nebenan. Es wurde uns verschiedentlich empfohlen. Das Restaurant mit dem schönen Neem Tree Court macht einen guten Eindruck. Schade, hat es kein Roof Top. Aber vor dem Haus führt sowieso gleich die Hauptstrasse vorbei. Das wäre dann auf dem Rooftop etwas sehr lärmig.
Tag 12: Jodhpur
Ein weiterer Tag in Jodhpur. Heute sind wir mit einem Guide verabredet, der uns durch die Strassen und Gassen der Blauen Stadt führen will. Zwar bräuchten wir ihn nicht, aber er hat paar Vorteile. Z.B. weiss er gleich, wo der beste Einstieg in die Innenstadt ist und kann dem Driver den Weg zeigen. In der Stadt selbst kann er helfen, wenn uns jemand anspricht oder anbettelt. Und wenn wir genug haben und ein Tuktuk zum Hotel nehmen möchten, kann er mit dem Fahrer den Preis verhandeln und ihm den Weg erklären. Das ist mir viel Wert. In fremden Städten nehme ich ungern Taxis oder Tuktuks, weil die Fahrer ja doch nicht wissen, wo mein Ziel ist. Ich kann ihnen den Weg nicht erklären, weil wir beide zu wenig Englischkenntnisse haben. Im schlimmsten Fall muss ich ihn nach Google Maps lenken und immer sagen: „Now left, now right, still straightforward“. Das ist sehr anstrengend. Und dann immer die Diskussion um den Preis! Man weiss genau, dass der Fahrer zu viel verlangt, weil er meint, dass Touristen höhere Preise zahlen würden/sollten. Also feilscht man runter, aber der Fahrer rückt nicht vom Preis ab. Dann bleibt einem nichts anderes übrig, als ein anderes Tuktuk zu suchen und – glauben Sie es mir: – es hat immer beliebig viele Tuktuks herum, nur wenn Sie eines benötigen, ist keines zu sehen. Also stehen Sie wieder auf der Strasse und müssen zu Fuss weiter, bis Sie nach paar 100 Meter dann doch eines erblicken, das auf Ihr Zeichen auch anhält und die ganze Diskussion beginnt von Neuem. Wenn einem ein Guide diese Unannehmlichkeiten abnehmen kann, ist mir sehr geholfen.
Diese blauen Häuser sind wirklich bemerkenswert. Manchmal sind alle Häuser einer Gasse blau – mal etwas heller, mal etwas dunkler -, was zu einer ganz besonderen Stimmung führt. Der Guide erzählt uns, dass es die Häuser der Goldschmiede seien, und zwar je reicher desto dunkelblauer. Warum streichen denn nicht alle Leute ihre Häuser gleich dunkelblau? Ob die dunkelblaue Farbe viel teurer ist, als die hellblaue? Irgendeine Hürde muss es ja geben. Aber für uns Besucher ist es eigentlich egal. Es ist für den Betrachter sogar interessant, wenn es verschiedene Blau gibt und nicht alle Häuser gleichfarbig sind. Nur schade, dass sie in engen Gassen stehen. Erstens ist viel Schatten in den Gassen und zweitens bräuchte man höchstens ein 12 mm Objektiv, um ein Haus aufs Bild zu bekommen. Aber, Sie wissen ja, wie das dann ausschaut: als ob das Haus einstürzen würde. Also gebe ich mich mit Detailaufnahmen zufrieden.
Deprimierend wirken die Abfallhaufen, die es quasi in jeder Gasse gibt. Da liegt der Unrat jeweils bis zu einem halben Meter hoch, auf vielleicht 5 x 2 Meter. Ich beobachte einen Bub, der gerade einem Kessel Abfall auf so einen Haufen entsorgt. Dann dreht er sich um und geht mit dem leeren Kessel wieder ins Haus zurück. Die Kühe, die überall herum laufen, freuen sich natürlich über diese Nahrungsquelle. Aber ich habe auch schon beobachtet, dass eine Kuh genüsslich auf einem Plastiksack herum kaute und ihn dann ganz verschlang. Ich verstehe nicht, dass es die Anwohner nicht stört, wenn vor ihrer Haustüre Haufen von stinkendem Müll herumliegt. Ihre Beseitigung müsste doch eigentlich hoch oben auf der Traktandenliste einer Stadtexekutive stehen, zumal eine Müllabfuhr und Strassenreinigung relativ einfach zu realisieren wäre.
Nicht einfach umzusetzen sind hingegen Massnahmen gegen die unsägliche Armut. Auf unserem Stadtbummel erhaschen wir ab und zu einen Blick ins Innere eines Hauses und da sieht es zuweilen düster aus, nicht nur, was die Lichtverhältnisse anbelangt. Leute hausen in halb zerfallenen Bauten, die z.T. nicht einmal richtig gedeckt sind. Wenn es regnet, werden ihre Sachen nass. Sie können sich abends nicht einfach gemütlich in ein warmes trockenes Bett legen. Apropos „warm“: Der Guide erklärt uns, dass die Temperatur im Winter auf ungefähr 15 Grad sinkt. Die meisten Menschen hier können von Heizung nur träumen. Sie haben wohl auch keine dicken Pullover und Daunenjacken.
Tag 13: Jodhpur – Pushkar
Heute verlassen wir Jodhpur und fahren nach Pushkar. Wir lesen, dass es da einen (heiligen) See gebe, in dem sich der Sonnenauf- und untergang sehr schön spiegle und dass einem nahe der Stadt Dünen und Kamele erwarten. Nun denn, wir freuen uns darauf. Auf der Fahrt nach Pushkar gibt es, wie immer, viel zu sehen. Der Fahrer fährt früh genug ab der Schnellstrasse, um den mühsameren Weg durch Ajmer zu nehmen, eine grössere Stadt vor Pushkar. Dadurch bekommen wir mehr zu sehen. In Ajmer fallen uns entlang der Strasse die vielen improvisierten „Zelte“ auf, die mitten im Müll stehen. Das ist eine richtige Zeltstadt! Die „Zelte“, oder wie immer das man nennen mag, bestehen aus ein paar knorrigen dürren Ästen, die irgendwie zu einem behelfsmässigen Gerüst zusammengebunden sind. Darüber sind Lumpen und alte Blachen geworfen. In solchem Gehütt wohnen unzählige Menschen, die der Fahrer als „homeless“ bezeichnet, also Leute, die quasi auf der Strasse leben. Die „Zelte“ geben vielleicht ein wenig das Gefühl von Privatsphäre, aber mehr nicht. Den Strassenlärm hält es nicht ab und über die Frage, wie trocken es bei einem Monsunregen im Inneren bleibt, kann nur spekuliert werden. Für uns ist das beim Vorbeifahren Kulisse, aber für die Menschen, die dort leben, geboren werden und aufwachsen, ist das das Leben schlechthin. Sie fühlen sich jetzt gerade so, wie ich mich fühlen würde, wenn ich jetzt aussteigen und den Rest meines Daseins in so einem Gehütt am Strassenrand in Ajmer verbringen müsste, ohne irgendwelche Mittel, um dieser Hölle zu entkommen. Ein schrecklicher Gedanke! Aber so müssen sich diese Menschen fühlen. Ich denke, ihre Sorgen kreisen ums nackte Überleben: woher nehmen wir in den nächsten Stunden Nahrungsmittel und Wasser, und wenn nur für unsere Kinder? Sie fühlen sich wahrscheinlich wie die Letzte Generation, denn der Verteilungskampf wird immer härter. Ob ihre nächste Generation unter diesen Umständen noch überleben kann, ist ungewiss.
In Pushkar angekommen, sucht der Fahrer zunächst nach dem Weg zum Hotel. Die Strasse ist wegen einer Wahlkampfveranstaltung gesperrt. Konkret: ein Umzug mit Plakaten und Werbewagen, mit bunt gekleideten Menschen, die geschäftig herumrennen oder tanzen, und die Plakate mit dem Konterfei ihres Kandidaten schwenken: eine bunte, übermütige und total chaotische Szene. Wir fahren durch eine enge, schmutzige Strasse, die immer enger wird und schliesslich keinen weiteren Durchgang lässt. Der Fahrer telefoniert mit dem Hotel. Nach einigen Minuten steigt ein Hotelmitarbeiter zu, der den Fahrer durch passable Strässchen weist. Das Hotel ist … na ja….nett. Wir können uns des Gefühls nicht erwehren, dass es in den 70ern den Hippies, die damals die Erleuchtung bei indischen Gurus gesucht haben, als Treffpunkt und Absteige gedient hat.
Und so präsentiert sich Pushkar denn auch auf unserem Sunset-Walk zu See. Sehr schmutzig, sehr heilig, sehr selbstinszenierend, sehr vergeistigt. Zunächst erklärt einem ein Guru schon 50 Meter vom Seeufer entfernt, dass man die Schuhe ausziehen muss. Das sei ein heiliger Ort! Sein Lebensmittelpunkt scheint nur seiner Heiligkeit Raum zu bieten, bevor sie dereinst im Dreck versinkt. Wir weichen zurück und geben dem Alten zu verstehen, dass wir nicht zum See wollen. Weiter schlendern wir durch das 22’000-Seelen-Dorf. Rechts und links von uns drohen hupende Motorräder, uns umzufahren. Manchmal schiebt auch ein Auto die Fussgänger vor sich her, egal wie eng die Gässchen sind. Eine Gruppe Italiener kreuzt unseren Weg. Das klingt schon fast heimatlich! Eine verschleierte Frau schmeisst irgend einen Unrat aus dem ersten Stock auf die Strasse. Sie kann es nicht fassen, dass ich unwillig hochschaue. Plötzlich fällt uns ein etwa 70 jähriger Mann auf: ganz offensichtlich Europäer, vielleicht auch Amerikaner oder Australier, hochgewachsen, graue Haare, nackter Oberkörper, um die Hüfte ein weisses Tuch geschlungen, nackte Füsse. Wir folgen ihm. Manchmal schmerzen ihn die spitzen Steine am Boden. Dann läuft er ganz sachte. Schliesslich geht er über eine ca. 50 – 100 Meter lange Hängebrücke, die über See gespannt ist und auf der Schuhe auch nicht zugelassen sind. Damit hängt er uns ab, denn so interessant ist er dann doch nicht, dass wir die Schuhe auszuziehen gewillt sind. Kurz vor dem Brückenkopf gibt es einen kleinen Platz, der sich zum See hin neigt und auf dem sich viele Hippies aufhalten. Am Platz sind paar Cafés mit Tischchen davor, fast wie in Ascona, nachdem es durch eine Staub- und Mülllawine zugedeckt wurde. Von den Cafés aus kann man dem Treiben auf dem Platz zusehen. Zwischen den zu spiritueller Perkussion tanzenden Hippies, die in den 70ern stecken geblieben sind, tummeln sich einige sehr illustre Figuren, die Selbstinszenierung zu ihrem Lebenszweck gemacht haben. Da ist z.B. einer, der sich wie ein buddhistischer Mönch in Orange gehüllt hat, allerdings etwas zu chic für einen echten Mönch und auch nach Sonnenuntergang mit Sonnenbrille auf. Man kann sich neben ihn setzen und für paar Rupien mit ihm zusammen ablichten lassen. Nachdem wir genug gesehen haben, machen wir uns wieder auf den Rückweg zum Hotel und beschliessen, gleich in unserem Hotel etwas zu Abend zu essen.
Wir glauben, genug gesehen zu haben. Eine zweite Nacht brauchen wir hier eigentlich nicht. Barbara nimmt Kontakt mit dem Organisator auf. Dieser gibt uns nach kurzer Abklärung bekannt, dass das Hotel in Jaipur, unser nächstes Ziel, bereit ist, uns eine Nacht früher aufzunehmen. Wir bieten den Fahrer für den nächsten Morgen auf. Im Bett studieren wir noch ein wenig, was wir in Jaipur wirklich, wirklich sehen wollen. Zwar werden wir an zwei Tagen wieder Guides haben, aber denen wollen wir dann gleich von Anfang an sagen, was wir sehen wollen.
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