
Führende Grünenpolitiker haben Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und seine Regierung nach 100 Tagen im Amt als rückwärtsgewandt und spaltend kritisiert. Der Kanzler habe „den großen Aufbruch angekündigt, zu besichtigen ist der Rückschritt“, sagte Grünenparteichef Felix Banaszak den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er und Co-Parteichefin Franziska Brantner sehen Versäumnisse der Regierung beim Klima, bei der sozialen Gerechtigkeit und in der Außenpolitik.
Banaszak warf Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) vor, Klimaschutz und Energiewende zu verzögern, „wo sie nur kann“, und lieber Milliarden in neue Gaskraftwerke zu stecken – „finanziert ausgerechnet aus dem Klimafonds“. Das sei „klimapolitisch fatal und ökonomisch unsinnig“.
Dass die Bundesregierung die Stromsteuer für die Industrie, nicht aber für private Verbraucher senkt, kritisiert Banaszak als „Politik, die wenige schützt und den Rest im Regen stehen lässt.“
Grüne kritisieren „nationale Alleingänge“
Auch die Migrations- und Asylpolitik der Union ist aus Sicht der Grünen problematisch. „Statt gemeinsame europäische Lösungen zu suchen, setzt diese Regierung auf nationale Alleingänge“, sagte Parteichefin Brantner den Funke-Zeitungen. Während Merz „schöne Worte“ für Frankreich und Polen finde, sorge seine Regierung für reale Einschränkungen für die Menschen in Europa durch die Einführung von Binnengrenzkontrollen. „Merz und Dobrindt opfern die europäische Freizügigkeit für eine schnelle Schlagzeile – und schwächen damit unser lang aufgebautes europäisches Miteinander“, sagte Brantner.
In einer separaten Stellungnahme kritisierte auch der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Marcel Emmerich, die Asylpolitik von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Dieser habe sich bislang zu sehr auf irreguläre Migration und Grenzkontrollen konzentriert und dabei andere Aufgaben wie die Spionageabwehr vernachlässigt. „Der ständige Fokus auf Migration und Asyl spielt vor allem der AfD in die Karten, und die wahren Gefahren für die Sicherheit im Land sind ein blinder Fleck in Dobrindts Politik“, sagte Emmerich.
Angesichts der zahlreichen ernsthaften Herausforderungen wie Rechtsextremismus, Islamismus, Spionage und Attacken auf die kritische Infrastruktur sei „Dobrindts eindimensionales Verständnis von Innenpolitik verantwortungslos für die Sicherheit im Land“, sagte Emmerich. Damit sich alle Menschen in Deutschland sicher fühlen könnten und die Demokratie wehrhafter werde, müsse Dobrindt seine Schwerpunkte neu setzen. Es gäbe noch zu viele Angriffe auf Frauen und queere Menschen sowie rechtsextremistische, antisemitische und rassistische Gewalt.
Sinkende Umfragewerte
Am heutigen Donnerstag ist die schwarz-rote Regierung 100 Tage im Amt. Konfliktfrei lief die Anfangsphase bisher nicht – besonders die gescheiterte Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht im Juli sorgte für erhebliche Verstimmungen in der Koalition. Auch bei weiteren Themen ist sich das Bündnis uneinig – etwa bei der Stromsteuersenkung oder bei der Israelpolitik.
Angesichts der Spannungen innerhalb seiner eigenen Partei und sinkender Umfragewerte hat Bundeskanzler Merz die CDU-Spitze am Mittwochabend zu einem Gespräch im Kanzleramt empfangen. Wie die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf Parteikreise
berichtet, ging es bei dem Treffen um die Lage und Zusammenarbeit in der
Koalition mit der SPD sowie die Stimmung in der Bevölkerung.