196 Stämme weltweit – Drogenbanden und Influencer bedrohen die „isoliertesten Völker“ der Welt

Noch heute leben gut 200 indigene Völker auf der Welt, gänzlich ohne Kontakt zur Außenwelt. Doch die überlebenswichtige Isolation ist in Gefahr – zum Beispiel, weil Menschen mit ihnen Geld verdienen wollen.

Weltweit geraten unkontaktierte Völker nach Ansicht von Menschenrechtlern unter Druck. Aktuell gibt es rund um den Globus mindestens 196 indigene Gemeinschaften, die Kontakt zu Außenstehenden vermeiden, wie aus einer Studie der Organisation Survival International hervorgeht. Darin kommen die Autoren zu dem Schluss, dass fast die Hälfte dieser Völker oder Gruppen innerhalb von zehn Jahren ausgelöscht werden könnte, wenn Regierungen und Unternehmen nicht handeln.

Laut dem Hollywoodstar und Aktivisten Richard Gere leiden die Gemeinschaften, die mehrheitlich in Südamerika leben, vor allem unter Landkonflikten, größtenteils hervorgerufen durch wirtschaftliche Interessen der westlichen Industrienationen. „In diesem Spiel sind wir der Bad Guy“, betonte Gere.

Auf den Verlust der angestammten Siedlungsgebiete folge meist der Verlust von Sprache und Kultur, beklagte der Schauspieler. Dabei sei in einer von Konflikten zunehmend zerrissenen Welt die Weisheit von Völkern wichtiger, die wüssten, wie man respektvoll mit anderen Menschen und den Ressourcen des eigenen Landes umgehe.

Die Direktorin von Survival International, Caroline Pearce, sprach bei der Präsentation der Studienergebnisse mit Blick auf die Lage der unkontaktierten Völker von einem „globalen Notstand“. Unternehmen und Regierungen müssten jetzt handeln, damit unkontaktierte Völker frei und selbstbestimmt leben könnten. Schon länger wird der Studie zufolge der Lebensraum der Gemeinschaften etwa durch Holzeinschlag, Bergbau und Viehzucht bedroht. Als weiterer Treiber gilt der Klimawandel.

In den vergangenen Jahren seien aber noch andere Faktoren hinzugekommen, so die Menschenrechtler. Dazu gehörten gewalttätige kriminelle Banden, die mit Drogen handelten, Missionare, die von „millionenschweren evangelikalen Organisationen“ finanziert würden und versuchten, die Indigenen zum Christentum zu bekehren, sowie Influencer in den sozialen Medien, die über „Erstkontakte“ zu bislang unkontaktierten Völkern Geld verdienen wollten.

Indigene Anführer getötet – ohne Strafe

Herlin Odicio, indigener Anführer der Kakataibo aus der Region Ucayali in Peru, beklagte, dass die peruanische Regierung die Rechte von Indigenen nicht angemessen respektiere. Allein in den vergangenen fünf Jahren seien überdies sechs indigene Führer getötet worden, die für Landrechte gekämpft hätten, ohne dass die Täter rechtliche Konsequenzen zu befürchten hatten.

Knapp 95 Prozent der von Survival International erfassten Völker sind im brasilianischen Amazonasbecken ansässig. Zu den bekanntesten gehören die zumindest teilweise isoliert lebenden Yanomami. Aber auch in anderen Gegenden gibt es noch derartige Gemeinschaften. Ein Beispiel: die Sentinelesen, laut Angaben der Menschenrechtsorganisation „das isolierteste Volk der Welt“. Sie bevölkern ein Eiland der zu Indien gehörenden Inselgruppe der Andamanen und Nikobaren.

Die Studie beruht auf Beobachtungen und Erkenntnissen von Forschern, die sich teils jahrelang mit dem Thema auseinandergesetzt hätten, so Survival International. Dazu komme die Erfahrung, die man selbst in der fast sechs Jahrzehnte währenden Lobbyarbeit für unkontaktierte Völker gesammelt habe. Laut Angaben der Organisation handelt es sich um die erste umfassende Bestandsaufnahme zu diesem Thema.

KNA/wb