Sie kommen. Und wie sie kommen. Yan Diomande greift die Eintracht über rechts an, Antonio Nusa über links. Manchmal versuchen die Frankfurter Verteidiger, sie zu foulen. Manchmal versuchen sie, ihren Körper vor die Leipziger Flügelspieler zu schieben. Nie gelingt es ihnen.
Diomande, 19 Jahre alt, geboren in Abidjan, Elfenbeinküste, schießt am Samstagabend drei Tore gegen die überforderte Frankfurter Eintracht. Antonio Nusa, 20 Jahre alt, geboren in Langhus, Norwegen, trifft zwar nicht das Tor, aber die meisten Leipziger Angriffe laufen über ihn. Es werden am späten Samstagabend zu viele sein, um sie zu zählen. RB Leipzig schlägt Eintracht Frankfurt 6:0 (2:0).
Leipzigs Harders trumpft groß auf
Für die Eintracht ist es die nächste hohe Niederlage gegen ein Spitzenteam. Es ist das fünfte Mal, dass die Frankfurter in dieser Saison vier oder mehr Gegentore hinnehmen müssen. Mit 29 Gegentoren stellen sie die schlechteste Abwehr der Liga, kurz vor Heidenheim und Augsburg.
Soweit die Fakten. Die Details sind aus Frankfurter Sicht genauso besorgniserregend wie die Zahl 6. Nach fünf Minuten überspielt Leipzigs Christoph Baumgartner die Eintracht-Defensive zum ersten Mal. Michael Zetterer läuft erst aus seinem Tor, bleibt dann stehen – Leipzig-Stürmer Conrad Harder überlupft ihn. Nicht ganz zu wissen, wann er rausläuft, wann er auf der Linie bleibt, ist ein wiederkehrendes Problem in Zetterers Spiel. Schon in Köln war ihm ein ähnlicher Fehler unterlaufen.
Dann spielen die Frankfurter eine halbe Stunde mit. Sie starten ihre Angriffe mit geplanten Spielzügen, die meist auf Rasmus Kristensens rechte Seite zielen. Dort steht Nationalverteidiger David Raum oft seltsam weit weg vom Dänen. Zweimal kommt Kristensen am Leipziger vorbei, zweimal landet der Ball bei Eintracht-Stürmer Michy Batshuayi. Einmal rutscht er dem Belgier durch die Beine, beim zweiten Mal braucht er eine Ballumdrehung zu lange.
Das passiert nach 20 und 22 Minuten. In dieser Phase setzen die Frankfurter Leipzig so stark unter Druck, dass zwei Tauben minutenlang neben Eintracht-Torhüter Michael Zetterer auf dem Rasen sitzen.
Von dort aus sehen sie, wie Mahmoud Dahoud am anderen Ende des Platzes auf die rechte obere Ecke des Leipziger Tors zielt. Dort steht der Ungar Peter Gulácsi und schaut dem Ball sehnsüchtig hinterher. Er knallt gegen die Querlatte.

Gulácsis Tor zittert noch, da rollt der Ball schon wieder durch die Frankfurter Hälfte. Diesmal führt ihn Stürmer Harder selbst. Seine kleinen Wendungen erinnern in guten Momenten etwas an den jungen Timo Werner. Harder verzögert kurz, lässt Nnamdi Collins hinter sich und legt quer auf Baumgartner – 2:0 (31. Minute). Ein paar schnelle Pässe, kluge Haken, ein Ball quer, Tor. Das nennt man wohl RB-Fußball.
„Das ist eine Entwicklung. Wir haben eine gute Hierarchie in der Mannschaft entwickelt. Die Spieler sind untereinander fordernd und pushen sich. Das zeichnet uns aus. Da müssen wir weitermachen“, lobte RB-Trainer Ole Werner.
Aber so ansehnlich das Leipziger Offensivspiel in einem der ansehnlichsten Stadien der Fußballrepublik ist, so naiv verteidigen die Frankfurter. Collins lässt Harder den Weg zum Tor frei, statt ihn nach außen zu drängen.
Dann verletzt sich Batshuayi, und die Eintracht steht ohne Stürmer da. Jonathan Burkardt, der eigentliche Torjäger, fällt noch bis ins neue Jahr aus. Batshuayi, der ihn ersetzen sollte, hält sich die Schulter, als er zur Pause den Platz verlässt.
Frankfurt schaut nur zu
In der zweiten Halbzeit geht die Frankfurter Kältestarre dann richtig los. Diomande dribbelt links, er dribbelt rechts, er trifft mit rechts zum 3:0 (47. Minute), mit links zum 4:0 und zum 6:0 (55. und 65. Minute). Zwischendurch schießt Raum einen Leipziger Elfmeter ins rechte Eck (62. Minute).
Und die Eintracht? Sie schaut zu. Ihre strukturellen Probleme in der Abwehr sind genauso groß wie im Herbst, als sie gegen Liverpool und Atlético Madrid schon einmal fünf Gegentore hinnehmen musste. Immer wieder lässt sie sich schnell und simpel überspielen, vor allem nach eigenen Ballverlusten. Sie weiß ihr Tor nicht zu verteidigen, wenn sie den Ball verliert. Ihre strukturellen Stärken im Sturm sind ohne Can Uzun und Burkardt verschwunden.
Es fühle sich wie eine Demütigung an, sagte Trainer Dino Toppmöller: „Das tut schon sehr weh. Das war in der zweiten Halbzeit von jedem nicht gut genug. So dürfen wir uns nicht präsentieren.“

Jessic Ngankam, von dem wohl nur Langzeitstudenten der Eintracht-Kaderliste wussten, dass er noch in Frankfurt spielt, stürmte für Toppmöllers Elf in der zweiten Hälfte. Ngankam war lange verletzt, er trägt am wenigsten Schuld an den Frankfurter Problemen im Sturm.
Aber schaut man auf den Leipziger Sturm, auf die vielen schnellen, kleinen Dribbler, und beobachtet dann die Eintracht, wie sie ihre Konter verschleppt – das sind Unterschiede zwischen einer Spitzenmannschaft und einer fürs Mittelfeld der Liga. Die Eintracht ist aktuell eine durchschnittliche Bundesligamannschaft, mehr nicht.
Dino Toppmöller, der sie in der vergangenen Saison auf Platz drei der Liga coachte, fuhr sich immer wieder mit seinen Handschuhen durch die Haare. Für ihn ist das 0:6 in Leipzig die höchste Niederlage, seit er die Eintracht trainiert.
Am Dienstag spielt seine Mannschaft in Barcelona. Schlechter werden die Gegenspieler nicht unbedingt. Man könnte es auch mit einem Weihnachtsklassiker sagen: It’s beginning to look a lot like crisis. Die Eintracht, sie droht in eine Krise zu rutschen. Aus Leipzig fährt sie nach Hause ohne Tore, ohne Punkte, ohne Stürmer.
