Boy meets Girl, die Formel ist einfach: Zwei Menschen begegnen sich, sie stolpern und ringen, verändern sich dabei, doch am Ende finden sie zueinander. Ein Erzählrezept, das zuverlässig funktioniert. Das, wahrscheinlich auch dieser Einfachheit wegen, überall zu entdecken ist. Besonders in den Büchern auf der „BookTok-Bestseller“-Liste, auf den New-Adult-Tischen in den Buchhandlungen, in Reihen wie Ana Huangs „Twisted Dreams“ oder in Caroline Wahls Erfolgsromanen „22 Bahnen“ und „Windstärke 17“.
Wer heute einen New-Adult-Roman oder eine Romance-Novel aufschlägt, begegnet einer entfernten Verwandten jener Geschichten, die Jane Austen vor mehr als 200 Jahren zu schreiben begann. Viele Autorinnen des Genres sehen in Austen deshalb die Erfinderin des „Enemies to Lovers“-Topos und die Patronin ihrer romantisch verstrickten Heldinnen. Romance boomt und das Genre scheint auf den ersten Blick nichts anderes zu tun, als eine alte Formel zu erneuern.
Doch so sehr sich die Branche auf sie beruft, als hätte Austen schon damals den Grundstein zur heutigen Feel-Good-Literatur gelegt: Diese Verehrung ist oft vereinfachend naiv. Austen als bloße Romantikerin zu lesen, mag bequem sein, richtig ist es nicht. H. G. Wells nannte Austen einst einen bezaubernden Schmetterling „ohne jedes Mark“. Ein Missverständnis, aus dem sich die moderne Romance gern bedient. Denn Austen ist ein Skalpell. Es stimmt, zwischen ihrem Werk und den Romance-Novels gibt es Berührungspunkte. Aber eben auch tiefe Gräben.
Das Erbe und die Klasse
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Am 16. Dezember gibt es den 250. Geburtstag der Autorin Jane Austen zu feiern, die als Frau zunächst nur heimlich schreiben konnte und eine große Klassikerin der Weltliteratur wurde. Die taz begeht dieses Jubiläum mit einer Jane-Austen-Woche: Täglich beleuchten wir einen Aspekt ihrer Werke. Alle erschienenen Texte finden Sie hier.
Das Happy End gehört in beide Welten, meint aber Unterschiedliches. Wenn das Paar zueinanderfindet, ist es bei Austen ein ökonomischer und sozialer Grundpfeiler, der Frauen überhaupt erst Handlungsspielraum verschafft. In einer Zeit, in der unverheiratete Damen nach geltendem Recht nicht einmal eine eigene Wohnung haben oder alleine reisen durften. Die Hochzeit ist die soziale Grundwährung der Lower Gentry, des Landadels, zu dem Austen selbst gehörte.
Das Erbproblem – in „Stolz und Vorurteil“ personifiziert durch Mr. Collins, der, kommen die Töchter nicht unter die Haube, das Bennet-Anwesen erbt – ist zentrales Motiv einer Klasse, deren Töchter buchstäblich in die Zukunft einheiraten mussten.
In der modernen Romance dagegen dient die Beziehung, die Heirat, eher der inneren Heilung, weniger der sozialen Sicherung. Dass der Love Interest meist beinahe zufällig Millionär, Erbe, Neurochirurg oder hochbezahlter Profisportler ist, erscheint als geduldeter Bonus, nicht als Existenzsicherung. Reichtum ist hier ein ästhetischer Effekt, Geld existiert als Versprechen von Sorglosigkeit, aber es wird fast schamhaft verleugnet. Die Heldin ist, ganz nebenbei, stets naiv distanziert gegenüber Vermögen, so als müsse sich die Romance ihrer eigenen Luxusfantasie entschuldigen. Austen hingegen benennt Zahlen: Mr. Darcys 10.000 Pfund jährlich markieren seinen gesellschaftlichen Rang präzise.
Und was passiert, findet das gebeutelte Paar zusammen? In der Romance ist das klar: Sex, endlich. Die Szenen sind ausführlich, explizit, dienen als dramaturgische Spannungsachse. Austen dagegen schreibt sexuelles Begehren ausschließlich durch dessen Abwesenheit, in Andeutung, verschobenen Blicken oder in gesellschaftlichen Ritualen. Austen war keine prüde Autorin, doch ihre Erotik entsteht in der sozialen Choreografie, nicht im Schlafzimmer.
Die Leerstellen der Beschreibung
Raum lässt Austen auch in der Beschreibung ihrer Figuren. Über Mr. Darcy erfahren wir im Grunde nur drei Worte: tall, dark and handsome. Mehr braucht Austen nicht. Ihre Figuren entstehen aus Verhalten, nicht aus Körperdetails, aus Moral, nicht aus Makellosigkeit. Ganz anders die heutige Romance: Der „Love Interest“ wird als visuelles Gesamtkunstwerk ausgeleuchtet, mit Sixpack, eisblauen Augen und verwuschelter Frisur. Nichts bleibt der Vorstellung überlassen. Romanhelden folgen meist normierten Schönheitsidealen, illustriert wie aus dem Katalog; manche Bücher liefern sogar Postkarten der Protagonisten mit, sogenannte „Character Cards“.
Wo Austen Leerstellen lässt, liefert Romance visuelle Totalität. Deutungsspielraum brauchen die zeitgenössischen Romance-Erzählungen nicht, sie setzten auf maximalen Detailrealismus, einer der Gründe, der sie so hindernislos lesbar macht.
Romance-Autorinnen betonen gern, dass der beliebte „Enemies to Lovers“-Trope eigentlich auf „Stolz und Vorurteil“ zurückgeht. Was Austen zwischen Darcy und Elizabeth beschreibt, ist kein Hass, sondern ein kompliziertes soziales Gefüge: Klassendistanz, verletzte Eitelkeiten – Stolz und Vorurteil eben. Romance macht aus der Paar-Findung eine Dramaturgie, während Austen dagegen eine subtile Charakterstudie und eine scharfe Gesellschaftsanalyse zu Papier brachte.
Und Austen ist unbarmherzig, ihre Figuren prüft sie ständig und verurteilt sie scharf. Mary Bennet etwa macht die Kultautorin zur tragischen Fußnote: Mary bleibt unverheiratet, zum Leben bei der alten Mutter verdammt. Ein Schicksal, das Austen aus nächster Nähe kannte. Sie selbst, siebtes von acht Kindern, nie verheiratet, trotz Verehrern und Heiratsangebot. Ihre Romane wissen, wovon sie schweigen.
Das reine Herz der Heldinnen
Die Moral in den romantischen Romanen folgt einer anderen, weicheren Funktion. Ihre Heldinnen müssen ein reines Herz besitzen, sich im Kern niemals falsch verhalten, während ihre Helden missverstandene Männer mit guten Absichten sind, deren grobes Benehmen zuverlässig durch Kindheitstraumata oder Familienwunden psychologisiert wird. Moral ist weniger Kritik als Belohnungslogik: Wer nur gut genug bleibt, bekommt am Ende den gutaussehenden, reichen, verletzten Mann.
Der Ursprung der jüngsten New-Adult-Welle, die frühen 2020er Jahre, waren geprägt von den Auswirkungen der Coronapandemie, es entstand eine neue Leselust, vorangetrieben vom Stillstand des öffentlichen Lebens und eines neuen digitalen Nähe-Distanz-Verhältnisses. Eine Zeit, ideal als Brutstätte eskapistischer, tröstender Erzählungen von Selbstfindung, Heilung und der Gewissheit, dass Liebe rettet.
Austen arbeitete ebenfalls in einer Ära drastischer Verwerfungen, im Schatten des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs, der napoleonischen Kriege des Königreichs und der Französischen Revolution. Während Romance Konflikte meist auf das Innenleben ihrer Figuren verengt, schrieb Austen über Beziehungen in einer Welt, die bedroht war. „Mansfield Park“ entsteht, während sie militärische Traktate über die Schwächen der britischen Verteidigung studiert.
Das spiegelt sich in den Texten, sie sind bevölkert von militärischem Personal. Doch Austen schrieb nicht als Eskapismus. Dieses Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit der Welt fehlt in vielen zeitgenössischen Romance- und New-Adult-Romanen, die Krisen auf Paarebene beschränken.
Zuneigung gehört zur Partnerwahl
Literaturhistorisch muss Austen aber noch aus einem anderen Grund ernst genommen werden: Sie ist die erste Autorin, die weibliche romantische Liebe als legitimes Kriterium der Ehe verhandelt. Austen nimmt weibliches Empfinden ernst, ohne es zu sentimentalisieren. Ihre Heldinnen sind selbstständige Akteurinnen, keine Empfängerinnen von Heiratsangeboten. Dass Zuneigung und Respekt zur Partnerwahl gehören dürfen, ist um 1800 revolutionär.
Natürlich ist Romance ein weites Feld. Einige der Bücher sind diverser und queerer, als seine Bestseller erahnen lassen. Doch der Mainstream bleibt häufig ein Rückzug in alte Märchenmuster, in denen politische Realitäten kaum vorkommen. Austen dagegen ist politisch, subtil, trotzdem konsequent. Ihr Horizont bleibt die Gesellschaft, nicht das Paar.
Dass die Serie „Bridgerton“, dass zahllose Regency-Romance-Reihen, dass die florierende Austen-Fan-Fiction-Ökosphäre existieren, zeigt: Austen wurde von der Popkultur nicht nur vereinnahmt, sondern vervielfacht. Weg von Analyse, hin zu Gefühl und Körper. Sie verstärken den romantischen Aspekt, während das gesellschaftliche Kalkül verdampft.
Vielleicht ist das der größte Unterschied: Romance will verführen. Austen will entlarven.
