
Vor ungefähr einem Jahr wuchs in einem Garten in Berlin schon ein wenig zusammen, was zusammengehört. Kevin Volland war beim Erstligisten Union unter Vertrag, Florian Niederlechner beim Zweitligisten Hertha BSC, Letzterer hatte den Spezl aus alten Tagen eingeladen. „Wir haben da schon ein bisschen geliebäugelt. Er hat gegrillt und gesagt, es wäre auch sein Traum“: zu Sechzig zurückzukehren, erzählt Volland. Und so ist jetzt bei 1860 München alles etwas anders als in den Saisonvorbereitungen der vergangenen Jahre. Kommentare wie „Ja, könnte klappen“ oder „na, ich weiß nicht, ob des was wird“ des einen oder anderen Fans sind jetzt der großen Frage gewichen: Wie geht dieser Wahnsinns-Kader mit der Erwartung um? Freilich werden sie auch erst in einem knappen Jahr wissen, ob der zweite Traum, die Rückkehr in die 2. Bundesliga, auch in Erfüllung geht.
Nun wäre der Kader selbst ohne dieses schillernde Offensivduo ganz ordentlich zusammengestellt. Der neue Torwart Thomas Dähne bringt aus Kiel Erstliga-Erfahrung mit (und ist auch Bayer!), da wiegt der Weggang der früheren Haupt-Identifikationsfigur Marco Hiller (KAS Eupen, zweite belgische Liga) nicht mehr ganz so schwer. Insgesamt weist jeder Mannschaftsteil erhebliche Verstärkungen auf. Und mit den beiden Rückkehrern weiß der geneigte Fan schon gar nicht mehr, wohin mit den ganzen Identifikationsgefühlen. Auch das war im Trainingslager zu beobachten.

:„Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen als Tag des Aufbruchs“
Das scheidende Präsidium um Robert Reisinger wird nach dem Anteilsverkauf von Hasan Ismaik auf der Mitgliederversammlung mit riesigem Applaus verabschiedet. Nachfolger Gernot Mang findet „eine einmalige Chance für Sechzig“ vor.
Es gab zwar noch nicht viele Fans, die ihre Trikots mit den Namen der beiden hochkarätigen Münchner Zugänge beflockt hatten. Aber schon allein zu einem Nachmittagstraining an einem Werktag auf dem Platz des oberösterreichischen UTC Ulrichsberg war die Tribüne gut gefüllt. Später stand noch der Fan-Abend an, beim UTC hatten sie zwischen Spielfeld und Parkplatz ein gar nicht so kleines Bierzelt aufgebaut, es folgte dort auch das erste Bad in der Menge für den neuen 1860-Präsidenten Gernot Mang. Die Bekanntgabe des Investors Hasan Ismaik, seine Anteile zu verkaufen, hatte reichlich zusätzliche Euphorie entfacht. Ismaik ist bei einem Großteil der Fans gelinde gesagt eher unbeliebt. Dabei kennen bisher nur ganz wenige Personen den Nachfolger, der in der Schweiz sitzt. Aber er hat offensichtlich zumindest schon einmal mit bewerkstelligt, dass das Budget aufgestockt wird und der Kader auch bei der Konkurrenz in der dritten Liga für Aufsehen sorgt.
„Man steckt in so einer Dauerermüdung drin“, sagt Volland
Selbst für Volland, der Champions-League-Erfahrung hat und ein paar Mal für die Nationalmannschaft spielte, ist dieser Hype durchaus anstrengend. „Man steckt in so einer Dauerermüdung drin“, erzählte er, anstatt sich kurz mal hinlegen zu können, wartet schon das nächste Interview. Dabei ist es ihm „persönlich auch wichtig, eine gute Vorbereitung zu bekommen“. Volland hatte bei Union Berlin ein verkorkstes Jahr, dann auch noch eine Knie-OP, er kann gar nicht mehr genau sagen, wann er sein letztes Spiel über 90 Minuten absolviert hat. Vor mehr als einem Jahr jedenfalls, sein letztes Pflichtspiel über die volle Distanz ist noch länger her.
Am vergangenen Freitag, im vierten von vier Trainingslager-Testspielen, kam Volland über die gesamte Spielzeit zum Einsatz. Die Partie gegen den tschechischen Erstligisten Slovan Liberec war die erste während der gesamten Vorbereitung, die die Sechziger verloren 0:1.
Dass Volland den Löwen mit seiner Erfahrung helfen wird, steht außer Frage. Zurzeit geht es darum, wie gut ihm sein Körper dafür noch gehorcht. Zwei Tage vor dem Drittliga-Eröffnungsspiel bei Rot-Weiss Essen wird er 33, und bis dahin möchte er herausfinden, ob er noch einmal zu alter Spritzigkeit zurückfinden kann – oder nicht. Während des Testspiels gegen Liberec gab es für alle Beteiligten auch noch einen kleinen psychologischen Test, denn Niederlechner saß in der 20. Minute mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden, kurz nach Wiederanpfiff ließ er sich auswechseln. Im Moment gehen sie bei Sechzig nur von einer Prellung aus. Doch im Geiste schon einmal die Konsequenzen durchzuspielen, wenn Hoffnungsträger, Leistungsträger und Identifikationsfiguren plötzlich ausfallen, könnte für den Trainer Patrick Glöckner und für die Mitspieler lehrreich sein.
Ohnehin findet Volland, dass die Frage, ob die Mannschaft mit dem enormen Erwartungsdruck umgehen kann, erst etwas später zu beantworten sein wird: „Wenn du mal zwei Spiele in Folge verlierst, und wie man dann aus der Situation herauskommt“. Das sei wichtig in dieser Liga. In einem Interview mit Magentasport sagte Niederlechner, dass es unwahrscheinlich sei, „dass ich jetzt zum Kevin spiele, und er spielt zehn Mann aus und schießt dann ein Tor“. Kleinigkeiten werden die Spiele entscheiden, und das beste Mittel, um dann zu gewinnen, sei der unheimlich ausgeglichene Kader. Das wiederum werde auch mal zu „harten Entscheidungen“ führen, nicht alle können spielen. „Da kristallisiert sich dann raus, wie man das als Mannschaft auffängt“, sagt Volland. Keiner dürfe hier glauben, sein eigenes Ding machen zu können.
Der erste Gänsehautmoment für Volland und Niederlechner, die sich ja selbst als Fans bezeichnen, wird am zweiten Spieltag der Einlauf auf den Rasen des Grünwalder Stadions sein, gegen den VfL Osnabrück. Es wird ein besonderer Moment, egal, wie davor das Eröffnungsspiel in Essen endet. Das Pflichtspielprogramm beginnt aber schon mit dem Toto-Pokalspiel beim SC Reichmannsdorf im Landkreis Bamberg. Der Kreisligist durfte sich in der Auslosung den Gegner aussuchen und freut sich jetzt unheimlich auf ein volles Vereinsgelände und Volksfeststimmung. Danach aber werden Volland, Niederlechner und all die anderen Löwen an ihren Leistungen gemessen.