
Exzentriker, das wäre noch eher die harmlose Beschreibung der Persönlichkeit des Erik Satie. Der vor 100 Jahren gestorbene französische Komponist verbrachte sein Leben nicht nur damit, Regenschirme zu sammeln (mehr als hundert davon soll er besessen haben) oder in seiner Wohnung Klaviere zu stapeln. Er komponierte auch Werke, die er „Ausgetrocknete Embryos“ oder „Unappetitlicher Choral“ nannte, und wies an, die von ihm geschaffene Musik zum Beispiel „wie eine Nachtigall mit Zahnschmerzen“ zu spielen. Sein Werk „Quälereien“, so meinte er, sei nur dann vollständig, wenn es 840-mal nacheinander gespielt werde. Der Erste, der das machte, war US-Klangkünstler John Cage und das von ihm initiierte Konzert dauerte 19 Stunden. Satie provozierte auch, wenn er die Klänge eines Richard Wagner mit „Sauerkraut“ verglich. Deutlich lieber war ihm jene gefällige Musik, die in Varietés, Cabarets und Music Halls zu hören war.
Als vor neun Jahren in der Gemeinde Arcueil, wo der am 1. Juli 1925 mit 59 Jahren an einer durch Alkoholsucht ausgelösten Leberzirrhose gestorbene Satie begraben liegt, ein Fest zu seinen Ehren stattfinden sollte, schimpfte ein Lokalpolitiker des rechtsextremen Front National: Dieser Mensch sei nur ein „mittelmäßiger Komponist“ gewesen sowie „Mitglied der alkoholkranken kommunistischen Partei“.
Doch das greift zu kurz, Satie komponierte auch ein Stück, welches es in seiner Popularität durchaus mit Ravels „Bolero“ aufnehmen kann: die „Gymnopédie Nr. 1“. Vor allem aber verfolgte der in der Normandie geborene Komponist den Ansatz, Klänge zu schaffen, die man zwar hört, aber nicht anhört. So erklärte er im Jahr 1920 seinem Freund Jean Cocteau in einem Brief: Musik könne auch nur Gebrauchsmusik sein, also eher ein Geräusch, eingesetzt etwa auf „Meetings“. Etwas für „nützliche Bedürfnisse“. Die Idee erinnerte an mittelalterliche Tafelmusik, doch Satie fasste sie weiter.
Und tatsächlich ist es schon erstaunlich, wie die von ihm komponierten Stücke „Carrelage phonique“ oder „Tapisserie en fer forgé“ bereits den Klingeltönen heutiger Handys ähneln. Seine Komposition „Chez un bistrot“ aus dem Jahr 1920 wäre auch nach hundert Jahren noch ein Geschenk für jede Warteschleife. „Un salon“ könnte die Besucher von Einkaufszentren erfreuen, und die letzten Takte seines Werkes „Tenture de cabinet préfectoral“ wären selbst im Jahr 2025 noch ein perfekter Abschluss für jede Lautsprecherdurchsage.
Satie war eben Vorreiter in Dingen, die man heute „Sounddesign“ nennt, „Jingles“, „Minimal Music“ oder „Easy Listening“. Er selbst sprach von „Musique d’ameublement“, Möbelmusik.
Nur wenige Jahre nach seinem Tod setzte sich sein Ansatz durch: Von den 1930er-Jahren an begann man etwa in New York, Menschen in Aufzugkabinen zu beschallen, später war „Ambient Music“ auf Flughäfen oder in Büros angesagt. Heute führt freilich jeder sein eigenes Orchester in der Hosentasche mit sich herum, der akustische Hintergrund gerät so oft in den Vordergrund, wird lästig. Doch zum Glück kann man Klangbrei auch abwehren, notfalls mit eigenem Klangbrei. Regenschirmsammler Erik Satie hätte da wohl vollstes Verständnis gehabt.