Abschied von Neuseeland – mein Rückblick

Ich blicke in den mit Sternen übersäten Nachthimmel. Wie automatisch scannen meine Augen das Firmament auf der Suche nach dem Polarstern und dem Großen Wagen. Einige Formen ähneln dem Großen Wagen sehr, aber keine ist eindeutig diese Formation des Einkaufswagens, den ich kenne. Manche Sterne leuchten deutlich heller als andere, aber keiner ist so klar zu erkennen, wie der Polarstern. Komisch. Ich versuche mich kopfüber zu stellen, um so vielleicht besser sehen zu können aber trotzdem, kein Erfolg.

Natürlich nicht! Ich hatte ganz vergessen, dass hier auf der südlichen Erdhalbkugel ein ganz anderes Sternbild am Himmel zu sehen ist. Hier ist aber auch wirklich alles anders, sogar der Himmel. Ich bin froh, dass der Mond immerhin noch derselbe ist wie zu Hause.

“Zu Hause” – der Gedanke wirkt plötzlich so abstrakt. Ich habe kein genaues Bild mehr dazu im Kopf. Eine Wohnung habe ich in Spanien nicht mehr. Und hier habe ich während der letzten Monate mein Zuhause nur zu oft gewechselt. Bei Gerlinde habe ich in einem Lehmhaus, das wie eine Hobbithöhle in einen Hügel hinein gebaut war, gewohnt. Auch in einem ausgebauten Van habe ich es mir eine Zeit lang gemütlich gemacht. Im Moutere Valley bei Nelson hatte ich ein Zimmer auf einem wunderschönen Stück Land mit Gemüsegarten und Wald direkt vor der Tür. Bei Tanette in Wanaka habe ich in einer gemütlich umgebauten Vogelhütte gewohnt. Und selbst in verschiedenen Hostels habe ich mich irgendwie mit der Zeit zu Hause gefühlt.

Gemeinschaftsgarten in Motueka mit Sonnenblumen

Earnslaw Buns Track - Ankunft im Tal

Nachdem ich beide Inseln Neuseelands auf meinen Roadtrips ausführlich erkundet und in unzähligen Wwoofing-Projekten die Gärten umgraben und Unkraut gejätet hatte, machte ich mich in Motueka auf die Suche nach einem Job. Bald schon fand ich eine Stelle in einem Kiwi-Packhouse und ließ mich im White Elephant Hostel nieder. Die letzten Monate über habe ich mich dort im Garten des Hostels in einem kleinen Häuschen unter einem Walnussbaum  eingerichtet.

Sechs Monate sind vergangen, seit ich in Auckland ankam und in dem wohl schäbigsten Hostel der Stadt abstieg. Dank einiger lieben Menschen, die ich dort traf, fand ich trotzdem den Mut, weiterzumachen und nicht gleich wieder umzukehren. Nun naht bereits langsam das Ende meiner Zeit in Neuseeland und es waren bestimmt die bisher bereicherndsten Monate meines Lebens.

Obwohl meine Neuseelandreise voll spannender Abenteuer und prägende Erlebnisse war, war dieses letzte Kapitel, in dem es eigentlich ziemlich ruhig zugegangen ist, besonders schön. Die bewegendsten und berührendsten Momente im Leben kommen immer unerwartet.

Das Leben im Hostel

Als ich im White Elephant Hostel ankam, war ich fasziniert von dem riesigen Feigenbaum in der Mitte des Gartens. Als ich Lorin, die Managerin des Hostels darauf aufmerksam machte, dass die Feigen prall und reif an den Ästen baumelten und fragte, ob ich welche haben könnte, meinte sie “nimm so viel du willst”. Auch saure Weintrauben gab es, die Äpfel- und Birnenbäume trugen süße Früchte, aus denen ich später Kuchen gebacken und Kompott gekocht habe. Dann kam eines Tages Tomo im Hostel an, eine Japanerin, die Englisch und Mandarin studiert. Sie fragte mich, ob Feigenbäume blühen, denn das Kanji für Feige bedeutet auf Japanisch (oder Mandarin) soviel wie “blütenlose Frucht”. Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Ich musste überlegen.

Zu Beginn der Apfelerntesaison kamen immer mehr Leute im Hostel an. Von Fiji, aus Uruguay, aus anderen Ecken Neuseelands, aus China, Nepal, Taiwan und Japan, und aus den Vereinigten Staaten… Wir waren alle auf Jobsuche, gaben uns gegenseitig Tipps, wo gerade Stellen frei waren für “picking” oder “packing”, und wo noch Personal gesucht wurde. Nach und nach bekamen wir alle Zusagen und richteten uns “long-term” in unserm Hostel ein.

Nach Feierabend kochten wir gemeinsam mit den anderen Hostel-Bewohnern. Klirrende, klappernde Kochtöpfe und Pfannen. Kiloweise Reis im Reiskocher, der Geruch von geräuchertem Curry, der dumpfe Schlag eines scharfen Messers, das gekonnt mit Schwung auf dem Holzbrett landet und das Fleisch zerteilt, der Duft von Zitronengras, es war eine internationale Cuisine vom Feinsten. Und natürlich war auch der eine oder andere dabei, der immer nur Toastbrot ass.

Jeden Tag vor der Arbeit trafen wir uns alle mit müden Augen in der Küche beim Frühstück und abends wünschten wir uns vor dem ins Bett gehen eine gute Nacht. Sogar die Zähne haben wir manchmal gemeinsam geputzt. Durch das Zusammenleben im Hostel ist eine ganz besondere Verbindung zwischen uns entstanden.

Zwischendurch kamen immer mal wieder vereinzelte Gestalten, die nur für eine oder zwei Nächte im Hostel blieben, um einen Zwischenstopp vor dem Abel Tasman einzulegen. Die Zeit verging, und auch die Ernte der Früchte neigte sich ihrem Ende. Der Feigenbaum im Garten verlor allmählich seine Blätter, dann auch die Weinreben. Das Vergehen der Zeit konnte man auch an dem Obst, das sich auf der Theke der Hotelküche sammelte, ablesen. Anfangs brachten alle pralle Äpfel und Kiwis von ihrer Arbeit mit. Jetzt gab es stattdessen Blaubeeren, Walnüsse und Feijoas.

Besonders ans Herz gewachsen ist mir eine Gruppe Japaner. Da waren Tomo und Matt, ein japanisch-amerikanisches Pärchen, das sich in Australien kennengelernt hatte und seitdem zusammen unterwegs waren. Beideeide sprechen Englisch und Japanisch fließend. Taichi aus Osaka hatte in Auckland eine kleine Crew kennengelernt, mit der von dort aus weitergereist war: Rintaro aus Miyazaki, Sora und Mori aus Okinawa und später Kamen Shohei aus Chiba und Haruka aus Tokio dazu.

Ich erfuhr ganz nebenbei viele neue Dinge über ihre Sprache, ihr Essen, ihre Trachten, ihre Kultur, ihre Städte, ihren Glauben. Oft war ich überrascht, wenn ich etwas gefragt hatte und die Antwort lautete: „Das wissen wir nicht, wir sind nicht katholisch.“ Ich lernte Hiragana, Katakana und Kanji, die drei verschiedenen Schriftsysteme, die in Japan -manchmal auch kombiniert- verwendet werden, zu unterscheiden. Sie erzählten vom Kojiki, dem Buch der alten Aufzeichnungen, das die Gründung Japans erklärt und mit der Blutlinie des Kaisers verbunden sein soll; und ich hörte Geschichten von Ebis und dem Rest der Shichifukujin, der sieben Glücksgötter.

Auch in der Küche gab es für mich viel zu entdecken, denn ich durfte Dinge probieren wie die köstlichsten hausgemachten Gyozas (Teigtaschen in Reisblättern), Karaage (frittiertes Hühnchen), Okonomiyaki (so ähnlich wie herzhaft gefüllte Pfannkuchen) und Onigiri (Reisbällchen). Nie zuvor in meinem Leben hatte ich Menschen so viel Reis essen gesehen.

Ich erfuhr etwas über die Yakuza und ihre traditionellen Tätowierungen, die wunderschön, aber sehr gefürchtet sind, und über ganz alltägliche Dinge, zum Beispiel, wie japanische Haushalte aussehen, die scheinbar ohne Ofen und ohne Toaster auskommen. Stattdessen finden sich in japanischen Küchen große Essstäbchen, die als eine Art Zange benutzt werden, und einen großen Reiskocher, in dem alles gedämpft wird. Ich war fasziniert von all ihren Geschichten und wollte immer mehr hören.

Vor allem bin ich heute dankbar, dass mir meine japanischen Freunde beigebracht haben, dass, trotz all dieser kulturellen Unterschiede, wir uns so viel ähnlicher, als verschieden sind. Manche Dinge sind so universell, dass keine Sprach- oder Kulturbarrieren ihnen im Weg stehen können, wie unsere menschliche Natur, Freundlichkeit, Humor und Liebe.

Nun steht der neuseeländische Winter kurz bevor und die Saisonarbeit auf den Gemüse- und Obstplantagen wird immer weniger. Bald werden wir alle wieder getrennten Wege gehen. Mein Job im Kiwipackhaus ist vorbei, denn es gibt keine Kiwis mehr zu pflücken. Sechs Monate sind wie im Flug vergangen. Bald geht es zurück nach Hause und ich denke an all das, was mir dann fehlen wird. All die Dinge im Alltagsleben, die hier so anders sind.

Rückblick

Bevor ich in Neuseeland landete, bestand meine Vorstellung dieser Inseln aus der Haka, den Rugby All Blacks, dem Silverfern-Blatt, Maori Tattoos, Kiwifrucht und Kiwivogel und natürlich dem Film „Herr der Ringe“. Natürlich gehören all diese Symbole auch zur neuseeländischen Kultur. Doch mit jedem Tag, den ich hier verbracht habe, habe ich so viel Neues dazu gelernt und so Vieles entdeckt, das sich in diesem weit entfernte Land, ganz am anderen Ende der Welt, im Pazifischen Ozean verbirgt. Ein Land, das sich in vielerlei Hinsicht ganz anders entwickelt hat

Jetzt bin ich zurück zu Hause und gehe auf dem Wochenmarkt einkaufen. Als ich am Obstand vorbeikomme, muss ich schmunzeln, denn der Aufkleber auf der Kiste Kiwis ist der gleiche, wie auf den Kisten, in die ich selbst noch vor Kurzem Kiwis verpackt habe. Zwei Monate lang in 10-Stunden-Schichten. Ich kann es mir nicht vergreifen und frage die Verkäuferin “Woher kommen diese Kiwis”?