Das deutsche Verfahren zum Umgang mit Kunstwerken, die in der Zeit des Nationalsozialismus Juden gestohlen oder abgepresst wurden, wird neu geordnet. Darauf haben sich Bund, Länder und kommunale Spitzenvertreter am Mittwochabend geeinigt. Die SZ hatte über die mühsame Genese des Kompromisses bereits am Dienstag berichtet. Künftig soll ein Schiedsgericht darüber entscheiden, ob die vielen tausend von den Nazis geraubten Werke, die sich bis heute in deutschen Museen und anderen öffentlichen Sammlungen befinden, an die Nachfahren der Besitzer zurückgegeben werden. Besetzt wird es aus einem Pool von „Richtern“, die von Vertretern der öffentlichen Seite und vom Zentralrat der Juden beziehungsweise der Jewish Claims Conference einvernehmlich ausgewählt werden.
Die wichtigste Neuerung des nun beschlossenen Verfahrens ist die „einseitige Anrufbarkeit“: Das Schiedsgericht wird in Zukunft mögliche Raubkunstfälle auch dann behandeln, wenn nur die Familien der bestohlenen Juden dies wünschen. Bund und Länder werden ein entsprechendes „stehendes Angebot“ abgeben, in dem sie pauschal ihre Zustimmung für die Prüfung eines Anspruchs vor dem Schiedsgericht erklären. Eine entsprechende Erklärung sollen auch die deutschen Kommunen, die ebenfalls Träger vieler Museen sind, abgeben. Die Entscheidungen des Schiedsgerichts sind bindend.
Bisher war für die Prüfung strittiger NS-Raubkunstfälle die „Beratende Kommission“ zuständig. Sie konnte aber nur dann aktiv werden, wenn beide Seiten, also die Nachfahren der ehemaligen Besitzer und die deutschen Museen oder deren Träger, zustimmten. Dies war einer der Hauptgründe dafür, dass die Beratende Kommission in 21 Jahren nur über 24 Fälle entschieden hat. Die Kommission konnte statt verbindlicher Entscheidungen auch nur Empfehlungen abgeben. Deutschland steht wegen seines restriktiven und unkooperativen Umgangs mit jüdischen Anspruchstellern seit Jahren in der Kritik.
Ursprünglich hatte die Bundesregierung eine Stärkung der Beratenden Kommission favorisiert. Das scheiterte jedoch am Widerstand der Bundesländer Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen, die in den vergangenen Jahren immer deutlicher Kritik an der Kommission geübt hatten, da diese sich zu großzügig für Restitutionen ausgesprochen habe.
Schiedsgericht als Schritt zu Restitutionsgesetz?
Kulturstaatsministerin Claudia Roth lobte den Beschluss. Er erlaube eine stärkere „Einbindung der Opfer und ihrer Nachfahren“ und verbessere, vereinfache und beschleunige die Rückgabe von NS-Raubgut. Auch der Vorsitzende der Kulturministerkonferenz, der hessische Kultusminister Timon Gremmels, erklärte sich mit der neuen Regelung zufrieden: Das neue Verfahren gehe deutlich über das bisherige hinaus. „Kein öffentliches Haus soll sich künftig noch mit NS-Raubgut schmücken.“
Verhaltener äußerte sich Rüdiger Mahlo, der Repräsentant der Claims Conference in Europa, einer Organisation, die Opfern von Nationalsozialismus und Holocaust in Entschädigungsfragen vertritt. Er bezeichnete die Neuregelung zwar als „Durchbruch“: „Der Beschluss befreit die Opferfamilien aus ihrer Bittsteller-Position“. Gleichzeitig handele es sich bei der Schiedsgerichts-Lösung aber nur um einen „wichtigen Schritt hin zu einem umfassenden Restitutionsgesetz“, wie es von vielen, darunter auch dem Vorsitzenden der Beratenden Kommission, Hans-Jürgen Papier, seit Langem gefordert wird. Er kritisierte vor allem, dass die Restitution von Raubkunst in privaten Sammlungen weiterhin nicht geregelt ist.
Die Beratende Kommission soll noch für etwa ein Jahr weiterbestehen und ab 2025 durch das neue Schiedsgericht abgelöst werden.