3-D-Kunst in Gelsenkirchen: Sympathie für E-Roller

Eine schmutzige Gasse im Halbdunkel einer späten Nacht, illuminiert von künstlichen Leuchtmitteln der Stadtbetriebe; ein elektrischer Straßenpoller dient den noch glimmenden Tabak- und Zigarettenresten als vorerst letzte Ruhestätte, im Hintergrund parkt ein Reinigungsfahrzeug rückwärts ein.

Mit dem Szenario holt die israelische Künstlerin Alona Rodeh Be­su­che­r*in­nen ihrer Ausstellung „Interzone“ im Gelsenkirchener Kunstmuseum bereits im Foyer des postmodernen Achtzigerjahrebaus ab. Ein tristes und zugleich geschäftiges urbanes Stillleben auf zwei hochkant gestellten Bildschirmen in der Größe mittelformatiger Malereien.

Still steht hier natürlich nichts: Rodeh, die 1979 im Moschaw Ben Ami geboren wurde und heute in Berlin lebt, arbeitet seit einigen Jahren mit zeitbasierten Medien, oft sind es hochaufgelöste 3D-Animationen.

Wie das Video „Bollards as Ashtrays“, in dem der elektrische Poller dauernd und regelmäßig auf und ab fährt, samt seiner schmauchenden Ladung. Das Reinigungsfahrzeug schiebt sich ins Bild und vermutlich springen gleich Putzkräfte raus, um den Müll der (Abend-)Gesellschaft zu verräumen.

Entvölkerte Welten

Sicher ist das nicht, da Rodehs digital repräsentierte Welten entvölkert sind – stets sieht man nur Überreste dessen, was Menschen bauen, nutzen, konsumieren: In den acht Werken der Schau, die vor allem auf Displays und als spielbares Videogame zu sehen sind, tauchen Straßen auf, Technik und Dreck sowie die Bürde der nicht abklingenden Akkumulation von Geld und Waren. Wo Menschen fehlen, treten bei Rodeh Maschinen an ihre Stelle.

Alona Rodeh in Gelsenkirchen

„Interzone“. Kunstmuseum Gelsenkirchen, bis 9. Februar 2025

Offenbar hat die Künstlerin Sympathien für die sonst eher unbeliebten E-Roller. Diese sind gleich zweimal die Protagonisten. In „Runway Freefall“ tanzt ein Rollerduo ein Duett in der kalten Glattheit eines HDR-Filters zum Hawaiigitarren-Swing, was lose an die Filme von US-Underground-Regisseur Jack Smith erinnert.

So gleiten die Roller auf den Zufahrtsstraßen eines Industriegebäudes wie ein Eislaufpaar durch die Kür – bis Hunderte Roller plötzlich vom Himmel fallen und alles demolieren. Man möchte fast meinen, dass es im Kapitalismus keinen Platz für ein Happy End gibt, nicht einmal, wenn der Mensch darin schon ausgeschaltet ist.

In „The Juicer“ hingegen dreht sich alles um die namensgebenden Transporter, die nachts den E-Rollern die Akkus aufladen, damit diese tagsüber im Weg stehen können. Hier stimuliert ein pumpender Elek­tro­beat die Roller. Dass Rodehs Kunst nicht nur aus solchen, als kurze Clips wahrnehmbaren Videos besteht, beweist sie in dieser ersten großflächigen Einzelausstellung in Deutschland.

Den architektonischen Besonderheiten des Gelsenkirchener Museumsbaus begegnet sie mit einer gewissen Gelassenheit: Architekt Albrecht Egon Wittig plante den Ausstellungsbereich in den frühen 1980ern mit vielen Ebenen und Plateaus, die wiederum durch Fenster, Treppen oder Balkone miteinander verbunden sind.

Für die Präsentation von Videoarbeiten hätte diese Durchlässigkeit und Lichtsituation durchaus zum Problem werden können. Doch Rodeh, die auch als Bühnenbildnerin für das Theater gearbeitet hat und ein Gefühl für die Inszenierung von Räumen mitbringt, kontert feinsinnig mit kürbisfarbenen Folien, die den Räumen jegliche Natürlichkeit nehmen – was das bizarre Flair und den hoch artifiziellen Anklang ihrer Arbeiten unterstreicht.

Burroughs Interzone

Viele Bilder haben Wiedererkennungswert, werden dann aber ins Absurde gebrochen und hinterlassen Befremden. Womit wir zum Titel der Schau kommen: Man kann die „Interzone“ nicht denken, ohne auch William S. Burroughs Roman „Naked Lunch“ zu erwähnen. Das Buch schlingert von einer Vision zum nächsten Drogentrip und wieder zurück. In dieser „Zwischenzone“ zwischen real Erlebtem und Herbeifantasiertem können auch die Maschinen ein Eigenleben entwickeln.

Die maschinelle Welt zieht weiter, selbst wenn ihre menschlichen Protagonisten betäubt und regungslos bleiben. Wenn aber bei Burroughs die Menschen noch in den „Interzonen“ der modernen Welt gefangen sind, dann sind es bei Alona Rodeh eben auch die Maschinen und Produkte. Es ist klar: Wir alle sind Gefangene der gleichen Zustände – egal ob ein Motor oder doch das Herz das Wesen antreibt.